CDU-Politiker Radtke: "Einfach mit dem Bullshit-Bingo aufhören"

Interview

CDA-Chef zur Sozialstaat-Debatte:"Einfach mal mit dem Bullshit-Bingo aufhören"

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Kanzler Merz hält den Sozialstaat für nicht mehr finanzierbar. "Bullshit", sagt Ministerin Bas. CDU-Politiker Radtke fürchtet, Union und SPD könnten so in Ampelfahrwasser geraten.

Friedrich Merz und Dennis Radtke

Die Bundesregierung ringt um eine Reform des Sozialstaats. Während Bundeskanzler Merz Reformen für überfällig hält, bezeichnete Arbeitsministerin Bas die Debatte als "Bullshit".

01.09.2025 | 2:06 min

ZDFheute: CSU-Chef Markus Söder spricht sich für eine Reform der Erbschaftssteuer aus. Sie könne von einigen Bundesländern angehoben werden, von anderen nicht. Gehen Sie mit?

Dennis Radtke: Friedrich Merz hat ja der Idee einer Regionalisierung der Erbschaftssteuer direkt eine Absage erteilt. Das halte ich auch für sinnvoll. Mir geht es darum, dass wir offenkundige Lücken bei der Erbschaftssteuer schließen. Da reden wir von Erbschaften bei Milliardenvermögen, wo durch Lücken in der Gesetzgebung am Ende gar nichts an Steuern gezahlt wird.

Ich will nicht an Omas Häuschen oder den Handwerksbetrieb ran, der in die nächste Generation übergeben wird. Mein Vorschlag geht in eine ganz andere Richtung und hat mit Steuererhöhungen nichts zu tun.

Dennis Radtke
Quelle: dpa

Dennis Radtke (CDU) ist Mitglied des Europäischen Parlaments und Vorsitzender der Christlich Demokratischen Arbeitnehmerschaft Deutschlands. Die CDA ist eine Vereinigung innerhalb der CDU mit dem inhaltlichen Schwerpunkt Sozialpolitik.


ZDFheute: Und dennoch haben Sie eine Erhöhung der Reichensteuer ins Gespräch gebracht. Im Moment zahlt jemand, der mehr als knapp 278.000 Euro im Jahr verdient, einen Spitzensteuersatz von 45 Prozent. Sollten es mehr sein? 48 Prozent?

Radtke: Für mich wäre das Schließen von Schlupflöchern bei der Erbschaftsteuer viel dringlicher.

Bei der Reichensteuer oder beim Spitzensteuersatz tue ich mich schwer damit zu sagen: Na, packen wir da doch noch ein Schnaps obendrauf.

Dennis Radtke, CDU

Wir haben seinerzeit in der internen Diskussion um das neue Grundsatzprogramm der CDU über die Idee geredet, ob man an der Spitze den Tarif steiler gestalten kann, um für mehr Entlastungen in der Mitte zu sorgen. Das wurde damals ganz offen diskutiert, irgendwann aber wieder eingesammelt. Ich fand das damals eine gute Diskussion.

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02.09.2025 | 8:36 min

ZDFheute: Sie können sich eine Erhöhung der Reichensteuer im Moment also nicht vorstellen?

Radtke: Ich weiß ja, wo Sie hinwollen. Aber mir geht es nicht darum, jetzt nach einer höheren Reichensteuer zu rufen. Es macht keinen Sinn, Themen wieder aufzumachen, die schon im Koalitionsvertrag nicht Konsens waren. Sondern ich glaube, dass das Schließen von Lücken bei der Erbschaftssteuer ein guter Ausweg für diese Koalition sein könnte.

ZDFheute: Hat Sie Friedrich Merz eingenordet?

Radtke: Nein, warum?

ZDFheute: Weil Merz im ZDF-Sommerinterview Steuererhöhungen ausgeschlossen hat. Gibt es da Konsens zwischen Ihnen? Die SPD sagt ja, Steuererhöhungen sind nicht vom Tisch.

Radtke:

Wir müssen einfach mal mit diesem Bullshit-Bingo aufhören.

Dennis Radtke, CDU

Also sich gegenseitig mit Forderungen und Drohungen zu überziehen. Wir müssen bei der Kommunikation ein bisschen aufpassen, dass wir nicht in ein Ampelfahrwasser geraten.

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02.09.2025 | 0:25 min

ZDFheute: SPD-Chef Lars Klingbeil sagt, 2027 fehlen im Haushalt 30 Milliarden Euro. Wenn die Steuern für Reiche nicht erhöht werden - wo kommt laut CDU das Geld denn dann her?

Radtke: Ich weiß nicht, ob das zum Theaterdonner eines jeden Finanzministers dazugehört. Aber ich empfehle, mal einen Blick zurückzuwerfen. Das Haushaltsloch war vor den letzten Beratungen in den letzten zehn, 20 Jahren fast immer auf den Euro genau 30 Milliarden. Und es ist am Ende immer wieder gelungen, diese Lücke zu schließen.

ZDFheute: Aber wie denn?

Radtke: Das geht nur, indem man mal drüber redet, wo wir weniger Geld ausgeben wollen. Gerade in Zeiten knapper Mittel muss man vielleicht auch mal sagen, wo wir Prioritäten setzen.

Friedrich Merz

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ZDFheute: Das klingt wahnsinnig unkonkret. Wie denn? Was ist das Konzept der Union?

Radtke: Ich bin kein Haushälter, der die Einzelpläne durchgeht und sagt: Da können wir noch einmal 500.000 Euro streichen und hier 800.000. Dafür haben wir einen Finanzminister und ich erwarte von ihm geeignete Vorschläge.

Die Debatten um den Sozialstaat und den Haushalt verschränken sich ja. Das hilft uns in der Sache aber nicht weiter. Wenn wir über strukturelle Reformen in der Sozialversicherung reden, muss das losgelöst stattfinden von der Frage nach einer Lücke im Haushalt von 30 Milliarden Euro.

Das Interview führte Dominik Rzepka, ZDFheute-Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio.

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