Wenn Trauer Weihnachten belastet: Wege gegen die Einsamkeit

Einsamkeit an Weihnachten:Feiern, wenn jemand fehlt

von Michael Kniess

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Wenn ein Platz am Tisch leer bleibt, tut Weihnachten besonders weh. Warum die Festtage Einsamkeit verstärken und welche Wege aus emotionaler Leere und Trauer führen.

Eine Kerze wird angezündet

Weihnachten gilt als Fest der Liebe und Familie. Doch in dieser Zeit kann Trauer besonders spürbar sein. Wie könnte man lernen, mit dem Verlust eines Menschen an Weihnachten umzugehen?

23.12.2025 | 3:33 min

Kaum eine Zeit im Jahr ist so stark auf Gemeinschaft ausgerichtet wie Weihnachten. Für viele ist das tröstlich. Für andere hingegen wird es zur Belastungsprobe. Wenn ein Partner gestorben, eine Beziehung zerbrochen oder der Kontakt zur Familie abgerissen ist, wird die Abwesenheit an diesen Tagen besonders schmerzhaft spürbar.

Zusammenkommen als empfundener Zwang

"Weihnachten bedeutet bei uns traditionell, dass die Familie zusammenkommt", sagt Thorsten Benkel, Soziologe an der Universität Passau. Dieser feste Termin sei tief verinnerlicht. "Man erlebt das für gewöhnlich die ersten Jahrzehnte seines Lebens jedes Jahr, eine sehr prägende Phase." Fällt dann plötzlich jemand weg, werde diese Lücke an Weihnachten stärker empfunden als an einem beliebigen Tag im Jahr.

Nicht zuletzt, weil der Vergleich permanent präsent ist.

An Weihnachten, so empfinden es viele, hat man den Zwang, mit geliebten Menschen zusammen zu sein und das geht dann nicht.

Thorsten Benkel, Soziologe an der Universität Passau

Viele Menschen stehen im Kreis und legen ihre Hände aufeinander, von unten forografiert

Freunde treffen oder ein geselliger Konzertbesuch - immer mehr Menschen fehlt Austausch. Die Einsamkeit in der Gesellschaft nimmt zu. Wie ist wieder mehr Gemeinschaft möglich?

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Rituale können Trauer wachrufen

Dabei wirken mehrere Faktoren zusammen. Rituale wiederholen sich, Erinnerungen werden aktiviert. Auslösende Ereignisse, die Trauer immer wieder wachrufen, nennt es Frieder R. Lang, Leiter des Lehrstuhls für Psychogerontologie an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Gemeinsame Abläufe - der Gang zur Kirche, das Essen, die Bescherung - fehlen plötzlich.

Besonders belastend sei das erste Weihnachten ohne den Partner nach jahrzehntelanger Beziehung: "Es ist schlichtweg allein deshalb traurig, weil es anders verlaufen wird, als man es lange gewohnt war."

Initiative Gemeinsamkeit

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Weihnachten entzaubern ist keine Lösung

Hinzu kommt der gesellschaftliche Druck. Werbung, Filme und soziale Medien zeichnen ein Bild von Harmonie und Nähe.

Man fühlt sich defizitär, wenn man all das nicht mehr hat.

Prof. Frieder R. Lang, Psychologe

weihnachtsbaum im gefaengnis

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Was also tun? Die einfache Lösung, Weihnachten zu entzaubern und es auch nur zu einem Tag wie jeden anderen zu machen, hält Thorsten Benkel zwar für in der Theorie logisch, aber im echten Leben kaum praktikabel. Zu tief sei die Bedeutung kulturell verankert.

Helfen können Trauergruppen

Stattdessen setzen viele auf pragmatische Strategien: sich bewusst unter Menschen begeben, etwa bei offenen Weihnachtsessen oder alternative Rituale entwickeln, wie einen Kurztrip machen. All das kann helfen, die Tage weniger leer zu erleben.

Doch auch Frieder R. Lang warnt vor vermeintlich schnellen Auswegen. Schmerz und Trauer ließen sich nicht einfach wegorganisieren. "Man muss die Gefühle wahrnehmen und akzeptieren. Erst dann kann man damit umgehen", gibt er zu bedenken.

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Helfen können Trauergruppen, wie die der LAVIA Familientrauerbegleitung in Gelsenkirchen. Dort begleitet Mechthild Schroeter-Rupieper seit über 30 Jahren Familien, die Angehörige verloren haben. "Es ist so eine Lücke da. Und dann geht es darum, wie gehe ich mit dieser Lücke zu Weihnachten um?", erzählt sie in der ZDF-Sendung "Volle Kanne".

Manchen helfe dagegen ehrenamtliches Engagement. "Oft ist der beste Weg aus der Einsamkeit, anderen etwas zu schenken und zu geben", so Frieder R. Lang.

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Selbstvorwürfe verstärken Melancholie

Ob Einsamkeit nach einer Trennung oder nach einem Todesfall entsteht, macht dabei einen Unterschied. Stirbt jemand, sei das ein unabwendbares Schicksal und mitunter sogar leichter zu ertragen, sagt Thorsten Benkel. Schwieriger könne es bei Trennungen sein, weil Selbstvorwürfe hinzukommen: "Man fragt sich, was man anders machen hätte können." Das verstärke die Melancholie.

Zugrunde liegt ein größeres gesellschaftliches Problem. Die zunehmende Individualisierung habe zwar die Freiheit gebracht, den eigenen Willen, das eigene Interesse und die Selbstverwirklichung in den Vordergrund stellen zu können. Stabile soziale Netze seien dadurch aber stark ausgedünnt. Familien seien kleiner, Bindungen lockerer.

Wenn die wenigen Menschen, denen man vertraut, wegfallen, ist man oft allein.

Thorsten Benkel, Soziologe an der Universität Passau

Weihnachten lege diese Leerstelle schonungslos offen.

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Perspektivwechsel als Lösung

Die eine Lösung dafür gibt es nicht. Aber vielleicht einen Perspektivwechsel: die Tage nicht als Prüfung zu begreifen, die man "bestehen" muss, sondern als Anlass ehrlich hinzuschauen. "Sich trauen, es auch als Chance zu verstehen, etwas Neues auszuprobieren", nennt es Frieder R. Lang. Nicht, um den Verlust zu ersetzen, sondern um ihm einen Platz zu geben.

Über dieses Thema berichtete "Volle Kanne" am 23.12.2025 ab 09:05 Uhr.

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