Wie eine Wehrpflicht für junge Menschen gerecht sein könnte

Interview

Jugendforscher zur aktuellen Debatte :Wie eine Wehrpflicht für junge Menschen gerecht sein könnte

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Was macht die Wehrdienst-Diskussion mit jungen Leuten? Jugendforscher Simon Schnetzer sagt im ZDFheute-Interview, das Gefühl, übergangen zu werden, sei für Jugendliche nicht neu.

Junge Männer sitzen am Rheinboulevard im Abendlicht am 26.04.2025 in Köln.

Viele junge Leute fühlen sich bei der Wehrpflicht-Diskussion übergangen. (Symbolbild)

Quelle: Action Press

Die Diskussion um einen freiwilligen oder gar verpflichtenden Wehrdienst für junge Männer sorgt nicht nur in der Politik für Frust. Auch die Jugendlichen selbst fühlen sich übergangen, berichtet Jugendforscher Simon Schnetzer.

ZDFheute: Welche Reaktionen löst die Uneinigkeit der Regierungskoalition in Sachen Wehrpflicht bei jungen Menschen aus?

Simon Schnetzer: Es löst die Kritik aus, dass die betroffenen jungen Menschen mal wieder nicht beteiligt werden. Auch von Seiten der Jugendverbände kommt diese Kritik bereits.

Und dieses Gefühl der Nichtbeteiligung schwingt schon länger mit: Zu Coronazeiten wurde von der Regierung über Unterricht und das Treffen mit Freunden bestimmt. Das Gefühl "Ihr habt uns wertvolle Zeit unserer Jugend genommen und wir durften nicht mitgestalten" ist also schon länger da.

Dann Krieg in Europa und Wahnsinns-Schulden, die aufgenommen werden. Die Wehrpflicht ist jetzt eine Entscheidung, die sich hier einreiht, in das Gefühl:

Ihr trefft die Entscheidungen, aber wir sollen dafür geradestehen.

Simon Schnetzer, Jugendforscher

Navid, zum Wehrdienst per Los

Wehrdienst per Los? Viele Junge sind gegen diesen Vorschlag. Und sie kritisieren, dass sie nicht einmal gefragt würden. Gerade werde "über unsere Köpfe hinweg entschieden".

17.10.2025 | 0:44 min

ZDFheute: Was steckt hinter diesem Gefühl?

Schnetzer: Es geht um Landesverteidigung. Und darum, wie stark sich junge Menschen mit dem Ziel identifizieren können, sich dafür zu engagieren. Das hängt auch damit zusammen, in welchem Maß sie dieses Ziel als erstrebenswert wahrnehmen. Das Gefühl haben, die Last ist gerecht verteilt.

Und gute Führung nimmt Menschen mit und verteilt die Last. Aber wenn sich gefühlt jeder, der keine Lust hat, rausnehmen kann und die Jungen die einzigen sind, die rangenommen werden, dann fühlt es sich nach Ausbaden an. Und das Gefühl darf nicht aufkommen - tut es aber aktuell.

Per Los zur Bundeswehr? Sollten sich nicht genügend Freiwillige melden, könnte das eine Lösung sein.

Die Regierungskoalition hält ein Losverfahren im neuen Wehrdienstgesetz weiterhin für möglich. Was passiert, wenn es nicht genug Freiwillige gibt, bleibt aber weiter umstritten.

16.10.2025 | 1:49 min

ZDFheute: Was könnte aus diesem Gefühl resultieren?

Schnetzer: Der Präzedenzfall hieß früher: Ich gehe nach West-Berlin (wo keine Wehrpflicht galt, Anm. d. Redaktion). Ich entziehe mich dem System. Und auch heute ist das Thema Auswandern gar nicht weit hergeholt, weil junge Menschen schon jetzt ziemlich unzufrieden damit sind, wie es in diesem Land läuft.

Es ist ja nicht so, dass die Zukunft in Deutschland auf Friede, Freude, Eierkuchen und Wohlstand sicher gepolt wäre. Man stellt sich jetzt die Frage:

Was hat das Land mir gegeben, damit ich es verteidigen möchte?

Simon Schnetzer

Alexander Dobrindt

Die Diskussion um die Ausgestaltung des Wehrdienstes wird nach Ansicht von Bundesinnenminister Alexander Dobrindt (CSU) noch eine Weile anhalten.

16.10.2025 | 0:54 min

Ältere Menschen argumentieren: "Aber ihr seid doch in Wohlstand aufgewachsen", aber wir sehen auch, dass es aktuell nicht gut läuft: Baustellen wie zum Beispiel die Bahn, die Rentenpolitik oder Inflation. Bei der letzten Bundestagswahl hat sich ein starkes Auspendeln nach rechts und links gerade bei Jungen gezeigt.

Das ist ein Zeichen für Misstrauen gegen die Regierung und andere größere Volksparteien. AfD und Linke waren so erfolgreich, weil sie eine starke Präsenz auf Social Media haben und dort die Sorgen von jungen Menschen angesprochen haben. Und manchmal reicht das Ansprechen von Themen für ein Gefühl von Verständnis.

ZDFheute: Wie könnte man Verständnis für die Wiedereinführung eines Wehrdienstes schaffen?

Schnetzer: Wir brauchen eine Form von Pflicht. Dann würden sich sicherlich genügend für den Wehrdienst entscheiden. Denn andere müssten das oder eine Ersatzleistung gerechterweise auch tun, auch generationenübergreifend. Wenn ich in Schüler-Jugend-Workshops frage: "Warum würdest du deinen Wehrdienst machen?", dann wird geantwortet: Familie schützen und je nach Region auch Heimat schützen.

An der Relevanz der Bundeswehr zweifelt keiner mehr. Aber trotzdem bleibt nur ein kleiner Anteil derer, die nach der Schule bereit für einen Wehrdienst wären. Wenn es für das, was gerade im Raum steht, einen visionären Plan gäbe, dann könnte es einen Ruck in der Bevölkerung geben.

Das Interview führte Clarissa Seck.

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