WTO-Chefin ruft Weltgemeinschaft um Hilfe: "Es es geht um jetzt!"

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WTO-Chefin ruft Weltgemeinschaft um Hilfe:"Geht nicht um die nächsten zehn Jahre - es geht um jetzt!"

Florian Neuhann - Autorenfoto September 2024

von Florian Neuhann

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Mit einem leidenschaftlichen Appell wendet sich die WTO-Chefin im ZDF-Interview an die Weltgemeinschaft. Die Welthandelsorganisation müsse dringend reformiert werden.

Florian Neuhann im Gespräch mit Ngozi Okonjo-Iweala, Generaldirektorin der WTO

Das globale Handelssystem erlebt Umbrüche. Florian Neuhann im Gespräch mit Okonjo-Iweala, Generaldirektorin der WTO.

21.11.2025 | 8:47 min

Auf die ersten Fragen antwortet WTO-Chefin Ngozi Okonjo-Iweala noch beschwichtigend, gibt sich beinahe irritiert. Natürlich sei die Welthandelsorganisation noch lebendig - als sei schon die Frage unerhört. Und ja, natürlich funktioniere das System des regelbasierten Welthandels noch.

Man beginnt schon, sich zu wundern, ob man über dasselbe Thema spricht. Das Welthandelssystem, das unter anderem von Donald Trumps Serie von Zöllen erschüttert wird? Dessen Regeln kaum noch ein großes Land zu interessieren scheinen? Die Welthandelsorganisation, deren Streitschlichtung seit Jahren nicht mehr funktioniert?

Florian Neuhann

Der freie Welthandel steht aktuell unter Druck: durch Zölle, geopolitische Spannungen und Kriege. Werden zukünftige Märkte sich weiter abschotten oder hat die Globalisierung noch eine Chance?

24.11.2025 | 43:30 min

"Wir müssen uns reformieren"

Doch dann wechselt Okonjo-Iweala die Rhetorik. Und die 71-jährige nigerianische Harvard-Ökonomin, seit 2021 Generaldirektorin der Welthandelsorganisatorin WTO, formuliert einen leidenschaftlichen Appell - der beinahe wie ein Hilferuf klingt.

Ob es die WTO in zehn Jahren noch gebe? "Es geht nicht um die nächsten zehn Jahre - es geht um jetzt", sagt Okonjo-Iweala, die nicht nur am Hauptsitz der WTO in Genf als "Doctor Ngozi" bekannt ist. Und weiter:

Der Status Quo ist keine Option. Wir müssen uns reformieren. Es wird sehr schwierig, aber wir müssen es tun!

Ngozi Okonjo-Iweala, WTO-Generaldirektorin

Die nigerianische Generaldirektorin der Welthandelsorganisation (WTO), Ngozi Okonjo-Iweala, spricht mit den Medien über den Bericht „Globaler Handelsausblick und Statistiken“.
Quelle: epa

... wurde 1954 in Nigeria geboren. Sie studierte Wirtschaftswissenschaften an der renommierten Harvard-Universität in den USA. Lange Jahre arbeitete sie bei der Weltbank, unterbrochen von mehreren Einsätzen als Ministerin, unter anderem für Finanzen, in ihrem Heimatland Nigeria. 2021 wurde sie zur Generaldirektorin der WTO gewählt. Sie ist die erste Frau und die erste afrikanische Person in diesem Amt. Okonjo-Iweala, Mutter von vier Kindern und mehrfache Großmutter, besitzt die nigerianische und US-amerikanische Staatsbürgerschaft


Das Problem einer solchen Reform kennt Okonjo-Iweala natürlich. Die WTO umfasst 166 Mitgliedstaaten - ein einziges Veto, ob aus den USA oder China, kann jede Reform im Keim ersticken. Im Interview mit ZDFheute betont die WTO-Chefin zwar, man sei "stolz" darauf, dass das kleinste Mitgliedsland die gleiche Stimme habe wie das größte. Aber sie stellt auch klar: Die WTO müsse das Prinzip, dass immer nur im Konsens aller Mitgliedstaaten entschieden werde, überprüfen.

"Wir müssen Entscheidungen flexibler und schneller treffen können - denn die Welt verändert sich sehr, sehr schnell."

Ngozi Okonjo-Iweala, WTO-Generaldirektorin

WTO seit Jahren gelähmt

Fraglich aber bleibt, ob dieser Appell gehört wird - insbesondere von den USA und China. Tatsächlich blockieren die USA schon seit 2019 - und nicht nur unter Präsident Trump, sondern auch unter Joe Biden - die Ernennung neuer Richter für das Berufungsgericht. Bei Handelsstreitigkeiten können die üblichen WTO-Schiedsverfahren seitdem ins Leere laufen. Okonjo-Iweala rühmt im Interview, dass ein Kreis von Mitgliedstaaten daher ein alternatives Schiedsverfahren ins Leben gerufen habe - doch gegen die Zölle der USA kann dieses nichts ausrichten.

Freier Welthandel als "Sündenbock"

Im Interview - das für eine ZDF-Dokumentation zur "Zukunft des Handels" entstand - wirbt Ngozi Okonjo-Iweala leidenschaftlich für die Idee des freien und fairen Handels. Von diesem hätten nicht nur reiche Länder profitiert: der freie Handel habe 1,5 Milliarden Menschen in Entwicklungsländern und Schwellenländern aus der absoluten Armut befreit. Jetzt werde der weltweite Handel zum "Sündenbock" gemacht - und zwar völlig zu Unrecht.

Die aktuellen Verwerfungen im Welthandel bezeichnet sie als "die größten Umbrüche seit 80 Jahren". Zugleich sei die Welthandelsordnung überraschend widerstandsfähig: Weiterhin würden drei Viertel des weltweiten Handels nach WTO-Regeln ablaufen, so Okonjo-Iweala.

Eine Fußgängerampel neben dem Eingang zum Hauptsitz der Welthandelsorganisation (WTO) in Genf, Schweiz.

Die Welthandels-Organisation WTO befürchtet durch Trumps Zölle einen Rückgang des globalen Handels um ein Prozent. Auch der Währungsfonds IWF betrachtet die Zölle als Risiko.

04.04.2025 | 0:24 min

Ein Rat für Deutschland: Breiter aufstellen!

Schließlich hat die streitbare Ökonomin auch einen Rat für Deutschland parat, das als Exportnation besonders stark von den Verwerfungen im Welthandel betroffen ist. Deutschland sei zu abhängig von den USA, was den Verkauf von Waren angeht - und zu abhängig von China bei kritischen Rohstoffen. "Es ist an der Zeit, sich breiter aufzustellen", sagt Okonjo-Iweala. "Zu große Abhängigkeit schadet."

Florian Neuhann leitet das ZDF-Team Wirtschaft und Finanzen.

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