Die Lücken der Parteien:Wie die AfD die Ostidentität besetzt
35 Jahre nach der Deutschen Einheit ist im Osten Deutschlands ein neues Ostbewusstsein entstanden. Die Parteien haben hier Lücken gelassen und die AfD weiß sie zu nutzen.
Die AfD nutzt Social Media, um das neue "Ostbewusstsein" für sich zu gewinnen, indem sie sich als "cool und rechts" inszeniert. Andere Parteien versuchen, die Lücken zu schließen.
28.09.2025 | 3:17 minDie SPD in Thüringen ist auf der Suche nach Anschluss an einen Osttrend. Vor dem Thüringer Landtag tanzt Lutz Liebscher, Fraktionschef der SPD, den Ossi-Tanz. Gemeinsam mit Influencer Fydoz, einem Thüringer, der mit "Tuff im Osten" gerade trendet. Sie produzieren ein Video für Social Media.
SPD in Thüringen will Politik auf Social Media machen
Liebscher ist auf Aufholjagd und sagt: "Social Media ist Politik machen." Das sei jetzt so langsam angekommen bei den Akteuren.
74 Prozent der jungen Menschen nehmen laut einer aktuellen Studie der Bertelsmann-Stiftung politischen Input über Social Media auf. Im Netz ließ nicht nur die SPD da zu lange zu viele Lücken.
Macht Social Media Politik nahbarer oder zur Show? Fördern Plattformen wie TikTok und YouTube Teilhabe oder begünstigen sie populistische Verkürzungen? Mit 13 Fragen gehen wir dem auf den Grund.
12.03.2025 | 35:01 minAfD nutzt das Retro-Ostgefühl
Die AfD und ihr Vorsitzender in Thüringen, Björn Höcke, haben Social Media längst als Vermarktungsmöglichkeit erkannt. Und dazu noch ein Retro-Ostgefühl, das sie bedienen. Im August trafen sich am Schleizer Dreieck, der legendären Rennstrecke der DDR, rund 400 Simson-Fans zu einer Ausfahrt. Die AfD war mittendrin. Der Westdeutsche Björn Höcke sagte dort über die Simson, das DDR-Moped aus Suhl: "Sie ist Symbol dafür, dass der Osten unkonventionell ist, dass der Osten frei ist und dass der Osten wild ist. Und das ist gut so, liebe Freunde." Die Anwesenden jubelten.
Simson-Fahrer Johann Fritzsch sieht in dem Moped ein Symbol für den Zusammenhalt. Dass es auch jetzt nach der Wende noch alles funktioniert und (…) dass es nicht totgemacht wurde.
Im Osten werde die demokratische Zivilgesellschaft von vielen Seiten angefochten, nicht nur von der AfD. "Da ist etwas gekippt", sagt der Soziologe Alexander Leistner.
28.09.2025 | 5:41 minNeues Ostbewusstsein 35 Jahre nach der Einheit entstanden
Diese Gefühle verwebt die AfD mit ihrer Politik. Und promotet sie. Gerade im Netz. Sozialwissenschaftlerin Nina Kolleck von der Universität Potsdam erklärt dazu: "Mit diesem Blick darauf, ja in Ostdeutschland ist es viel cooler, als alle denken, und der ostdeutsche Raum ist dem westdeutschen Raum auch in gewissen Punkten voraus, damit gilt es als cool, Rechts zu sein und Ossi zu sein."
Sie haben die DDR nie kennengelernt und doch fühlen sie: "Ich bin ostdeutsch und das geht auch so schnell nicht weg". Dennis und Jule ringen um ihre Identität und ihre Wurzeln.
28.09.2025 | 27:26 minJunge Menschen haben die DDR zwar nie erlebt, doch viele aus der Wendegeneration haben einen Blick auf die DDR weitergegeben, gefiltert gerade durch schlechte Erfahrungen nach der Deutschen Einheit. Wie zum Beispiel in Bleicherode. Die Verletzung bei den Menschen, dass die Kaligrube, der größte Arbeitgeber der Region, von der Treuhand abgewickelt wurde, hat sich tief eingegraben.
Fehler gewesen, dass in Ostdeutschland das Alte schlecht geredet wurde
Erst enttäuschte hier die SED-Diktatur, dann kam mit dem Westen der wirtschaftliche Abstieg. Für die CDU, die in Thüringen seit 1990 meist regierte, ist das eine Last. Fraktionschef Andreas Bühl hält selbstkritisch fest: "Man hat die eigenen Dinge nicht nach vorne gestellt. Sondern hat gesagt, wir müssen alles neu machen. Weil, es war ja alles schlecht. Und das ist, glaube ich, was, das muss man auch klar wiederholen, dass das ein Fehler war."
Ein Fehler, der zu lange unbearbeitet blieb. "Jetzt wäre es kluge Politik gewesen, wenn man von beiden Seiten versucht hätte, die Unterschiede zu benennen und in einen konstruktiven Diskurs zu überführen", sagt Politikwissenschaftler Oliver Lembcke. Das sei aber nicht geschehen. "Sondern man hat oftmals der AfD auch freie Hand gelassen, diese Diskurse als ein Versagen westdeutscher Eliten gewissermaßen zu geißeln und aus dieser Schuldzuweisung heraus auch Kraft und Zustimmung in den ostdeutschen Bundesländern zu ziehen." Das habe gewirkt.
Jetzt wollen die Parteien aufholen, Ostidentität anders definieren. Andreas Bühl versucht es mit Kochvideos und Thüringer Klößen. Alles auffahren, denn die Softpower im Netz und die Deutungshoheit entscheiden bei den Wahlkämpfen in Ostdeutschland mit.
Melanie Haack ist Leiterin des ZDF-Landesstudios Thüringen.
Daniela Sonntag ist Korrespondentin des ZDF-Landesstudios Thüringen.
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