Teen Courts: Wenn Jugendliche über Straffälle entscheiden

Teen Courts:Wenn Jugendliche über Straffälle entscheiden

von Louisa Hadadi
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In Schülergerichten simulieren Jugendliche keine Strafverhandlungen. Sie sprechen mit gleichaltrigen Beschuldigten über echte Taten und ihre Hintergründe - und suchen Lösungen.

Symbolbild für Schülergericht

In "Teen Courts" verhandeln speziell ausgebildete Jugendliche kleinere Straftaten. Wie funktioniert ein Schülergericht, welche Aufgaben haben die Schülerrichter und was bringen sie?

19.09.2025 | 3:26 min

Jugendliche, die statt erwachsener Richter*innen mit jungen Beschuldigten über die Tat sprechen und Auflagen festlegen: Das ist das Konzept sogenannter Teen Courts. In Deutschland engagieren sich fast 400 Schülerrichter*innen.

Fälle leichterer und mittlerer Kriminalität

Die Staatsanwaltschaft sucht geeignete Fälle aus und verweist sie an den Teen Court. Häufig geht es um Delikte wie Diebstahl, Sachbeschädigung, Körperverletzung oder Bedrohung. Voraussetzung ist, dass der Sachverhalt geklärt ist, der Täter geständig ist, und er der Sitzung beim Schülergericht zustimmt.

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Drei speziell ausgebildete Jugendliche bilden ein Schülergericht. In der Sitzung sprechen sie mit dem jungen Beschuldigten auf Augenhöhe. "Wir fragen die Beschuldigten, was sie in der Schule machen und wie sie mit ihren Freunden umgehen", erklärt der 17-jährige Liam Genscher.

Uns interessiert auch, wie die häuslichen Umstände sind. Häufig liegt dort das Problem.

Liam Genscher, Schülerrichter am Teen Court Wiesbaden

Besserer Zugang zu Gleichaltrigen

Der Gedanke hinter den Teen Courts: Die jungen Beschuldigten reden mit Gleichaltrigen anders als mit Erwachsenen und öffnen sich eher.

Die Schülerrichter*innen haben mehr Zeit, die Hintergründe der Tat zu erörtern. Nicht selten decken sie Missstände im persönlichen Umfeld der Beschuldigten auf. Dann kann weitere Hilfe gesucht werden.

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Individualisierte kreative Maßnahmen

Das Schülergericht verhängt keine Strafen, sondern der Tat angemessene Maßnahmen. Denkbar sind beispielsweise Anti-Aggressions-Trainings oder Kuchenbacken für das Altersheim.

Die Jugendlichen sollen die Tat reflektieren, damit das Leben in Zukunft straffrei abläuft.

Anna Hesse, Schülerrichterin

Darüber hinaus sollten die Maßnahmen persönlichkeitsbildend sein, erläutert die 18-jährige Anna Hesse. Jugendliche, die Graffiti sprühen, malen oft ein Bild für den Teen Court. Bei schwereren Taten müssen die Beschuldigten Sozialstunden ableisten.

Viele jugendlichen Straftäter*innen haben eine schwierige Vergangenheit. "Im Projekt wird ihnen nochmal klar, dass man ihnen nicht immer zeigen muss, was sie alles nicht können", sagt Oliver Schillimat, Pädagoge und Leiter des Teen Courts Wiesbaden.

Durch die Erfüllung der Auflagen können sie erleben, etwas gut zu bewerkstelligen.

Oliver Schillimat, Pädagoge und Leiter Teen Court Wiesbaden

Gibt sich der Beschuldigte Mühe und erfüllt die Maßnahme, stellt die Staatsanwaltschaft das Strafverfahren ein.



Bundesweit 21 Teen Courts

In vier Bundesländern gibt es Teen Courts. Vorreiter ist Bayern mit 14 Schülergerichten. Bayerns Justizminister Georg Eisenreich (CSU) betont nicht nur die höhere Akzeptanz der erarbeiteten Sanktionen, sondern sieht auch einen Mehrwert für den Rechtsstaat.

Die Schülerrichter übernehmen Verantwortung und setzen sich für die Durchsetzung des Rechts ein.

Georg Eisenreich, bayerischer Staatsminister der Justiz)

Sachsen-Anhalt ist ebenfalls überzeugt vom Konzept der Teen Courts. Das Schülergremium im Harz ist so erfolgreich, dass das Bundesland nun in weiteren Städten Schülergerichte einrichtet.

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"Schülergerichte senden jungen Straftätern frühzeitig ein klares Signal und eröffnen ihnen gleichzeitig die Chance, ihr Verhalten zu reflektieren," erklärt Franziska Weidinger (CDU), Sachsen-Anhalts Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz.

Dabei entwickeln die beteiligten Jugendlichen wichtige Fähigkeiten wie Teamgeist, Empathie und soziale Kompetenz.

Franziska Weidinger, Ministerin für Justiz und Verbraucherschutz in Sachsen-Anhalt

Im sächsischen Zwickau, Bautzen, Chemnitz und Görlitz sind insgesamt 65 Schülerrichter*innen tätig. Die beiden hessischen Teen Courts können überdurchschnittlich viele Verfahren bearbeiten, weil ihr Projektleiter in Vollzeit für das Projekt tätig ist.

Teen Courts in Deutschland

ZDFheute Infografik

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Rheinland-Pfalz überlegte zwar, Teen Courts einzuführen, entschied sich jedoch unter anderem aufgrund des zusätzlichen Arbeitsaufwandes dagegen.

Überflüssig und elitär?

Kritiker*innen finden Teen Courts überflüssig. Die Staatsanwaltschaft habe bereits genug Möglichkeiten, erzieherisch auf die Täter*innen einzuwirken. Viele Verfahren würden dadurch eingestellt.

Pädagoge Schillimat sieht das anders. Es gehe darum, jugendliche Täter*innen direkt zu Beginn zu erreichen, sodass sie künftig straffrei sind. Mit Erfolg: Viele der Beschuldigten werden nicht mehr straffällig.

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Auch der Kritik, die Teen Courts seien elitär, weil häufig Gymnasiast*innen über Jugendliche aus einem weniger privilegierten Umfeld urteilten, tritt Schillimat entgegen. Die Hilfe finde auf Augenhöhe statt. Jede*r könne sich bewerben, mitzumachen. Es komme auch vor, dass ehemalige Beschuldigte später Schülerrichter werden, so Schillimat.

Wertvolles Lernen für die Schülerrichter

Die Schülerrichter*innen nehmen sehr viel aus ihrem Ehrenamt mit. Sie lernen, Menschen aus unterschiedlichen Lebenssituationen vorurteilsfrei gegenüberzutreten und empathisch zuzuhören.

Das kann einem die Schule nicht beibringen.

Vera Rüdiger (15 Jahre), Schülerrichterin

Miteinander reden und zuhören, ohne direkt zu verurteilen - wertvolle Fähigkeiten für ein demokratisches Zusammenleben.

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