Ex-Botschafter Stein: Israel helfen, "sich selbst zu retten"

Interview

Ex-Botschafter:Stein: Israel helfen, "sich selbst zu retten"

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Der ehemalige Botschafter Israels in Deutschland, Schimon Stein, sorgt sich um sein Land. "Wir haben einen Punkt erreicht, wo man Israel helfen muss, sich selbst zu retten."

Schimon Stein, ehemaliger israelischer Botschafter
Schimon Stein war von 2001 bis 2007 Botschafter Israels in Deutschland.
Quelle: ZDF

ZDFheute: Herr Stein, wie schauen Sie heute auf Ihr Land?
Schimon Stein: Mit großem Bedauern, denn seit dem 7. Oktober haben wir es mit einer traumatisierten Gesellschaft zu tun und mit einem Ministerpräsidenten, der versucht, das demokratische System zu unterwandern.

Ich blicke mit großer Sorge auf die Zukunft des Staates. Wir sind an einem der dunkelsten Momente in der Geschichte angelangt.

Schimon Stein, ehemaliger Botschafter Israels in Deutschland

ZDFheute: Welche Verantwortung hat Ministerpräsident Netanjahu für diese dunklen Stunden?
Stein: Er hat eine zentrale Verantwortung. Er versucht, Israel von einer Demokratie hin zu einer Autokratie umzuwandeln, vergleichbar mit Orbán oder Trump. Am Ende wollen wir aber demokratisch und jüdisch bleiben. Seit dem 7. Oktober fehlt mir von ihm eine klare Strategie. Dass Israel erfolgreich war bei dem militärischen, taktischen Vorgehen in Gaza, das steht ja außer Frage. Aber es blieb nur beim Militärischen und Taktischen, ohne dass dazu eine politische Dimension kam, eingebettet in der Frage, was passiert in Gaza am Tag danach.
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ZDFheute: Es gibt viel internationalen Druck auf Israel. Zu Recht?
Stein: Mit Recht gibt es Kritik. Es herrscht momentan Chaos in Gaza. Wir haben internationalen Organisationen nicht erlaubt, die humanitäre Lage zu verbessern.

Heute ernten wir die Früchte dieser Fehlentscheidung, die dazu geführt hat, dass wir am Bildschirm diese Bilder sehen.

Allerdings habe ich auch Probleme mit den Bildern, weil ich meine, dass nicht alle so authentisch sind. Aber leugnen kann man nicht, dass die humanitäre Lage in Gaza dramatisch schlecht ist und dringend verbessert werden muss.
ZDFheute: Welche Verantwortung trägt die Hamas?
Stein: Die Hamas trägt für Israel eine zentrale Verantwortung. Die israelischen taktischen Überlegungen waren, die Hamas zu liquidieren, politisch und militärisch. Jetzt benutzt die Hamas die Macht, die sie überhaupt noch hat, um der Bevölkerung einen Teil des Nachschubs wegzunehmen, sodass nicht alles, was reingeht, auch ankommt.

SGS Walpot Sievers Gaza
26.07.2025 | 2:56 min
Die Regierung werde den Bericht der "New York Times", dass die Hamas nicht systematisch UN-Hilfsgüter abzweige, "natürlich dementieren", sagt ZDF-Reporter Luc Walpot. Es gebe aber seitens der Vereinten Nationen "seit langem das energische Dementi, dass aus ihren Hilfslieferungen nichts an die Hamas ging und auch nichts abgezweigt wurde".

Der Bericht stelle zwar heraus, dass "bei einigen kleinen Hilfsorganisationen durchaus die Hamas mal zugegriffen hat", aber eben nicht beim großen System der UN. Denn dabei werde sichergestellt, dass die gesamte Lieferkette in Händen der Vereinten Nationen bleibe.

Dass Israel behaupte, dass von UN-Hilfslieferungen etwas an die Hamas ginge, "zeigt eben auch das Verhältnis von Israel zu den Vereinten Nationen", so Walpot. "Israels Regierung möchte nicht, dass die Vereinten Nationen dort weiter Hilfsmittel verteilen, aber dieser Bericht wird sie unter Druck setzen."

In Israel gebe es nun zumindest "einige Hinweise darauf, dass man das System nicht mehr so weiterführen kann wie bisher". Die Armee habe bereits seit Monaten in internen Sicherheitssitzungen "ganz klar ihre Bedenken geäußert, dass das System nicht funktioniert". Über diese Warnungen habe sich die Regierung aber hinweggesetzt. Nun seien jedoch eine neue Luftbrücke und Hilfskorridore angekündigt. "Offenbar kommt da etwas in Bewegung. Wie effizient das dann ist, müssen wir in den kommenden Tagen sehen", so Walpot.

ZDFheute: Der deutsche Außenminister ist aktuell zu Gesprächen in Israel. Was sind Ihre Erwartungen?
Stein: Meine Erwartungen sind bescheiden. Es wäre gut, wenn der Außenminister bei seinem Besuch die große Sorge der deutschen Bundesregierung im Hinblick auf das israelische Vorgehen in Gaza übermittelt, und dass die Deutschen bitten, dass alles getan werden muss, um den Krieg zu beenden.

Aber Israel ist nur ein Teil des Spiels und nicht der einzige Spieler auf diesem Feld.

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Meine Erwartung ist, dass mit klaren Worten gesagt wird, dass, wenn sich nichts spürbar ändert im humanitären Feld, dann muss Israel mit Maßnahmen, mit Sanktionen rechnen. Ich meine Zuckerbrot und Peitsche.

Wir haben einen Punkt erreicht, wo man Israel helfen muss, sich selbst zu retten.

Wenn Israel es nicht versteht, dann muss man als Staat, der eine gewisse Verantwortung für Israel hat, auch dafür sorgen, dass Israel versteht, dass man es jetzt ernst meint, das Worte nicht reichen.
ZDFheute: Welche Sanktionen meinen Sie?
Stein: Ich glaube, dass man dem Beispiel Hollands folgen sollte und die zwei, drei Minister, die im Kabinett sitzen, Smotrich und Ben-Gvir, die messianisch sind, die rassistisch sind, mit einem Einreiseverbot belegen muss.
Was man nicht tun sollte, was innerhalb der Europäischen Union diskutiert wird, ist, das Assoziierungsabkommen auszusetzen und damit auch die Gelder für israelische Universitäten und Forschungseinrichtungen. Das sind genau die Orte, wo man sich gegen die Regierung stellt. Sie zu boykottieren und zu bestrafen, finde ich ganz problematisch.

Man muss einen Unterschied machen zwischen der Regierung und der Zivilgesellschaft.

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ZDFheute: Frankreichs Präsident Macron hat angekündigt, den palästinensischen Staat anerkennen zu wollen, der britische Premier Starmer ebenfalls. Was ist das für ein Signal?
Stein: Es ist ein Symbol, ein Akt der Bestrafung Israels für sein Verhalten. Aber wenn Sie mich fragen, welche Folgen eine Anerkennung an Ort und Stelle hat? Dann sage ich: null. Und wenn ich von der Hamas wäre und auf diesen Sturm blicken würde, dann sage ich, ich mache weiter so, ich muss nichts tun, der Druck auf Israel wird erhöht, auf mich aber fast gar nicht.
Insofern verstehe ich diesen Aktionismus nicht als einen ernsthaften Versuch, in der Frage der Zwei-Staaten-Lösung voranzukommen, sondern einfach als eine Reaktion, die mehr mit Frustration und Emotionen zu tun hat, als mit der Sache selbst.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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Quelle: dpa

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