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Antrittsbesuch von Wadephul:Berlin und USA: Balanceakt auf rohen Eiern
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Diplomatisches Fingerspitzengefühl ist das, was Außenminister Wadephul bei seinem Antrittsbesuch in Washington vor allem braucht: In vielen Bereichen ist man sich derzeit uneinig.
Bei seinem Antrittsbesuch in Washington trifft Bundesaußenminister Johann Wadephul (CDU) heute mit seinem US-Kollegen Marco Rubio zusammen.
Deutschland steht in den USA vor diplomatischen Herausforderungen. In diesen Themenbereichen herrscht Uneinigkeit:
Europäische Sicherheit und Nato
Die USA galten jahrzehntelang als Garant der europäischen Sicherheit, doch das scheint seit dem Amtsantritt von Präsident Donald Trump passé. Die US-Regierung unter Trump drängt die Europäer dazu, deutlich mehr Geld für die eigene Verteidigung auszugeben. Der US-Präsident drohte gar, nur jene Mitglieder der Nato gegen Angriffe verteidigen zu wollen, die seiner Ansicht nach genug investiert haben.
"Natürlich ist es für Deutschland und die europäischen Staaten insgesamt in erster Linie wichtig, bei Trump möglichst viel Unterstützung einzuwerben dafür, dass sich die USA nicht plötzlich vom europäischen Kontinent zurückziehen und Europa nicht die Verteidigung und auch die Abschreckung gegenüber Russland komplett alleine überlassen", sagt die USA-Expertin Laura von Daniels von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Wadephul hatte sich vor zwei Wochen beim informellen Treffen der Nato-Außenminister in der Türkei grundsätzlich hinter Trumps Forderung gestellt, fünf Prozent des jeweiligen Bruttoinlandsprodukts (BIP) für die Verteidigung aufzuwenden. Das auch der Trump-Regierung "aktiv zu kommunizieren und damit zu sagen: 'Ja, wir als Europäer und als Deutsche haben das begriffen, dass wir mehr ausgeben müssen für die Verteidigung' - das ist sicherlich sinnvoll, das als Außenminister so zu machen", sagt von Daniels dazu.
Unterstützung der Ukraine
Zur Sicherheit in Europa gehört auch die Unterstützung der von Russland angegriffenen Ukraine. Trump drohte schon im Wahlkampf, bei seiner Rückkehr ins Weiße Haus die Militärhilfe für Kiew zu streichen und behauptete, er könne den Krieg innerhalb von 24 Stunden zu beenden. Der Republikaner stieß in den vergangenen Wochen zwar Verhandlungen an, ein Ende des Krieges ist bislang aber nicht in Sicht.
Es sei "absolut deutsches Interesse, dass die USA den Druck auf Putin nicht lockern, sondern eher noch steigern", sagt SWP-Expertin von Daniels.
Trumps Zölle
Die USA sind eine der Säulen des deutschen Außenhandels: 2024 importierten die Vereinigten Staaten laut Statistischem Bundesamt deutsche Waren im Wert von 161,4 Milliarden Euro und waren damit der wichtigste Abnehmer. Trump drohte zuletzt mit einem massiven Aufschlag von 50 Prozent für Einfuhren von EU-Waren in die USA. Sollten diese US-Zölle gültig werden, könnte das die deutsche Wirtschaft nach Berechnungen des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln bis 2028 etwa 200 Milliarden Euro kosten.
Zusätzlich zum Zollstreit schwelt laut SWP-Forscherin von Daniels die Auseinandersetzung über die Regulierung etwa von digitalen Dienstleistungen und das Management von Plattform-Inhalten bis hin zu künftigen Vorschriften im Bereich Künstliche Intelligenz. Trump und sein Umfeld seien in dieser Hinsicht "sehr hart in den Forderungen an Europa", sagt von Daniels.
Einmischung in die Innenpolitik
Äußerungen von US-Regierungsmitgliedern zur deutschen und europäischen Politik haben in den vergangenen Monaten für heftige Irritationen gesorgt. US-Vizepräsident JD Vance etwa warf den Europäern bei der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar angebliche Defizite bei der Meinungsfreiheit vor und kritisierte den Umgang mit der AfD. Die zwischenzeitliche Verfassungsschutz-Einstufung der AfD als gesichert rechtsextremistisch prangerte Vance in scharfem Ton an. US-Außenminister Rubio sprach gar von "verkappter Tyrannei" in Deutschland.
Vance habe bei der Münchner Sicherheitskonferenz "die vorhandene Wertebasis und ein gemeinsames Verständnis von freier Meinungsäußerung stark in Frage gestellt", sagt SWP-Expertin von Daniels. Ob solche Vorwürfe nun auch in Washington zur Sprache kommen könnten? "Das Risiko ist da", sagt von Daniels. Es müsse damit gerechnet, dass das "noch mal erneuert wird oder eben auch vor laufender Kamera in einem Zweiergespräch plötzlich zum Thema gemacht wird".
Krieg im Gazastreifen
Die US-Regierung steht fest an der Seite des israelischen Ministerpräsidenten Benjamin Netanjahu. Die jüngsten Äußerungen von Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) könnten Trump und seinem Umfeld daher ein Dorn im Auge sein: Er verstehe vor dem Hintergrund des Leids der Zivilbevölkerung im Gazastreifen die Ziele der israelischen Militäroffensive nicht mehr, sagte Merz am Montag.
"Die Zivilbevölkerung derart in Mitleidenschaft zu nehmen, wie das in den letzten Tagen immer mehr der Fall gewesen ist, lässt sich nicht mehr mit einem Kampf gegen den Terrorismus der Hamas begründen", sagte der Bundeskanzler.
Quelle: AFP
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