35 Jahre Deutsche Einheit:Ost-Identität prägt junge Erwachsene bis heute
35 Jahre nach der Einheit gibt es laut einem Bericht noch Unterschiede zwischen "Ossis" und "Wessis". Etwa beim Identifizieren mit der Herkunft. Aber auch bei den Startbedingungen.
Vor 35 Jahren wurde Deutschland wiedervereinigt. Doch der Verdruss nimmt zu - vor allem im Osten. Wie blicken die Menschen heute auf ihre Heimat, ihr Leben und das "System" Bundesrepublik?
30.09.2025 | 43:55 min"Der Osten" ist für junge Erwachsene, die um die Wendezeit 1990 zur Welt kamen und dort aufgewachsen sind, immer noch prägend für ihr Identitätsempfinden. Während Gleichaltrige, die aus dem Gebiet der alten Bundesrepublik stammen, mit der Zuschreibung "westdeutsch" nichts anfangen können, identifizieren sich junge Ostdeutsche weitaus häufiger als "Ossis".
Das geht aus dem am heutigen Mittwoch in Berlin veröffentlichten Bericht zum Stand der Deutschen Einheit hervor, den die Ostbeauftragte der Bundesregierung, Elisabeth Kaiser, vorgelegt hat.
Rahmenbedingungen weiterhin unterschiedlich
Außerdem sind laut Bericht junge Menschen in Westdeutschland überwiegend der Meinung, es sei nicht länger relevant, ob man aus dem Westen oder dem Osten kommt. Zwei Drittel der Ost-Millennials sagen hingegen, dass das sehr wohl noch eine Rolle spielt. Junge Menschen, die nach 1990 geboren wurden, gelten als die erste gesamtdeutsch-sozialisierte Generation.
Die AfD nutzt Social Media, um das neue "Ostbewusstsein" für sich zu gewinnen, indem sie sich als "cool und rechts" inszeniert. Andere Parteien versuchen, die Lücken zu schließen.
28.09.2025 | 3:17 minTrotz des Aufwachsens im vereinten Deutschland unterscheiden sich die Rahmenbedingungen weiterhin, wie der Bericht festhält. Eine Herkunft aus Ostdeutschland bedeute überdurchschnittlich oft ein Aufwachsen in Familien mit niedrigem Einkommen und wenig oder gar keinem Vermögen. Das präge den Lebensweg vieler Ostdeutscher bis weit ins Erwachsenenalter hinein. So könnten sich Ostdeutsche, etwa beim Start in die berufliche Selbstständigkeit oder bei der Familiengründung, viel seltener auf finanzielle Unterstützung durch die Eltern verlassen als Westdeutsche, so Kaiser.
"Gleichwertige Lebensverhältnisse sind noch nicht erreicht. 35 Jahre nach der Deutschen Einheit haben wir immer noch verkrustete Vermögensverhältnisse in Deutschland", betonte Kaiser. Das betreffe zum einen Ost und West, aber auch die Schere zwischen Arm und Reich in ganz Deutschland. Ein Trend, der sich jedoch durch das Thema Erben im Osten immer weiter manifestiere.
Die Ministerpräsidenten und Ministerpräsidentin der ostdeutschen Länder haben sich Ende September auf Schloss Ettersburg bei Weimar getroffen. Auf der Agenda standen Themen wie die Verteidigungsstruktur in Ostdeutschland und wirtschaftspolitische Herausforderungen.
25.09.2025 | 2:32 minDie Ostbeauftragte machte einen neuen Vorstoß zur "gerechteren" Verteilung der Vermögen in Ost und West. "Es ist ja schon so, dass Vermögen in Deutschland vor allem durch Erbschaften vererbt wird und nicht durch eigene Leistung aufgebaut werden kann", sagte Kaiser. Sie verwies darauf, dass die Reform der Erbschaftssteuer dabei "schon eine relevante Frage" sei. Es gebe auch unterschiedliche Stimmen aus der Union, die durchaus auch bereit seien, über die Erbschaftssteuer zumindest zu diskutieren.
In ländlichen Regionen im Osten oft wenige Jugendliche
Junge Menschen treffen laut Bericht außerdem in Ostdeutschland jenseits der Metropolen nur auf wenige Gleichaltrige. Die soziale Interaktion und Begegnung werde außerhalb der Schule immer schwieriger, auch weil der öffentliche Nahverkehr schlecht ausgebaut ist. So verlagere sich der Austausch mit Gleichaltrigen weitgehend in den virtuellen Raum. Analoge Freizeitgestaltung finde demgegenüber viel öfter als im Westen innerhalb der Familie statt oder in Vereinen, die allerdings von älteren Generationen geprägt seien.
Mit der Wiedervereinigung ändert sich im Osten nahezu alles. Bei den aktuellen Krisen in Wirtschaft und Politik könnten die Deutschen von den Erfahrungen der Ostdeutschen lernen.
08.10.2025 | 59:20 minOft fehle schlicht die "kritische Masse" an Jugendlichen, die es eigentlich brauche, um sich von den älteren Generationen zu emanzipieren und vor Ort eigene Ideen und Projekte in die Tat umzusetzen. "Wer sich selbst verwirklichen will, verlässt als Erwachsener häufig notgedrungen die ländliche Heimat und sucht ein neues Zuhause in den Metropolen", konstatiert der Bericht. "Konkret gesprochen, bedeutet das: Junge Menschen treffen in der ostdeutschen Peripherie nur auf wenige Gleichaltrige", betonte Kaiser.
Kaiser: Startbedingungen verbessern
Die SPD-Politikerin forderte, die Startbedingungen für junge Menschen aus weniger wohlhabenden Elternhäusern zu verbessern und über neue Möglichkeiten der Vermögensbildung zu diskutieren. Dies sei "kein rein ostspezifisches Thema", gab Kaiser zu bedenken. "Auch in Westdeutschland gibt es viel zu viele Familien, die trotz täglicher Anstrengungen in einer Armuts- und Schuldenfalle stecken. Das dürfen wir nicht hinnehmen."
"Ostdeutsch-Sein hat auch 35 Jahre nach der Wiedervereinigung etwas mit Identität zu tun", sagt ZDF-Hauptstadtkorrespondentin Henriette de Maizière. "Man ist nicht Saarländerin oder Rheinländer, sondern man ist aus der ehemaligen DDR. Eine ganze Gruppe Menschen, die immer noch so identifiziert werden oder sich selbst so identifizieren.
Wir leben in einer Welt multipler Krisen: Klimakrise, Wirtschaftskrise, Kriege. Und wir haben gleichzeitig mit den Ostdeutschen eine ganze Kohorte von Menschen, die bereits einen durchgreifenden Transformationsprozess in ihrem Leben durchlaufen haben. Oder deren Eltern diesen Transformationsprozess durchlaufen haben. Deren Leben davon geprägt ist und die aus den Erfahrungen der eigenen Biografie wissen, wie Veränderung geht. Vielleicht können wir dahinkommen, anzuerkennen, dass das eine Kompetenz ist: Transformationserfahrrung. Und diese Kompetenz abfragen. 35 Jahre nach der Wiedervereinigung- aber nicht nur dann. Wir profitieren voneinander: der Osten vom Westen und andersherum der Westen vom Osten."
Seit 2022 legt der oder die Ostbeauftragte der Bundesregierung einen jährlichen Bericht vor. Dieser soll unterschiedliche Perspektiven auf Ostdeutschland bieten und ausgewählte Vorhaben der Bundesregierung mit Bezug auf Ostdeutschland thematisieren.
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