Kontaktabbruch: Wenn Kinder ihre Eltern nicht mehr sehen wollen
Verlassene Eltern:Kontaktabbruch: Wenn Kinder sich abwenden
von Saskia Schüring
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Plötzlich Funkstille: Meist sind es erwachsene Kinder, die ihre Eltern nicht mehr sehen wollen. Was die Gründe sind und warum der Kontaktabbruch eine Chance sein kann.
Dass es innerhalb einer Familie zu Streit kommt, ist normal. Immer häufiger haben jahrelange Konflikte jedoch Kontaktabbrüche zur Folge. Dabei geht die Initivative meist von den Kindern aus.07.03.2025 | 4:25 min
Jeder Fünfte weltweit ist von einem Kontaktabbruch in der Familie betroffen. Heike Arendt ist eine von ihnen. Sieben Jahre hat sie nicht mit ihrer Mutter gesprochen. Warum, erklärt sie so: "Sie hat mich als Kind immer wieder verletzt, nicht körperlich, aber psychisch. Die Beziehung zu meiner Mutter war eher eine Art kalter Krieg."
Heikes Mutter war überwiegend alleinerziehend, führte ein Unternehmen, pflegte ihre kranke Mutter. Heike fühlte sich drangsaliert, ihre Mutter sei grenzüberschreitend gewesen und hätte sie dauernd kontrolliert. Heike fühlte sich auch körperlich unwohl bei ihrer Mutter und wollte sie als Erwachsene nicht mehr besuchen. Heikes Mutter higegen versuchte, den Kontakt zu ihrer Tochter nie ganz abreißen zu lassen und schrieb ihr immer wieder, sodass Heike schließlich den Kontakt völlig abbrach.
Welche Gründe haben Kinder für einen Kontaktabbruch? Welche Anzeichen gibt es und wie können betroffene Eltern reagieren? Therapeutin Claudia Haarmann im Gespräch.07.03.2025 | 6:38 min
Zu wenig oder zu viel Nähe
Die Therapeutin Claudia Haarmann berät in ihrer Praxis zum Thema Kontaktabbruch. "Das ist für die verlassenen Eltern sehr schmerzhaft und kann Wochen, Monate und sogar Jahre dauern." Wenn die Kinder den Kontakt zu den Eltern abbrechen, gibt es für diese oft auch keinen Kontakt mehr zu den Enkeln.
Im amerikanischen Raum spricht man bereits von einer stillen Epidemie.
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Claudia Haarmann, Heilpraktikerin für Psychotherapie
Zu wenig Nähe oder zu viel Nähe und Einmischung - es gebe ganz unterschiedliche Begründungen, warum es zur Funkstille kommt, sagt Claudia Haarmann. Dies bestätigt auch der Diplom-Psychologe und psychologische Psychotherapeut Franz Ruppert: "Grundsätzlich fühlen sich die Kinder nicht gesehen und missverstanden. Einige empfinden ihre Eltern als lieblos, andere halten sie für übergriffig." Der Kontaktabbruch sei für Kinder dann die letzte Chance, sich vor weiteren Verletzungen zu schützen.
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"Wir leben in einer Zeit, in der viel über toxische Eltern und narzisstische Eltern geredet wird. Und damit werden viele Stempel aufgedrückt, die zu nichts führen", skizziert Claudia Haarmann. Dabei gehe es um gegenseitiges Verständnis, sagt sie. "Die heute 80-Jährigen sind noch im Krieg aufgewachsen, viele aus dieser Generation haben nie gelernt, über ihre Gefühle zu sprechen", gibt die Therapeutin zu bedenken. Es gehe nicht um Schuld, sondern vielmehr um Unvermögen. Meist geschehe dies in Familien, die über mehrere Generationen Probleme aufgebaut haben.
Wie es zur Kontaktsperre kommt
Der Kontaktbruch passiere nicht einfach so, sagt Claudia Haarmann. Es gebe Vorboten. "Man spürt schon länger eine Atmosphäre, in der keine Offenheit da ist. Da wird lieber über Rezepte, Urlaube und das Wetter geredet, statt die Konflikte offen anzusprechen." Aber das sei wichtig, betont sie.
Es gebe viele Hinweise und Warnsignale, etwa wenn die Kinder immer seltener zu Besuch kommen. Wenn Kinder fordern, dass ihnen zugehört wird, sollte man darauf reagieren und nicht mit Rechtfertigungen antworten. "Fragen Sie ihr Kind ganz offen, warum es nur noch so selten kommt, was das Kind sich von Ihnen wünscht. Und setzen Sie sich auch mit Ihrer Vergangenheit auseinander."
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Akzeptanz ist der erste Schritt zur Versöhnung
Psychologe Franz Ruppert rät: "Wichtig ist, die Entscheidung des Kindes erst mal zu akzeptieren." Man solle auf keinen Fall mit Schuldzuweisungen reagieren oder Druck aufbauen, sondern die Zeit nutzen, um sich mit sich selbst auseinanderzusetzen. Dann erst könne man dem Kind auch Angebote für eine Mediation machen.
Die gute Botschaft ist, dass die meisten Kinder tatsächlich eines Tages wieder zurück zu ihren Eltern finden.
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Kontaktabbruch als Chance
"Meine Mutter hätte den Kontraktabbruch verhindern können, wenn sie mal ihr eigenes Verhalten reflektiert hätte, statt mich zu fragen, was sie falsch gemacht hat", sagt Heike heute. Sieben Jahre war Schweigen. Tochter und Mutter nutzten die Zeit für Therapien und Selbstreflexion. Für beide war die Kontaktsperre am Ende die einzige Möglichkeit, wieder respektvoll zueinanderzufinden.
Als Heike ihre Mutter anrief, um sie zu ihrer Promotionsfeier einzuladen, reagierte diese ganz verständnisvoll und ging auf die Sorgen ihrer Tochter ein. "Das war für mich wie ein Wunder, dass meine Mutter sich so verändert hatte", beschreibt Heike ihre Empfindungen bei der erneuten Kontaktaufnahme. "Es war ein erwachsenes Gespräch, danach habe ich mich immer gesehnt." Die beiden sind seitdem wieder in einem vorsichtigen, aber hoffnungsvollen Kontakt.
Saskia Schüring ist Redakteurin der Sendung "Volle Kanne - Service täglich".
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Quelle: dpa
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