Kosten für Lohn und Rente: "Jüngeren wird Luft abgeschnitten"

Interview

Sozialsysteme unter Druck:Experte: Jüngeren wird "Luft abgeschnitten"

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Steigende Sozialabgaben, Lohnnebenkosten über der "magischen" Grenze von 40 Prozent. Experte Kooths sieht dadurch massive Standortnachteile und warnt vor der Abwanderung Jüngerer.

Ein Holzstempel ist beschriftet mit dem Aufdruck Altersvorsorge. Im Hintergrund liegt ein weiterer Stempel mit dem Aufdruck Rente.
Statt konkreter Reformen bei Rente, Gesundheit und Pflege wollen Union und SPD erst einmal Kommissionen einsetzen.27.04.2025 | 4:07 min
ZDFheute: Rente, Krankenkassen, Pflege - alle Systeme stehen unter erheblichem Druck. Finden Sie Antworten im neuen Koalitionsvertrag?
Stefan Kooths: In der Rentenpolitik spielt die neue Koalition auf Zeit, sie schiebt das Problem einfach vor sich her. Doch das Problem wird jetzt größer. Wir werden immer mehr Empfänger von Renten haben und immer weniger, die in die Rentenkassen einzahlen.
Das führt dazu, dass die Beitragssätze weiter steigen. Damit verteuert sich der Faktor Arbeit in Deutschland, ohne dass dem eine höhere Produktivität gegenübersteht.

Prof. Stefan Kooths zu mögl. Sanktionen
Quelle: phoenix

...ist ein deutscher Ökonom und Direktor des Forschungszentrums Konjunktur und Wachstum im Kieler Institut für Weltwirtschaft. Aus Sicht des Professors für Volkswirtschaftslehre ist ein zentrales Problem der Zukunft die Demografie und das deutsche Rentensystem.

ZDFheute: Was bedeutet das für die Jüngeren, die ja die Rentenlast tragen sollen?
Kooths: Die Jüngeren haben mit Blick auf die Rentenversicherung den Kürzeren gezogen. Sie werden nämlich im Zweifel zur Kasse gebeten. Sie sind ja auch diejenigen, die in nicht allzu ferner Zukunft darunter leiden werden, dass immer größere Anteile der öffentlichen Haushalte schon für die Zinslasten reserviert sind.

Zukünftige Generationen werden immer weniger Handlungsspielraum haben, um im Staatshaushalt eigene Akzente zu setzen. Den Jüngeren wird damit die Luft abgeschnitten.

Stefan Kooths, Ökonom

 Friedrich Merz (2.v.l), Unions-Kanzlerkandidat und CDU-Bundesvorsitzender, und Saskia Esken (r), SPD-Bundesvorsitzende, geben sich neben Markus Söder (l), Ministerpräsident von Bayern und CSU-Vorsitzender, und Lars Klingbeil, SPD-Fraktions- und Bundesvorsitzender, nach einer Pressekonferenz der Parteivorsitzenden von Union und SPD zur Vorstellung des Koalitionsvertrages im Paul-Löbe-Haus die Hand.
Experten sind sich einig: Das deutsche Rentenmodell muss reformiert werden, um bezahlbar zu bleiben. Die neue Regierung hat dazu noch keine konkreten Vorschläge.01.05.2025 | 2:56 min
ZDFheute: Was bedeutet das für den Wirtschaftsstandort Deutschland?
Kooths: Die Lohnnebenkosten werden jetzt im Trend weiter steigen, wenn man nicht gegensteuert und derzeit ist kein solches Gegensteuern zu erkennen. Damit droht sich Deutschland aus dem internationalen Standortwettbewerb herauszukalkulieren.
Man kann hier einen Vergleich ziehen zwischen einer Politik, die immer weiter an der Abgabenschraube dreht, und einem Unternehmen, das bei schwindenden Umsätzen nur auf die Idee kommt, die Preise zu erhöhen. Damit verliert man nach und nach an Wettbewerbsfähigkeit.
ZDFheute: Und verliert damit potentiell auch die Jüngeren?
Kooths: Die Jüngeren haben die Möglichkeit zu reagieren und das ist für alle Betroffenen die härteste Reaktion, nämlich den Standort zu verlassen, also mit den Füßen abzustimmen.

Das bedeutet dann, dass Jüngere abwandern und zwar insbesondere diejenigen, die besonders produktiv sind, das sind typischerweise gleichzeitig die mobilsten.

Stefan Kooths, Ökonom

Deutschland steht international im scharfen Wettbewerb um die Talente der Welt, und je attraktiver ein Standort ist - das zeigt sich in einem guten Preis-Leistungs-Verhältnis und dazu gehört eine nicht allzu hohe Abgabenquote - desto eher könnte dieser Standort die Talente der Welt anziehen. Je unattraktiver er ist, desto eher machen sie einen großen Bogen um diesen Standort.
Prof. Martin Werding | Mitglied Sachverständigenrat Wirtschaft
"Das Rentensystem fortsetzen", aber Beiträge müssen langsam umgeschichtet werden, sagt Prof. Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.16.04.2025 | 10:16 min
ZDFheute: Die kommende Regierung hat sich in der Frage der Renten in weiten Teilen festgelegt: Anhebung der Mütterrente oder Festsetzung des Rentenniveaus auf 48 Prozent. Nimmt sich Schwarz-Rot damit Reformspielraum?
Kooths: Man klammert sich mit einem Rentenniveau von 48 Prozent an einen Status Quo, und damit ist immer die Gefahr verbunden, dass man die Zukunft aus dem Blick verliert. Und dazu gehört eben insbesondere, dass jetzt der Standort gestärkt werden muss, damit hier wieder mehr ökonomische Dynamik eintreten kann.
ZDFheute: Wie soll das funktionieren?
Kooths: Solange man nur kurzfristig denkt, wird die Rentenpolitik immer ein Verteilungskonflikt sein zwischen den Jüngeren und den Älteren, und solche Verteilungskonflikte lassen sich nie befriedigend auflösen.

Deshalb ist es wichtig, dass man hier eine langfristige Perspektive entwickelt und die Interessen der Jüngeren und die Älteren stärker zusammenbringt.

Stefan Kooths, Ökonom

Dafür braucht es eine Politik, die wieder die wirtschaftlichen Kräfte in Deutschland stärkt. Das führt zu höheren Einkommen und daran partizipieren auch die Rentner, auch bei einem sogar leicht sinkenden sogenannten Rentenniveau. Mit einem etwas kleineren Anteil an einem insgesamt deutlich größeren Kuchen würden sie auch die Rentner besser stellen. Daher kann eine kluge Standortpolitik den Generationenkonflikt am besten abwenden.
ZDFheute: Kann eine Rentenkommission, wie sie im Koalitionsvertrag vorgesehen ist, die Renten langfristig auf stabile Füße stellen?
Kooths: Wir brauchen jetzt keine weiteren Rentenkommissionen, denn wir haben ja kein Erkenntnisproblem, sondern ein politisches Umsetzungsproblem.

Deshalb sollte jetzt schnell politisch gehandelt werden: Reform der sozialen Sicherungssysteme einerseits, produktivitätsstärkende Maßnahmen wie Bürokratie- und Subventionsabbau andererseits.

Stefan Kooths, Ökonom

Davon ginge ein Signal aus, dass auch wieder ökonomische Dynamik in Deutschland gestärkt werden kann. Und davon würden dann alle profitieren, die Jüngeren wie die Älteren.
Das Interview führte Britta Spiekermann, Korrespondentin im ZDF-Hauptstadtstudio.

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Quelle: dpa

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