Stimmen zur deutschen Einheit:"Normalität ist es für mich nie geworden"
Begehen die Deutschen den 3. Oktober wirklich feierlich? Ist die deutsche Einheit geglückt? Wir haben nachgefragt in Lindau, Aachen, Goslar und Görlitz.
Am 3. Oktober 1990 feiern Menschen vor dem Berliner Reichstag mit Feuerwerk und Deutschlandfahnen die wiedergewonnene Einheit Deutschlands. (Archivbild)
Quelle: dpaBis heute ist der 3. Oktober für Thomas Wettley immer etwas Besonderes. Wir treffen ihn in Lindau. Wettley stammt aus der DDR und war 22, als die Mauer fiel. Die Realität seiner Kindheit hat sich fest bei ihm verankert.
Wenn ich über die innerdeutsche Grenze fahre, dann denke ich immer: Früher war hier Schluss.
Thomas Wettley
"Normalität ist es für mich nie geworden", sagt er. Dass ihm das heute immer noch nahegeht, hätte er gar nicht anfügen müssen, es ist deutlich zu spüren.
Als Anneliese Spangehl 22 Jahre alt war, sollte es noch über ein Jahrzehnt dauern, bis die Mauer überhaupt gebaut wurde. Die 98-Jährige blickt auf ein Jahrhundert deutscher Geschichte zurück. "Ich freu mich", sagt sie, "dass die Einheit so friedlich über die Bühne ging und nicht wie 1953 niedergeschlagen wurde." Anneliese Spangehl weiß, dass es auch hätte anders ausgehen können, etwa wie beim Volksaufstand in der DDR vom 17. Juni 1953, der blutig endete.
Jugendliche kennen die deutsche Teilung sowie die Wende vor allem aus Erzählungen. In Brandenburg berichten Zeitzeugen nun in Workshops über die Zeit der SED-Diktatur.
02.10.2025 | 1:32 minGörlitzerin: "Immer noch so viele Westchefs"
Auch Passanten am Bodensee-Ufer freuen sich über die Einheit, sehen es aber auch etwas pragmatischer. "Wir waren froh über die Vereinigung", meint Cornel Wunsch, "auch wenn man sich dadurch etliche Probleme aufgehalst hat". Seine Frau Claudia erinnert an die Menschen, die vorher in der DDR eingepfercht waren oder an der Grenze erschossen wurden, wenn sie raus wollten. "Es ist ja auch keine Art für einen Staat, seine Bürger so zu behandeln", stimmt Cornel Wunsch ihr zu.
Weiter östlich in Görlitz muss man nicht lange fragen, bis man hier Skepsis freilegt. Niemand trägt offen Unmut zur Schau, aber wenn Reporter gezielt fragen, dann bestätigen Görlitzer schnell die gängigen Befunde.
Vor 35 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt. Doch der Verdruss nimmt zu - vor allem im Osten. Wie blicken die Menschen heute auf ihre Heimat, ihr Leben und das "System" Bundesrepublik?
30.09.2025 | 43:55 minDie Kluft gehe immer mehr auseinander, meint eine Passantin und verweist auf die Medien, die "immer und immer wieder" von Schieflagen bei Einkommen, Besitz, Erbschaften und von Chefposten berichteten. Gerade letzteres bringt eine Görlitzerin auf die Palme. "Immer noch so viele Westchefs, dabei sind wir doch nicht dumm", empört sich eine Frau, die ihren Namen nicht sagen will, dafür aber stolz auf ihre Doppelrolle damals in der DDR als Mutter von zwei Kindern mit Vollzeitjob verweist.
Optimistischer Blick auf die Einheit in Goslar
Auch der junge Mann an der nächsten Straßenecke will seinen Namen nicht verraten. Für ihn liegen die Schieflagen in der Natur des "Beitritts". Es sei eben keine "Vereinigung" gewesen. "Es ist ein Unterschied, ob sich zwei Menschen gemeinsam eine neue Wohnung suchen, oder ob einer zu dem anderen zieht", meint er. "Es war eine Eingliederung, aber keine echte Idee für ein neues Deutschland."
Sollte man also den "Tag der deutschen Einheit" umbenennen in "Tag des Beitritts?" Lachend stimmt er zu, das wäre wenigstens ehrlicher, es klinge nur eben nicht so schön.
35 Jahre nach der Wiedervereinigung hat sich vieles verschoben. Menschen haben den Osten verlassen. 80 Prozent der Deutschen leben heute im Westen der Republik.
02.09.2025 | 1:07 minKnapp 400 Kilometer westlich in Goslar im Harz, nahe des ehemaligen Zonenrandgebiets, merken wir fast am wenigsten von der ehemaligen Teilung. Wir treffen einen bunten Mix aus Einheimischen, Pendlern und Touristen aus dem ganzen Land. Im Großen und Ganzen sei die Einheit geglückt, hören wir, natürlich gebe es hier und da noch Ungerechtigkeiten, Probleme, Schieflagen, vielleicht sei es auch damals alles ein bisschen zu schnell gegangen. Doch der Optimismus überwiegt. Jakob von Brook sagt:
Ich finde es einfach nur schön, dass man nicht irgendeinen König feiert, der gekrönt wurde, sondern dass es ein Festtag für ein Land als Ganzes ist - und nicht für eine einzelne Person.
Jakob von Brook
Nochmal 400 Kilometer weiter im Westen treffen wir Arslan, der auf seine kurdische Identität ebenso stolz ist wie auf seine deutsche Staatsbürgerschaft. Er lebt in Aachen, kennt aber beide Teile des Landes. So fragen wir ihn, ob Deutsche in Ost und West etwas unterscheidet. Die Westdeutschen seien etwas materialistischer, meint er. Und was uns eint? Ein Schulterzucken, dann "Vielleicht die Liebe zur Natur?"
Thomas Bärsch ist Reporter im ZDF-Studio in Dresden.
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