Gruppenvergewaltigung: Wie das Jugendstrafrecht damit umgeht

Wenn Jugendliche die Täter sind:Wie Gerichte Gruppenvergewaltigung bewerten

von Bettina Blaß
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Opfer von Gruppenvergewaltigungen schämen sich häufig und wollen nicht mehr an die Tat denken. Die Strafverfolgung macht das schwierig - und führt zu scheinbar milden Urteilen.

Eine junge Frau liegt auf einem Waldboden, umringt von Männern.

Brutale Taten, zerstörte Leben, uneinsichtige Täter und eine Gesellschaft zwischen Wut und Ohnmacht. Im Fokus steht eines der verstörendsten Gewaltverbrechen: die Gruppenvergewaltigung.

03.10.2025 | 90:00 min

Warum sie nicht schreien, werden sie gefragt. Warum sie sich nicht wehren? Die Opfer von Vergewaltigungen müssen viele verletzende Fragen über sich ergehen lassen. Die Täter dagegen kommen - zumindest aus der Sicht der Öffentlichkeit - häufig glimpflich davon.

Das zeigt beispielsweise der Hamburger Stadtpark-Fall von 2020: Damals wurde eine stark alkoholisierte 15-Jährige von insgesamt neun Männern zwischen 16 und 20 Jahren in unterschiedlichen Konstellationen missbraucht. Ihr wurden zudem der Geldbeutel und das Handy gestohlen.

Die neun Täter erhielten jeweils eine Jugendstrafe: Einer wurde zu zwei Jahren und neun Monaten Haft verurteilt. Die Strafen der anderen Jugendlichen wurden zur Bewährung ausgesetzt sowie mit Auflagen und Weisungen ergänzt. Das Urteil in diesem Fall wurde wegen der milden Strafen kritisiert.

Bundeslagebild Sexualdelikt

Die Zahl der registrierten Fälle von sexualisierter Gewalt gegen Kinder bleibt weiter hoch. Das zeigt das heute von der Bundesregierung veröffentlichte Lagebild. Laut Dobrindt ist die Dunkelziffer hoch.

21.08.2025 | 1:39 min

Im Jugendstrafrecht die erzieherisch richtige Sanktion finden

"Die Jugendstrafe ist wie eine Freiheitsstrafe im Erwachsenenstrafrecht. Das ist eine Gefängnisstrafe", sagt Richterin Anne Meier-Göring, die über den Fall urteilte. Als Jugendrichterin müsse sie versuchen, die erzieherisch richtige Sanktionen zu finden. Im Jugendrecht dürften Gesichtspunkte wie Vergeltung oder Generalprävention keine Rolle spielen. Für die Richterin steht in diesem Fall daher fest: "Mehr geht einfach nicht."

Lehramtsstudent Noah Dejanović sitzt auf einer Parkbank.

Noah Dejanović hat in seiner Kindheit sexuelle Gewalt erfahren. Als Lehramtsstudent sensibilisiert er jetzt Mitstudierende - und ist deshalb Deutschlands "Student des Jahres".

16.06.2025 | 1:26 min

"In der Öffentlichkeit ist das Bild einer Gruppenvergewaltigung extrem brutal", sagt Richterin Anne Meier-Göring in der ZDFinfo-Dokumentation "Ein Opfer. Viele Täter. Trauma Gruppenvergewaltigung". "Das findet mit dem Ins-Gebüsch-Reißen einer jungen Frau statt und das sind ganz viele, die über sie herfallen und Gewalt anwenden. (...) Und so war es definitiv in dem Stadtparkverfahren nicht", sagt die Richterin und erklärt damit ihr Urteil. Die Beweisaufnahme sei aufwendig und komplex gewesen. Die meisten Feststellungen des Gerichts beruhten auf Indizien.

Viele Opfer von Vergewaltigungen verhalten sich passiv und lassen die Tat über sich ergehen. Das Stillhalten des Missbrauchsopfers ist eine biologische Reaktion, die in Situationen von Ekel und Penetration besonders häufig auftritt. Traumatherapeurin Maggie Schauer erklärt es so: "Wenn der Organismus merkt, ich kann gar nichts mehr tun, dann gehen wir in so einen Shutdown-Modus." Da gehe der Blutdruck und die Herzrate in den Keller. "Ich kann mich nicht mehr willentlich bewegen, was einen biologischen Sinn hat. Solange ich mich nämlich wehre und dagegen ankämpfe und schreie, ist das ein Trigger für die Täter und auch für Raubtiere."


Frauen vermeiden Erinnerungen an die Tat

Bei Frauen und insbesondere bei Mädchen dominieren zudem oft Scham und Selbstanklage. Viele vermeiden Erinnerungen an die Tat, die sie die Situation nochmals erleben lassen würden. Häufig haben Frauen auch Angst, dass ihnen niemand glaubt oder die Täter straffrei davonkommen.

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11.08.2025 | 2:01 min

Die Ereignisse der Silvesternacht 2015 in Köln waren in diesem Punkt eine Zäsur. Zwischen Hauptbahnhof und Dom in Köln wurden mehr als 500 Frauen Opfer von sexueller Belästigung. "Die Kölner Silvesternacht war dann Anlass, dass die Medien (...) einen so starken Handlungsdruck erzeugt haben, dass die Politik gesagt hat, (...) jetzt machen wir ein neues Gesetz", sagt Elisa Hoven, Professorin für Strafrecht an der Universität Leipzig.

Sehen Sie die Doku "Ein Opfer. Viele Täter. Trauma Gruppenvergewaltigung" am 10. Oktober um 22 Uhr bei ZDFinfo oder streamen Sie sie jederzeit im ZDF-Streaming-Portal.


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08.08.2025 | 1:51 min

Von Nötigung zu "Nein heißt Nein"

Bis 2016 galt das so genannte Nötigungsmodell. Von sexueller Nötigung wurde nur gesprochen, wenn der Täter Gewalt ausgeübt, gedroht oder eine schutzlose Lage ausgenutzt hat. Heute orientiert sich das Recht am Grundsatz "Nein heißt Nein" - unerwünschtes Anfassen ist strafbar. Doch dieses gesellschaftliche Umdenken findet erst seit wenigen Jahren statt: "Bis 1997 war die Vergewaltigung in der Ehe noch kein Sexualdelikt. Heute haben wir Hashtag MeToo und sprechen über die Strafbarkeit von Catcalling", sagt Hoven.

Allerdings bewerten Laien und Richter die Strafen für Sexualdelikte sehr unterschiedlich. Elisa Hoven hat Richter- und Laienurteile verglichen: Laien vergaben für Vergewaltigungen in den von ihr vorgelegten Fällen im Schnitt Haftstrafen von sechseinhalb Jahren, Richter von dreieinhalb Jahren.

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KI zu Verbrechensbekämpfung? Ja, sagt Alexander Throm, innenpolitischer Sprecher der Union im Bundestag. Dagegen ist Lukas Benner, Grünen-Vorsitzender im Innenausschuss des Bundestags.

21.08.2025 | 12:07 min

Der Prozess über den Hamburger Stadtpark-Fall zog sich über 69 Hauptverhandlungstage in eineinhalb Jahren, über 100 Zeuginnen und Zeugen sowie fünf Sachverständige kamen zu Wort. Doch vielen waren die Strafen nach diesem langen Prozess zu lax. Richterin Meier-Göring wurde daraufhin öffentlich hart kritisiert und war Opfer eines Shitstorms. Auf der Plattform X, ehemals Twitter, gab es Mord- und Vergewaltigungsdrohungen gegen sie.

Viele Täter kommen straffrei davon - Warum?

"Das Jugendstrafrecht soll weniger vergelten als das Erwachsenenstrafrecht", erklärt Elisa Hoven. "Im Jugendstrafrecht geht es wirklich um den Erziehungsgedanken. Was kann ich tun, damit der Jugendliche wieder auf den richtigen Weg gebracht wird? Und was kann der Staat tun, damit der künftig keine Straftaten begeht?"

Anne Meier-Göring erläutert: "Junge Täter handeln im Moment und sie denken überhaupt nicht über die Konsequenzen nach. Das heißt, die Verhängung von harten Strafen schreckt diese Täter gar nicht ab, weil sie darüber gar nicht nachdenken."

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Prävention statt Bestrafung: Mit diesem Konzept versucht ein Projekt in Nordrhein-Westfalen, Jugendliche vor der Kriminalität zu bewahren. Auch im Ausland wird es erprobt.

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Im Hamburger Stadtparkverfahren gab es Verurteilungen. Viele andere Täter kommen dagegen straffrei davon. Warum? Weil die meisten Vergewaltigungen laut einer Studie des Kriminologen Christian Pfeiffer gar nicht angezeigt werden. 85 Prozent der Betroffenen in Deutschland gingen nicht zur Polizei. Viele Taten ereigneten sich im sozialen Nahfeld der Opfer, Angst und Scham vor einem öffentlichen Prozess spielten ebenfalls eine Rolle. Nur bei etwa der Hälfte der Anzeigen wird ein Tatverdächtiger ermittelt und verurteilt. Am Ende heißt das: Von 100 vergewaltigten Frauen führt statistisch nur ein Fall zu einer Verurteilung.

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