Sozialverbände schockiert:Heftige Diskussion um Abschaffung von Pflegegrad 1
Die Bundesregierung überlegt, den Pflegegrad 1 zu streichen. Viele Betroffene sind verunsichert, Sozialverbände schlagen Alarm - aber es gibt auch Zustimmung.
Die Bundesregierung diskutiert offenbar über eine mögliche Abschaffung des Pflegegrads 1. Aus der Opposition gibt es Kritik. Auch die SPD weist die Überlegungen zurück.
28.09.2025 | 1:41 minSozialverbände sprechen von einer "Schock-Nachricht", viele Betroffene sind verunsichert: Die Diskussion um Überlegungen innerhalb der Bundesregierung, den Pflegegrad 1 abzuschaffen, hält an. "Die Pflege wird von der Politik vor die Wand gefahren", kritisierte etwa die Vorsitzende des Sozialverbands Deutschland, Michaela Engelmeier (SPD), im ZDF-Morgenmagazin. Was will die Politik, wen würde das betreffen, was wären die Konsequenzen? ZDFheute mit einem Überblick.
Worum geht es?
Grund für die Überlegungen ist der generelle Pflegenotstand - und konkret eine für 2026 absehbare Finanzierungslücke in der Pflegeversicherung von rund zwei Milliarden Euro. Wie konkret die Pläne sind, wollte ein Sprecher des Bundesgesundheitsministeriums nicht sagen. Er verwies auf die aktuell beratende Kommission zur Pflegereform. Das Gremium will bis Mitte Oktober einen ersten Bericht vorlegen. Das Einsparvolumen bei einem Wegfall von Pflegegrad 1 wird auf circa 1,8 Milliarden Euro beziffert.
Erst 2017 wurde der neue Pflegegrad 1 eingeführt: Es war eine neue Einstufung für Personen mit einer "geringen Beeinträchtigung der Selbstständigkeit", die es vorher nicht gab. Die neue Definition führte zu einem Anstieg der Zahl der Menschen in dieser Pflegestufe.
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Wie viele Menschen würde das betreffen?
Ende 2024 waren den Angaben zufolge rund 863.000 Menschen in Pflegegrad 1 eingestuft. Sie haben Anspruch auf finanzielle Zuschüsse, wenn sie ihre Wohnung barrierefrei umbauen müssen. Darüber hinaus steht ihnen ein monatlicher Entlastungsbetrag von bis zu 131 Euro zu.
"Immer wieder Sparvorschläge bei Menschen zu machen, die sich nicht wehren können, das ist doch nicht gut" - das sagt Michaela Engelmeier, vom Sozialverband Deutschland zur Pflegekosten-Diskussion.
29.09.2025 | 4:59 minEine solche Maßnahme würde insbesondere pflegende Angehörige treffen, die 86 Prozent aller Pflegebedürftigen versorgen, warnt Engelmeier im ZDF. Der Pflegegrad 1 wird bislang ohne Prüfung vergeben. Menschen, die diesen Pflegegrad zu Unrecht bekommen haben, gibt es nach Worten Engelmeiers allerdings kaum.
Fast 5 Millionen Menschen pflegen Angehörige zu Hause. Um sie zu unterstützen, wird seitens der Bundesregierung überlegt, ein Pflegegeld als Lohnersatz einzuführen.
10.06.2025 | 1:57 minWer unterstützt die Überlegungen?
Der Bundesverband privater Anbieten sozialer Dienste bezeichnete die Überlegung indes als "genau richtig". Es müsse darum gehen, Menschen mit "hohen Versorgungsbedarfen" gezielt zu unterstützen, sagte Verbandschef Bernd Meurer der "Bild"-Zeitung.
Der Wirtschaftswissenschaftler Boris Augurzky erklärte ebenfalls, dass Kostenanstiege begrenzt werden müssten, wozu eine Ende der Pflegegrad-1-Zahlungen beitragen könne. Allerdings könnten Betroffene "vermehrt in den Pflegegrad 2" rutschen, wodurch wiederum höhere Kosten entstehen würden.
Die gesetzliche Pflegeversicherung kann laut Gesundheitsministerin Warken auch künftig nur einen Teil der Kosten auffangen. Nun soll eine Arbeitsgruppe eine Reform zur Finanzierung erarbeiten.
07.07.2025 | 1:25 minWelche Kritik gibt es?
Mehrere Sozialverbände und Politiker kritisierten die Überlegungen scharf. Die Fraktionschefin der Grünen, Britta Haßelmann, nannte die Pläne "ein völlig falsches Signal". Die Menschen in der Pflegestufe 1 brauchten jede Unterstützung, um den Verbleib im eigenen Zuhause und ein selbstbestimmtes Leben abzusichern.
Die pflegepolitische Sprecherin der Linkspartei im Bundestag, Evelyn Schötz, nannte eine Streichung der Pflegestufe 1 einen sozialpolitischen Skandal. "Rund 863.000 Menschen mit einem niedrigen Pflegebedarf droht dadurch der vollständige Verlust wichtiger Unterstützungsleistungen."
Zum Internationalen Tag der Pflegenden wird am Beispiel einer Frau, die ihren demenzkranken Ehemann pflegt, gezeigt, welche Anträge auf Unterstützung je nach Bedarf und Situation wo zu stellen sind.
12.05.2025 | 2:45 minDer Paritätische Wohlfahrtsverband warnte ebenfalls vor einer Abschaffung. Dessen Hauptgeschäftsführer Joachim Rock sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Die Abschaffung der Pflegestufe 1 wäre ein fatales Signal - zum einen an die Menschen, die von leichten Einschränkungen betroffen sind. Zum anderen aber auch an die pflegenden Angehörigen."
Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte, der Pflegegrad 1 sei 2017 eingeführt worden, um demenziell erkrankte Menschen in die Pflegeversicherung zu integrieren. "Damals ist das von allen Parteien als überfällig gefeiert worden." Wenn die Bundesregierung diesen Pflegegrad abschaffen wolle, wäre das ein schwerer Schlag für die Betroffenen.
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