Popcorn statt Play-Taste:Wie sich Kinos gegen Streaming-Dienste behaupten wollen
von Michael Kniess
Stricken, Konzerte, mehr Beinfreiheit: Das Kino erfindet sich neu, um trotz Streaming und Co. eine Zukunft zu haben. Der Film gerät dabei fast ins Abseits.
Filme schauen im Kino wird zunehmend durch Streaming-Dienste verdrängt. Mit neuen Veranstaltungen soll das Publikum nun zurück in den Kinosaal gelockt werden.
Quelle: dpaSein Untergang wurde bereits mehrmals prophezeit. Als Wolfram Weber vor einem halben Jahrhundert mit der "Meisengeige", seinem ersten Programmkino, in Nürnberg startete, hielten ihn viele für verrückt. Fernsehen und VHS galten als Totengräber des Kinos. Die "Meisengeige" gibt es heute immer noch. Als Kultkino im Retro-Stil erfreut sie sich großer Beliebtheit. Dazugekommen ist mit dem Cinecittà eines der größten Multiplex-Kinos in Europa, das dieses Jahr seinen 30. Geburtstag feiert. Auch in Streaming-Zeiten ist der Gründer und Betreiber des Cinecittà mit Blick auf die Zukunft des Kinos unbeirrt optimistisch.
In Saarbrücken erinnerte eine Ausstellung an die Videotheken der Achtzigerjahre. Hier konnte man für zwei Wochen eintauchen in die Zeit von VHS und Videorekorder.
22.04.2025 | 1:50 minTotgesagte leben länger
Wolfram Webers Überzeugung: "Man braucht gute Gründe, um die Leute vom Sofa wegzulocken." Mit Deluxe-Sesseln, Service am Platz, vielfältiger Gastronomie, Opernübertragungen, Premierenabenden und Live-Konzerten auf der Leinwand zeigen Kinos wie das Cinecittà, dass diese längst mehr sind als Filmvorführung. Kino ist Event, Erlebnis, Begegnung. "Die Leute wollen das Besondere", unterstreicht Wolfram Weber. Als Bully Herbig kürzlich zur Premiere seines neuen Films kam, hätten sie "locker drei Säle füllen können".
Kino ist, wenn Menschen zusammenkommen. Genau das bleibt sein größter Trumpf. Davon ist auch Florian Mundhenke überzeugt: "Das Kino wird bleiben. Es hat immer wieder neue Wege gefunden, sich behaupten zu können." Der Untergang des Kinos, sagt er, sei schon oft heraufbeschworen worden - als das Fernsehen Ende der 1950er zum Massenmedium wurde, ebenso wie mit dem Siegeszug von Netflix & Co. Doch jedes Mal habe das Kino überlebt.
Stricken im Kinosaal, Ablenkung vom Alltag
Das Kino wird aus Sicht des Medien- und Kommunikationswissenschaftlers an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg nicht verschwinden, weil es mehr ist, als bloß ein Ort, um die neuesten Filme zu schauen. Ein Kinobesuch sei immer auch ein Gruppenerlebnis. Man komme über den Film ins Gespräch, teile Emotionen, lache, schweige, staune gemeinsam. In einer Zeit, in der viele Einsamkeit beklagen, wird das Kino zur sozialen Insel, zum Gegenentwurf der individuellen Mediennutzung.
"In unserer heutigen Welt voller Probleme, Ängste und Frust ist der Kinobesuch ein Event, das für Ablenkung sorgt", so Florian Mundhenke. Für den Kinoexperten steht fest, dass das Kino etwas bietet, mit dem ein Filmabend auf der Couch nicht mithalten kann. Diese Erkenntnis treibt auch Kinobetreiber an, neue Formate zu entwickeln und sich immer wieder neu zu erfinden. Die Ideen, um die Kinosäle vollzubekommen, reichen von Strick-Events, bei denen Besucher im Sessel Masche an Masche reihend Filme schauen, bis zu Nachmittagen mit Kaffee und Kuchen für das ältere Publikum.
Stricken und Häkeln sind seit der Corona-Pandemie wieder in Mode gekommen. In "Knittingclubs" wird sich getroffen, um zusammen zu stricken und sich auszutauschen. Jetzt gibt es sogar eine Veranstaltung im Kino.
28.04.2025 | 1:46 minHerausforderung: Es fehlen die Filme
Im Kommen sind nach Ansicht von Florian Mundhenke zudem Festivals, bei denen beispielsweise nur französische Produktionen oder Dokumentarfilme gezeigt werden. "Hier werden häufig Filme gezeigt, die nicht im regulären Programm laufen und später auch nicht über Streamingplattformen zu besorgen sind. Das schafft Exklusivität und sorgt für einen großen Anreiz ins Kino zu gehen."
Neu im Kino: "Das Verschwinden des Josef Mengele" zeigt ihn bei seiner Flucht durch Südamerika. Als ihn sein erwachsener Sohn Rolf aufspürt, kommt es zu einem letzten, stummen Aufeinandertreffen zwischen den Generationen.
25.10.2025 | 2:45 minDoch trotz aller kreativen Ansätze gibt es auch Schattenseiten. Die Corona-Pandemie hat tiefe Spuren hinterlassen, jüngst sorgten Streiks der Drehbuchautoren und Schauspieler in den USA für Engpässe. "Wir brauchen alle zwei Wochen die Premiere eines größeren Films", sagt Wolfram Weber. "Wenn nur alle vier oder sechs Wochen ein neuer Titel startet, merken wir das sofort an den Besucherzahlen."
Kino wird zum Premium-Erlebnis
Mit Blick auf den technischen Wettstreit mit dem Heimkino winkt Wolfram Weber ab: "Die Bild- und Klangqualität, mit der wir einen Film zeigen, kann kein Wohnzimmer bieten - und vor allem riecht es da nicht so gut nach Popcorn." Tatsächlich haben auch Streamingdienste gelernt, dass der Zauber einer Kinopremiere offenbar durch nichts zu ersetzen ist. Viele ihrer eigenen Produktionen starten heute gezielt zuerst auf der großen Leinwand, um Aufmerksamkeit und Prestige zu gewinnen.
Moma-Filmkritikerin Anna-Rebekka Helmy empfiehlt die SciFi-Komödie "Bugonia" mit Emma Stone und die deutsche Komödie "No Hit Wonder" mit Florian David Fitz und Nora Tschirner.
29.10.2025 | 6:19 minDas Kino der Zukunft, so scheint es, lebt von der Magie des Analogen in einer digitalen Welt. Es wird luxuriöser, erlebnisorientierter, vielfältiger. Und doch wird das gemeinsame Erlebnis, die große Leinwand, Popcorn-Geruch und Applaus im Saal womöglich seltener. Das Kino, es wandelt sich zum Premium-Erlebnis, während das Streaming für den Filmabend im Alltag sorgt.
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