Arbeitszeit in Deutschland: Müssen wir mehr arbeiten?
Analyse
Wirtschaftskrise in Deutschland:Müssen wir mehr arbeiten?
von Jasmin Astaki-Bardeh
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Fachkräfte fehlen und das BIP sinkt: Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise, die Rufe nach längeren Arbeitszeiten und Renten mit 70 werden lauter. Doch liegt darin die Lösung?
Deutschlands Wirtschaft steckt zum Teil in der Krise - müssen die Menschen deshalb mehr arbeiten? (Symbolbild)
Quelle: dpa
Seltsamerweise ist der "Tag der Arbeit" arbeitsfrei - ein Feiertag, der an die Regulierung der Arbeitszeit erinnert. Vor anderthalb Jahrhunderten gingen Menschen für den Acht-Stunden-Tag auf die Straße.
Heute steht die Begrenzung der Arbeitszeit infrage. Denn Deutschland steckt in einer Wirtschaftskrise: Fachkräfte fehlen, Geschäfte schließen und das Bruttoinlandsprodukt sinkt. Immer deutlicher zeigt sich, dass Wohlstand kein Selbstläufer ist. Die Forderung, dass Beschäftigte mehr arbeiten sollen, wird immer lauter. Ist das der richtige Ansatz? Oder wird damit die Verantwortung auf die Arbeitnehmer abgewälzt?
"Solidarität wirkt. Der Kampf für gute Arbeit gewinnt an Zulauf, vor allem bei jungen Ostdeutschen". Dort liege der Lohn noch immer 19 Prozent unter dem Westniveau, sagt DGB-Chefin Yasmin Fahimi.30.04.2025 | 5:32 min
Deutschland gehört bei der Arbeitszeit zu den Schlusslichtern
Die solide Wirtschaftsleistung Deutschlands hat lange ein hohes Bruttoinlandsprodukt bei vergleichsweise geringer Arbeitszeit ermöglicht. Studien der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) zeigen, dass Deutschland mit 1.375 Arbeitsstunden im Jahr im internationalen Vergleich ein Schlusslicht ist. Durchschnittlich arbeiten die Menschen hierzulande 34,4 Wochenstunden. Für eine Industrienation ist das auffällig wenig.
Das ist eine Entscheidung, die müssen wir sozusagen als Gesamtnation fällen. Was wollen wir?
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Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Kretschmann: In einer solchen Phase muss man ranklotzen
Er warnt mit Blick auf die weltweite Konkurrenz: "Dass man denkt, man kann in der Champions League spielen, ist aber nicht mehr innovativ genug und kann den Angriffen anderer, die uns auch mit Hochtechnologieprodukten angreifen, gar nicht mehr in dem Maße einen Vorsprung haben wie früher, dann muss man in so einer Phase einfach ranklotzen."
Hinzu kommt der demographische Wandel. Bei einer alternden Bevölkerung und weniger Beschäftigen droht ein schwerwiegendes Ungleichgewicht. Doch haben viele Deutschen nun einfach keine Lust zu arbeiten - oder sind sie sogar faul?
Rente, Gesundheit, Pflege: Die sozialen Sicherungssysteme sind überlastet, die Kosten steigen immer weiter. Statt konkreter Reformen wollen Union und SPD erst einmal Kommissionen einsetzen.27.04.2025 | 4:07 min
Gewerkschaften warnen vor Überlastung der Arbeitnehmer
Gegen dieses Bild stemmen sich die Gewerkschaften. Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds (DGB), sagt:
Wir sehen in vielen Branchen bereits, dass uns die Belegschaften drohen zusammenzuklappen.
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Yasmin Fahimi, Vorsitzende des Deutschen Gewerkschaftsbunds
"Arbeitszeit ist nicht einfach nur eine Frage, wie man Maschinen an- und ausschaltet, sondern es geht darum, dass das natürlich mit menschlicher Arbeit eine Frage der Gesundheit ist", erklärt Fahimi.
Rund drei Viertel der Deutschen berufstätig
Ein Blick auf die Erwerbsquote zeigt: Rund 77 Prozent der Deutschen sind berufstätig – ein international überdurchschnittlicher Wert, allerdings arbeiten viele nicht in Vollzeit. Das wiederum ist nicht immer frei gewählt. Ein Drittel der weiblichen Teilzeitkräfte ist unfreiwillig in Teilzeit, etwa weil es keine ausreichende Kinderbetreuung oder Pflegeversorgung gibt.
Im neuen Koalitionsvertrag soll dem durch Flexibilisierung der Arbeitszeit entgegengewirkt werden. Sprich: Statt eines Acht-Stunden-Tages sollen Arbeitnehmer ihre Arbeitszeit über die Woche selbst einteilen können.
Zwischen Union und SPD gibt es Unstimmigkeiten beim geplanten Mindestlohn und bei der Einkommenssteuersenkung für kleinere und mittlere Einkommen.14.04.2025 | 3:12 min
Diskussion um Rente mit 67 - oder 70?
Arbeitgebervertreter fordern noch weitere Maßnahmen. Steffen Kampeter, Geschäftsführer der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), plädiert dafür, Frühverrentungsanreize abzuschaffen. Die Rente mit 67 sei ohnehin erst in ein paar Jahren gültig.
Bis dahin gelte es, die Menschen bis zum gesetzlichen Renteneintrittsalter in den Betrieben zu halten. "Daran muss man sehen, ob wir weitere gesetzliche Anpassungsmaßnahmen brauchen." Das soll heißen: Auch die Rente mit 70 sollte nicht ausgeschlossen werden.
"Das Rentensystem fortsetzen", aber Beiträge müssen langsam umgeschichtet werden, sagt Prof. Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.16.04.2025 | 10:16 min
Gewerkschaft sieht Arbeitgeber in der Pflicht
Doch können allein Arbeitnehmer durch "mehr arbeiten" das Problem lösen? DGB-Chefin Fahimi mahnt, auch die Arbeitgeber stünden in der Pflicht.
"Jetzt müssen die Manager liefern und endlich auch in diesen Standort investieren, in Zukunftstechnologien, in Dekarbonisierung und in sichere Beschäftigung", sagt Fahimi.
Jetzt ist die Chance zu zeigen, dass man tatsächlich nachhaltig Kapitalinvestitionen tätigt und nicht nur auf kurzfristige Gewinne schaut.
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Yasmin Fahimi, DGB-Chefin
Quelle: dpa
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