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Bürgerhaushalt und Bürgerbudget:Wenn Bürger über den Haushalt mitentscheiden
von Marcus Groß
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Über öffentliche Gelder mitentscheiden - in vielen Kommunen ist das möglich, mit Bürgerhaushalt und Bürgerbudget. Was geplant wird und wie sinnvoll das ist: Beispiel Eberswalde.
Wer in Eberswalde oder Potsdam wohnt, kann über öffentliches Geld mitentscheiden: Der Bürgerhaushalt macht es möglich. (Archivbild)
Quelle: Patrick Pleul
Regelmäßig gehen bei Lars Stepniak und seinem Team im Rathaus neue Ideen ein. Seit 2012 dürfen alle Einwohner von Eberswalde ab 14 Jahren das ganze Jahr über Vorschläge einreichen - für das Bürgerbudget. Die Stadt prüft Kosten, Zuständigkeit und Machbarkeit - die Entscheidung aber treffen die Bürgerinnen und Bürger selbst.
Übers Bürgerbudget stimmen die Einwohner ab
Die Ideen sind so vielfältig wie die Stadt, sagt Stepniak, der das Projekt koordiniert: eine Wasservernebelungsanlage für heiße Tage, Solarlampen am Kanal oder ein betreuter Taubenschlag. Den hat Barbara Juschitz vorgeschlagen.
In einem betreuten Taubenschlag könnten die Tiere artgerecht gefüttert und die Eier gegen Gipseier ausgetauscht werden. So könne man die Population besser kontrollieren. "Besser so als diese Taubenspieße, an denen sich die Tiere verletzen", sagt die 42-Jährige. Es ist das erste Mal, dass sie einen Vorschlag eingereicht hat. Die Idee des Bürgerhaushalts findet sie klasse.
Auch 2024 konnte in Eberswalde über ein Bürgerbudget abgestimmt werden.
Quelle: ZDF
46 Vorschläge sind in der Stadt bereits eingegangen. Ende September wird abgestimmt - online und vor Ort. 50.000 Euro stehen bereit.
Die Projekte mit den meisten Stimmen werden umgesetzt, solange das Budget reicht.
Lars Stepniak, Koordinator Bürgerbudget Eberswalde
Idee aus Brasilien - weltweites Modell
Die Idee stammt aus Brasilien: 1989 begann in Porto Alegre die Geschichte des Bürgerhaushalts. Ziel war es, soziale Ungleichheit zu verringern und Korruption zu verhindern.
Bürgerhaushalte wurden weltweit zum Modell: In Seoul wurden zwischen 2012 und 2017 Projekte im Wert von 200 Millionen Euro umgesetzt. In Paris entscheiden Bürger jährlich über mehr als 100 Millionen Euro, in Helsinki über rund zehn Millionen.
Bürgerhaushalte in Deutschland
Auch in Deutschland gibt es Bürgerhaushalte seit den frühen 2000er-Jahren. "Am Anfang gab es große Euphorie", sagt Jörg Sommer vom Berlin Institut für Partizipation. Doch Haushaltsplanung ist komplex und Bürgerbeteiligung keine Pflicht. Viele Kommunen gaben die Verfahren auf.
Echte Bürgerhaushalte sind selten geworden, sagt Sommer. Stattdessen setzen Kommunen zunehmend auf Bürgerbudgets wie in Eberswalde. Der größte Unterschied: Beim Bürgerhaushalt können die Bürger Vorschläge einreichen, über die Stadt- oder Gemeinderat dann entscheiden. Beim Bürgerbudget entscheiden die Menschen selbst.
Am "Tag der Entscheidung" bestimmen die Einwohner, wie das Geld aus dem Bürgerbudget eingesetzt werden soll.
Quelle: ZDF
In Eberswalde stehen in diesem Jahr 50.000 Euro - 0,05 Prozent des städtischen Haushalts - zur Verfügung. Die Bürger schlagen Projekte vor und stimmen direkt ab. Wie hoch das Budget ist und wie das Verfahren gestaltet wird, ist jedoch von Kommune zu Kommune sehr unterschiedlich.
Allen gemeinsam ist das Ziel: mehr Selbstverwaltung und politisches Empowerment für die Menschen vor Ort. Heute nutzen etwa 180 Kommunen in Deutschland Bürgerbudgets. Der Trend ist leicht steigend.
Demokratie vor Ort stärken
Für den Politikwissenschaftler Prof. Dr. Fabian Schuppert von der Uni Potsdam sind Bürgerbudgets ein Weg, Demokratie erlebbar zu machen. Sie fördern Vertrauen, Teilhabe und politische Bildung. Schuppert sagt:
Ich glaube, dass Bürgerhaushalte noch mehr Potenzial haben, wenn Budgets und Entscheidungskompetenzen wachsen.
Prof. Dr. Fabian Schuppert, Politikwissenschaftler
Nötig sei mehr Mut in den Kommunen, die Menschen auch in Haushaltsfragen mitbestimmen zu lassen. Aber auch Schuppert bemerkt, dass die Partizipation in Sachen finanzieller Mitbestimmung durch die Bürger rechtlich noch schwierig ist; das könnte aber geändert werden.
Bürger an Haushaltsentscheidungen zu beteiligen, könnte dann dazu beitragen, etwas gegen weitverbreitete Politikverdrossenheit zu tun. Machen statt Meckern wäre dann die Devise.
Beteiligung unter Druck
Bürgerbeteiligung ist freiwillig und wird in Zeiten knapper Kassen zur Herausforderung. In Eberswalde wurde das Budget nach 2023 halbiert. Ein Beispiel, das viele Kommunen betrifft. Dennoch: Bürgerbudgets bleiben ein wertvolles Instrument für mehr Mitgestaltung und demokratische Teilhabe.
Marcus Groß ist Reporter im ZDF-Studio in Brandenburg.
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