Jugendkriminalität: NRW-Projekt kämpft für Kurve statt Knast

Projekt in NRW:Gegen Jugendkriminalität: Kurve statt Knast

Porträt des ZDF-Landesstudioleiter Nordrhein-Westfalen Normen Odenthal
von Normen Odenthal
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Das Projekt "Kurve kriegen" will Jugendliche davor bewahren, auf die schiefe Bahn zu kommen. Der NRW-Innenminister sieht ein Erfolgsmodell - in Schweden probieren sie es auch aus.

Präventionsmodelle in der Jugendkriminalität
Prävention statt Bestrafung: Mit diesem Konzept versucht ein Projekt in Nordrhein-Westfalen, Jugendliche vor der Kriminalität zu bewahren. Auch im Ausland wird es erprobt.01.05.2025 | 2:53 min
"Mit acht, neun Jahren ging's los", sagt Elmedin. Das ist nicht das Alter, als er anfing Fußball zu spielen oder Gitarre oder irgendein anderes Hobby entdeckte. Mit acht, neun Jahren ging's bei Elmedin los mit streiten, prügeln, klauen: "Scheiße bauen", nennt er das.
So ging das jahrelang und wurde schlimmer, brutaler, krimineller. Bis Polizei und Sozialarbeiter ihm anboten, die Kurve zu kriegen. Da war Elmedin 14. "Kurve kriegen" - so heißt das Programm, aufgelegt vom Innenministerium NRW, das präventiv gegen Jugendkriminalität vorgeht.
Rückblickend sagt Elmedin:

Da waren diese bösen Stimmen in meinem Kopf, die gesagt haben, mach' das jetzt. Und ich hab's gemacht.

Elmedin

Umgeben von "falschen Freunden" sei er gewesen, einer Clique, in der alle Probleme in der Schule hatten und auch machten: Gewalt war ein Ventil.

"Standard"-Fall für Sozialpädagogin

Elmedins Fall sei "Standard", sagt Ruveyda Gül Cantürk, die ihn als Sozialpädagogin für "Kurve kriegen" betreut hat.

Nichts zu tun, keine Hobbys, falsche Peergroup, cool sein, so schnell wie möglich an Geld kommen, ohne viel dazu beizutragen.

Ruveyda Gül Cantürk, Sozialpädagogin

Dass Elmedin Migrationshintergrund hat - sein Vater stammt aus Mazedonien, seine Mutter aus dem Kosovo -, spiele hingegen keine Rolle. "Deutsch oder Migrationshintergrund, wir haben alles querbeet, von Anwaltskindern, Gymnasiasten bis zum Förderschüler."
Dominik Ringler (l-r), Projektleiter vom Kompetenzzentrums Kinder- und Jugendbeteiligung (KIJUB) Brandenburg, Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend und Karin Böllert, Professorin für Erziehungswissenschaft
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Mehr als 1.000 Teilnehmer seit Projektstart

Seit 2011 läuft das Projekt in NRW. Mehr als 1.000 Jugendliche haben teilgenommen. Die Zielgruppe ist zwischen 8 und 18 Jahren alt und zumeist schon mehrfach polizeilich in Erscheinung getreten. Laut Ministerium sind nur 1,5 Prozent der Absolventen des Programms wieder schwerwiegend straffällig geworden. "Kurve kriegen" sei also eine lohnende Investition.
Pro Teilnehmer und Jahr müssten durchschnittlich zwar 11.400 Euro aufgewendet werden, ein Intensivtäter jedoch verursache Schäden von mehr als 1,7 Millionen Euro. Der Kriminologe Thomas Feltes setzt hinter die imposanten Zahlen jedoch ein Fragezeichen. "Das Ganze basiert auf der Annahme, dass diese Person tatsächlich ein Intensivtäter wird. Aber gerade bei jungen Menschen kann diese Karriere nicht vorhergesagt werden. Viele begehen möglicherweise überhaupt keine Taten mehr", sagt er.

Diese Kalkulation steht auf tönernen Füßen.

Thomas Feltes, Kriminologe

Auch Schweden testet Projekt gegen Jugendkriminalität

In Schweden aber sind sie auch bereit, diese Investition zu tätigen. NRW-Innenminister Herbert Reul (CDU) hat sich das jüngst in Stockholm angesehen und oftmals mit den Worten "wie bei uns" quittiert - an einer Stelle jedoch auch mit "so schlimm ist es bei uns noch nicht".
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Denn die Situation in Schweden ist wohl tatsächlich in mancher Hinsicht brisanter. Es gibt viele junge Täter, die es nicht bei Diebstahl oder Prügelei belassen. Morde werden gezielt bei Minderjährigen in Auftrag gegeben, die dann nur milde belangt werden können. Das Anwerben finde im Internet statt, so die Polizei.
"Rätt Kurva", wie sie "Kurve kriegen" nennen, soll also präventiv das Schlimmste verhindern. Es gibt in der Umsetzung viele Parallelen zum NRW-System. Aber mit Interesse hört der Minister, dass sich in Schweden auch private Unternehmen finanziell beteiligen. Denn Geld braucht es.

"Kurve kriegen" will Jugendlichen individuell helfen

"Kurve kriegen" will den Jugendlichen Angebote machen, individuell zugeschneidert. Dem Düsseldorfer Elmedin wurde Training im Boxverein ermöglicht und die Aufnahme von Rap-Songs im Musikstudio.
Sozialpädagogin Gül Cantürk ist vor allem auch als Gesprächspartnerin gefragt, als Zuhörerin. Ihre Erfahrung lehrt, wie schnell Jugendliche von der Bahn abkommen. Zuletzt registriert sie das auch bei vielen Mädchen.

Die Gewalt ist heftig, der Umgang brutaler geworden.

Ruveyda Gül Cantürk, Sozialpädagogin

Elmedin ist jetzt 18, sagt von sich selbst: "Ich hab's gepackt." Er macht eine Ausbildung zum Frisör - und das ist der Weg, den er jetzt dank "Kurve kriegen" gehen will: geradeaus.

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Quelle: dpa

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