28-Punkte-Plan für die Ukraine:"Nehmt das ernst": Experte sieht Chance für echte Annäherung
Während viele Staaten abwarten, sieht Sicherheitsexperte Joachim Weber im neuen US-russischen Plan mehrere unerwartete Zugeständnisse Moskaus - und ein Fenster für Diplomatie.
Sehen Sie hier den ersten Teil des Studiogesprächs mit Joachim Weber, Experte für Sicherheitspolitik am CASSIS-Institut der Universität Bonn.
21.11.2025 | 3:57 minDer neue amerikanisch-russische Vorschlag zur Beendigung des Ukraine-Kriegs sorgt international für Zurückhaltung. Joachim Weber, Sicherheitsexperte am CASSIS-Institut der Universität Bonn, sieht hingegen im Studiotalk in der Sendung "phoenix vor Ort" weitreichende Veränderungen der russischen Position.
Weber sagt, die ersten Informationsfetzen hätten bei ihm "eine milde Bestürzung" ausgelöst. Nach Lektüre aller 28 Punkte des Plans sei aber "ein fast gegenteiliger Effekt" eingetreten. Es gebe "substanzielle Veränderungen gegenüber dem, was wir jetzt dreieinhalb Jahre lang gehört haben".
Sehen Sie hier den zweiten Teil des Studiogesprächs mit Joachim Weber, Experte für Sicherheitspolitik am CASSIS-Institut der Universität Bonn.
21.11.2025 | 2:39 minWas Weber als echte Bewegung Moskaus sieht
Mehrere Elemente des Plans interpretiert Weber als klare Abweichung von früheren Maximalforderungen des Kreml:
- Keine Forderung nach Wechsel der ukrainischen Regierung vor Verhandlungen: Russland habe bislang verlangt, "das drogensüchtige Naziregime in Kiew" müsse zuerst ausgetauscht werden, so Weber. Davon sei nun "keine Rede mehr". In dem Plan steht nun drin, dass die Ukraine 100 Tage nach Abschluss Wahlen abhalten soll.
- Weniger territoriale Ansprüche: Statt der vier annektierten Oblaste stelle Russland jetzt in Aussicht, dass "es reicht, wenn man den Donbass, also Luhansk und Donezk, bekommt". Auch wenn zudem Cherson und Saporischschja entlang der Kontaktlinie eingefroren werden sollen, sieht der Experte Fortschritte in den formulierten Teilrückzügen aus den Gebieten Sumi und Charkiw.
Die USA haben einen "Friedensplan" für die Ukraine vorgelegt. Die EU wirkt überrumpelt, der deutsche Außenminister sieht eine "Grundlage für Gespräche".
21.11.2025 | 1:34 min- 100 Milliarden für den Wiederaufbau: Besonders überrascht zeigt sich Weber über die Bereitschaft, "aus seinen eingefrorenen Vermögen 100 Milliarden in einen Wiederaufbaufonds für die Ukraine zu tun".
- EU-Beitritt nicht länger ein Tabu: Die EU-Mitgliedschaft der Ukraine sei "auf einmal okay".
Für den Experten seien diese Elemente "überraschend" - unter der Voraussetzung, dass sie von russischer Seite tatsächlich verbindlich gemeint sind.
Putin wählt seine Worte gezielt. Indem er den Vorschlag allein Trump zuschreibt, öffnet er Kiew eine diplomatische Tür. So könne die Ukraine verhandeln, sagt Moskau-Korrespondent Armin Coerper.
21.11.2025 | 4:02 minNeben den Zugeständnissen sieht der Analyst auch kritische Punkte, die in Kiew und Europa für Diskussionen sorgen dürften. Weber ordnet sie allerdings in einen pragmatischen Kontext ein:
- Kein Nato-Beitritt: Die Nato-Aufnahmepläne bezeichnet Weber als "Schnapsidee der amerikanischen Politik" von 2008. Das Streichen dieser Perspektive sei aus seiner Sicht "keine Konzession", da sie nie realistisch gewesen sei.
Das ist mitverantwortlich dafür, dass wir in der Situation sind, in der wir seit vielen Jahren sind.
Joachim Weber, CASSIS-Institut der Universität Bonn
- Reduzierte ukrainische Armee: Eine Obergrenze von 600.000 Soldaten hält er "völlig unkritisch". In einem Nichtkriegszustand würden "600.000 Leute reichen".
- Krim-Frage praktisch ausgeklammert: Die Krim sei seit 2014 "weg", weshalb man darüber "in diesem Kontext" nicht ernsthaft sprechen müsse.
- Einfrieren der Front in Saporischschja: Dies sei Teil eines größeren territorialen Kompromissrahmens.
Weber betont, dass viele dieser Punkte verhandlungsbedürftig blieben - aber eine Annäherung ermöglichen könnten.
Es gäbe keine Einigkeit der Europäer darüber, was genau man von beiden Seiten verlangen solle, betont Friedensforscherin Nicole Deitelhoff.
21.11.2025 | 26:16 minWofür Europa gebraucht wird
Während Washington und Moskau hinter verschlossenen Türen sondieren, bleibt Europas Rolle zentral. Weber erinnert daran, dass die Europäer die Ukraine de facto "am Leben" hielten, indem sie "den ganzen Staatshaushalt" und Militärhilfen finanzierten.
Dazu, dass die Amerikaner lediglich Investionen ankündigen - und damit ihr geschäftliches Interesse untermauern -, sagt der Experte:
Ich bin inzwischen an dem Punkt, wo ich sage: Sollen sie doch halt Geschäfte machen, wenn sie sich dafür nicht zu schade sind. Hauptsache, sie investieren.
Joachim Weber, CASSIS-Institut der Universität Bonn
Entscheidend sei, dass ein Wiederaufbau beginne.
Für Weber bietet der Plan die Chance, dass Gelder künftig weniger in zerstörbares Kriegsgerät fließen und stärker in den Wiederaufbau eines "völlig in Klumpen Asche geschossenen Landes".
Experte: "Nehmt das ernst, diese Gelegenheit"
Weber bezeichnet den Vorschlag als "amerikanische Initiative". "Offenkundig steht Donald Trump dahinter", sagt er. Kremlchef Wladimir Putin selbst halte sich dagegen "völlig bedeckt". Der Experte deutet das als taktisches Vorgehen: Der Kremlchef lasse Unterhändler sprechen und sondiere die Reaktionen im Westen. So könne er im Falle eines Scheiterns behaupten, er habe "diesen Unsinn nicht vorgeschlagen".
Trotz aller offenen Fragen sieht Weber einen potenziellen Einstieg in ernsthafte Gespräche. Der 28-Punkte-Plan sei ein "grundsätzlich verhandelbarer erster Entwurf". Die Zeit dränge, "die Uhr tickt". Die aktuelle Konstellation könne eine seltene Chance bieten - vorausgesetzt, die beteiligten Akteure nutzten das Fenster zur Diplomatie. Sein Fazit: "Nehmt das ernst, diese Gelegenheit."
Die Fragen stellte phoenix-Moderatorin Constanze Abratzky. Zusammengefasst hat das Gespräch Christian Harz.
Aktuelle Meldungen zu Russlands Angriff auf die Ukraine finden Sie jederzeit in unserem Liveblog: