Debatte um Migration: Opfer von Kölner Silvesternacht berichtet

Debatte um Migration:Kölner Silvesternacht: "Hilflos gefühlt"

von Peter Böhmer und Martin Schiffler
|

Hunderte Frauen wurden Silvester 2015 in Köln Opfer sexueller Straftaten. Auch in anderen Städten kam es zu Übergriffen. Wie Betroffene und Experten heute auf die Taten blicken.

Bahnhofsvorplatz des Kölner Haupfbahnhofs. Köln

Wie haben die Straftaten in der Silvesternacht 2015 in Köln das Land verändert? Die Sorge vor Radikalisierung Geflüchteter wächst, auch nach dem Messerangriff in Mannheim 2024.

22.08.2025 | 15:35 min

Michelle will nur kurz auf die Toilette am Kölner Hauptbahnhof in der Silvesternacht 2015, doch dann wird aus "kurz" eine Erfahrung, die sie noch lange beschäftigt. Es ist gegen 0:30 Uhr, Michelle hat sich mit ihrem Freund und dessen Bruder das Feuerwerk am Rhein angeschaut. Dann gehen sie zum Bahnhof:

Auf einmal war da diese Menschentraube, es gab kein Vor und Zurück.

Michelle, Opfer aus der Kölner Silvesternacht

"Ich wurde von meinen Begleitern getrennt und dann waren ganz viele Menschen um mich herum. Dann ist jemand auf mich zugekommen, hat mich angeschaut und hat mir dann fest zwischen die Beine gegriffen." So etwas erlebten hunderte Frauen in dieser Nacht. Es wurden mehr als 1.200 Anzeigen erstattet, etwa 500 davon wegen Sexualdelikten, auch wegen Vergewaltigung.

Berliner Personennahverkehr

Allein abends im Bus oder in der Bahn - für viele Frauen kein gutes Gefühl. Belästigung und Unsicherheit sind Alltagserfahrungen. ZDF-Reporterin Stefanie Hayn geht der Frage nach, ob separate Frauenabteile eine Lösung sein könnten.

05.06.2025 | 3:52 min

Dazu massenhaft Diebstähle: Portemonnaies, Handys. Auch Michelles Geldbörse war plötzlich weg - mit allen Ausweisen. Die Täter: Junge Männer meist nordafrikanischer Herkunft, viele davon Flüchtlinge, alkoholisiert, unter Drogen. Schockmomente für die Frauen, Entsetzen, Ausgeliefertsein.

Ich hab mich hilflos gefühlt. Nur mit fremden Menschen um mich rum, die mich begrapschen und beklauen wollen.

Michelle, Opfer aus der Kölner Silvesternacht

"Man versucht, da irgendwie rauszukommen, es geht nur noch der Überlebensinstinkt an," erzählt Michelle im Rückblick.

3 Personen

Noch vor zehn Jahren dümpelte die AfD bei Umfragen bei nur drei bis vier Prozent. Dann kam die Flüchtlingskrise. Seitdem geht der Erfolg der Partei durch die Decke.

21.08.2025 | 2:31 min

Strafrechtliche Aufklärung ernüchternd

Die Polizei wirkt machtlos, viel zu wenige Beamte, mit dieser Eskalation hatten sie im Vorfeld nicht gerechnet. Die Brisanz der Ereignisse wird anfangs unterschätzt, das ändert sich, als die Wucht der Taten publik wird. Der Polizeipräsident muss gehen, es gibt einen Untersuchungsausschuss des Landtags mit einem 1.300-Seiten-Bericht und die strafrechtliche Aufklärung.

Thomas Schulte war Leiter der Ermittlungsgruppe, die die Taten aufklären sollte. Knapp 150 Beamte hatte er im Team, eine ungewöhnlich hohe Zahl. Die Ausbeute der langwierigen Polizeiarbeit aber ernüchternd, weil die Beweisführung schwierig ist: Menschenmassen in Dunkelheit, schummrige Kamerabilder.

Dunja Hayali in einer Fotomontage

Ist Deutschland ein unsicheres Land geworden? Dunja Hayali geht der Frage nach der inneren (Un-)Sicherheit nach. Ist diese ein Bauchgefühl oder hat sich in Deutschland etwas verändert?

21.08.2025 | 44:18 min

Staatsanwaltschaft Köln: 354 Beschuldigte, 39 Urteile

Laut Staatsanwaltschaft Köln gab es insgesamt 354 namentlich Beschuldigte. Es fielen 39 Urteile, davon nur zwei wegen sexueller Nötigung, beide mit Bewährung.

"Die Täter kamen aus einem Kulturkreis, wo der Umgang mit Frauen anders ist", sagt Schulte. "Man wird von einer Frau nicht angelacht. Eine Frau läuft verschleiert rum." Die kämen dann hierher, wo Frauen lächelten, kein Kopftuch tragen, freundlich seien. "Und das war dieser Cultural clash, wo die Täter tatsächlich meinen, das ist Freiwild. Die sind willig, und mit denen können wir machen, was wir wollen", sagt Schulte.

Und weil viel zu wenig Polizei vor Ort war, gab es niemanden, der bremsen konnte.

Nahaufnahme: Templin

2015 kamen Hunderte Asylsuchende nach Templin, einer Kleinstadt in Brandenburg. Inwieweit hat die Integration in den Arbeitsmarkt geklappt?

21.08.2025 | 4:17 min

Konfliktforscher: "Gewaltbremsen fehlen"

"In dieser Situation passiert etwas Psychologisches", sagt Prof. Andreas Zick, Konfliktforscher an der Uni Bielefeld, "es gibt Gewalt. Sie macht Spaß, es eskaliert. Man fühlt sich stark, der Selbstwert steigt und Gewaltbremsen fehlen. Auf dem Platz werden Aggression und Gewalt zu einer Norm für alle anderen, und dann regiert nur noch Gewalt."

Die oft gestellte Frage: Was haben die Taten mit der Kultur in den Herkunftsländern zu tun? Viel, sagt Ahmad Mansour, Psychologe und Islamismus-Experte. Er kam als arabischer Israeli zum Studium nach Deutschland. "Es war traumatisch am Anfang", sagt er.

Mit 28 Jahren in einem Land zu sein, wo man die Kultur und die Sprache nicht kennt, wo man sich nicht beteiligen kann in Gesprächen - das hat mir schlaflose Nächte bereitet.

Ahmad Mansour, Psychologe

"Am Puls mit Sarah Tacke: Flucht und Krise - 10 Jahre "Wir schaffen das": Sarah Tacke steht in der belebten Fußgängerzone in Frankfurt und schaut in die Kamera.

Zehn Jahre nach Angela Merkels historischem Satz "Wir schaffen das" zieht Sarah Tacke schonungslos Bilanz: Wie hat die Migration seit 2015 unser Land verändert? Haben wir es "geschafft"?

14.08.2025 | 43:20 min

"Da kann man sich vorstellen, was das mit Menschen macht, die mit 17 oder 18 Jahren herkommen." In Köln, sagt er, seien es junge Männer gewesen, die so sozialisiert seien, dass eine Frau "ins Haus gehört". Dass sie "bedeckt gehen" solle.

In dem Moment, wo Frauen sich selbstbewusst öffentlich bewegen, werden sie abgewertet.

Ahmad Mansour, Islamismus-Experte

Psychologe Ahmad Mansour zu Gast im Talk bei Markus Lanz.

Die Kriminalstatistik 2023 zeigt einen Anstieg der ausländischen Tatverdächtigen. SPD-Politiker Fiedler und Psychologe Ahmad Mansour diskutieren bei "Lanz" über die Ursachen.

11.04.2024 | 1:22 min

Mansour fordert frühe Wertevermittlung für Geflüchtete

Mansour fordert eine Begrenzung des Zuzugs, um mit denen, die schon da seien, umgehen zu können. Die Wertevermittlung müsse schon früh beginnen: in Kitas, Schulen oder Universitäten. "Kulturen sind nicht biologisch vererbt, man kann sie verändern, jeder ist erreichbar." Das sieht auch Konfliktforscher Zick so:

Das Problem in Köln war auch, dass vorher in den Flüchtlingsunterkünften nicht über Werte und Normen geredet wurde.

Andreas Zick, Konfliktforscher

Modar Ajaj

Zehn Jahre nach seiner Flucht ist Modar Ajaj nach Syrien zurückgekehrt. Dafür, dass Deutschland ihn 2015 aufgenommen hat, empfindet er heute große Dankbarkeit.

16.08.2025 | 1:30 min

Polizist Thomas Schulte sagt, dass die Justiz, die Jugendämter, die Ausländerämter und die Polizei eng zusammenarbeiten müssten. Die Minderheit der Intensivtäter müsse konsequent bestraft und abgeschoben werden.

Und Michelle? Ihr Blick auf die Flüchtlinge hat sich auch durch Köln nicht verändert. "Menschen, die Hilfe brauchen, müssen wir helfen", sagt sie. "Hass gegen Hass, das bringt nichts."

Peter Böhmer und Martin Schiffler berichten aus dem ZDF-Landesstudio in Nordrhein-Westfalen.

Mehr zum Thema Migration