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Interview
Mehr stationäre Behandlungen:Essstörungen: Social Media "krankheitsförderlich"
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Immer mehr junge Mädchen müssen wegen einer Essstörung behandelt werden. Ihre Zahl verdoppelte sich binnen 20 Jahren. Warum das so ist, erklärt Facharzt Thomas Huber im Interview.
Immer mehr Mädchen und junge Frauen werden wegen Essstörungen stationär im Krankenhaus behandelt. (Symbolbild)
Quelle: Imago
Immer mehr junge Mädchen in Deutschland müssen wegen einer Essstörung stationär in einer Klinik behandelt werden. Im Jahr 2023 waren es unter den 10- bis 17-Jährigen knapp 6.000 Patientinnen. Mehr als doppelt so viele wie 20 Jahre zuvor. Die Zahlen über alle Altersgruppen blieben aber konstant.
Insgesamt waren vor zwei Jahren über alle Altersgruppen knapp über 12.000 Menschen betroffen. Die Patientinnen und Patienten werden also schlicht jünger. Thomas Huber ist Chefarzt an einer Spezialklinik zur Behandlung von Essstörungen. ZDFheute hat mit ihm über die Gründe gesprochen.
ZDFheute: Warum sind junge Mädchen besonders von Essstörungen betroffen?
Thomas Huber: Da muss man ehrlicherweise seriös sagen, dass wissen wir nicht wirklich. Es gibt aber einige naheliegende Erklärungen. Junge Frauen, aber auch Männer, kommen heutzutage früher in die Pubertät und die Pubertät ist ein ganz bekannter Risikofaktor für Essstörungen.
Es hat möglicherweise damit zu tun, dass diese herausfordernde Phase im Leben einfach früher eintritt, und dadurch werden die Menschen früher krank.
Thomas Huber, Chefarzt Klinik am Korso
ZDFheute: Welche Rolle spielen dabei Soziale Medien bei Essstörungen?
Huber: Es gibt durchaus Vertreter der Meinung, dass Essstörungen damit zu tun haben, dass Jugendliche immer früher und in immer ausgeprägterem Maße mit Sozialen Medien konfrontiert sind. In einigen Fällen gibt es dort eine Community, wo es viel um Äußeres, um Selbstdarstellungen, um Bestehen und sich mit anderen vergleichen geht, was alles Dinge sind, die für die Menschen krankheitsförderlich sind.
ZDFheute: Was sind häufige Gründe, die eine Essstörung auslösen können?
Huber: Essstörungen sind so individuell, wie Menschen das sind. Es gibt aber schon Themen, die wiederholen sich häufiger mal. Es gibt zum Beispiel das Thema Selbstwertgefühl. Wie sehr fühle ich mich mit mir selbst wohl, wie sehr gefalle ich mir, wie gut bin ich auch da resilient gegen Anfeindungen, wenn jemand mal was Kritisches mir gegenüber sagt?
Dann scheint es so zu sein, dass eine Essstörung häufiger mal zustande kommt oder entsteht, weil jemand in seinem Leben das Gefühl hat, 'ich habe wenig Kontrolle, es passieren Dinge, die ich nicht in meiner Kontrolle habe'.
Und dann etwas vereinfacht gesagt, kontrolliere ich zumindest mein Essen oder meinen Körper.
ZDFheute: 93 Prozent der Betroffenen in Kliniken waren Frauen. Warum sind Frauen so viel häufiger in Behandlung als Männer?
Huber: Auch diese Frage lässt sich nicht exakt beantworten. Es gibt aber bestimmte Risikofaktoren, von denen Frauen wahrscheinlich stärker betroffen sind als Männer. Bei Frauen ist das gesellschaftliche Schönheitsideal beispielsweise Schlankheit. Bei Männern geht es mehr um: "Hab Muskeln".
Es gibt auch die These, dass die Pubertät bei Mädchen früher einsetzt als bei Jungen. Sie werden sozusagen früher in einer vulnerableren Phase getroffen von diesen Veränderungen, die in der Pubertät stattfinden, sowohl die biologischen als auch die psychischen.
Dazu wissen wir, dass Männer dazu neigen, weniger zum Arzt zu gehen, sich weniger Hilfe zu holen, wenn sie ein Problem haben. Das tun sie natürlich noch mal weniger bei etwas, was als "Frauenkrankheit" gilt, wie zum Beispiel eine Magersucht.
Es gibt bei Männern also auch eine relativ hohe Dunkelziffer.
Hilfsangebote für Essstörung sind in den meisten Fällen lokal organisiert. Erste Anlaufstellen können verschiedene Institutionen sein:
Auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es eine entsprechende Datenbank. Professionelle Hilfe bieten auch Hausärztinnen und Hausärzte, die bei der Vermittlung an einen Psychologen oder eine Psychologin unterstützen können.
- Fachberatungsstellen für Essstörungen
- Psychosoziale Beratungsstellen
- Städtische Gesundheitsämter
- Sucht- und Drogenberatungsstellen
- Sozialmedizinische Dienste an Krankenhäusern
- Institutsambulanzen von psychiatrischen oder psychosomatischen Kliniken
Auf der Website der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung gibt es eine entsprechende Datenbank. Professionelle Hilfe bieten auch Hausärztinnen und Hausärzte, die bei der Vermittlung an einen Psychologen oder eine Psychologin unterstützen können.
ZDFheute: Haben Sie einen Ratschlag für Menschen, die Betroffene in ihrem Umkreis haben? Wie kann man helfen?
Huber: Wenn ich es bei jemand anderem beobachte, dann würde ich empfehlen, natürlich nur, wenn man in einem vertrauensvollen und guten Verhältnis ist, das offen anzusprechen und zu sagen: "Ich habe das Gefühl, du hast ein Problem mit dem Essen, kann das sein?" Dann aber auch zu respektieren, wenn jemand sagt, da will ich nicht drüber reden. Man kann jemanden da nicht zur Einsicht überreden.
Wenn man eine gute Beziehung hat, dann ist es natürlich schön, wenn man signalisiert: "Ich bin für dich da und ich helfe dir, wenn ich irgendwas tun kann für dich". Aber auch natürlich dazu zu raten, sich professionelle Hilfe zu holen.
Das Interview führte Johannes Lieber.
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