Kretschmann bei "Lanz": Es braucht einen "Mentalitätsschub"
Ministerpräsident bei "Lanz":Kretschmann fordert "Mentalitätsschub"
von Bernd Bachran
|
Baden-Württembergs Ministerpräsident Kretschmann mahnt, die Menschen in Deutschland müssten aufwachen. Konkret spricht der Grünen-Politiker über Arbeitszeiten und die Rente mit 63.
Sehen Sie hier die Sendung "Markus Lanz" vom 30. April 2025 in voller Länge. 30.04.2025 | 60:13 min
Bei "Markus Lanz" sprach Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) offen über die Herausforderungen, vor denen die deutsche Gesellschaft steht. Mit Blick auf die kommenden Jahre machte er deutlich, dass grundlegende Veränderungen unausweichlich seien.
Wir müssen das Verhältnis von Staat, Markt und Bürgergesellschaft immer wieder neu aushandeln. Um solch einen Aushandlungsprozess werden wir nicht herumkommen - und der wird nicht lustig.
„
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Damit spielte er auf die notwendigen Anpassungen in einem Land an, das vor sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Umbrüchen steht. Konkret sprach er unter anderem über eine längere Lebensarbeitszeit und die Rente mit 63.
Rente, Gesundheit, Pflege: Die sozialen Sicherungssysteme sind überlastet, die Kosten steigen immer weiter. Statt konkreter Reformen wollen Union und SPD erst einmal Kommissionen einsetzen.27.04.2025 | 4:07 min
Kretschmann: Der Staat ist kein Supermarkt
Der Grünen-Politiker erinnerte an den verstorbenen CDU-Politiker Wolfgang Schäuble, der es es auf den Punkt gebracht habe: "Viele Bürger betrachten den Staat wie ein Supermarkt, der tolle Angebote machen kann, die man dann quasi zu Billigpreisen holen kann. Das ist der Staat nicht."
Vor knapp zwei Monaten forderte die Gewerkschaft Verdi drei Tage mehr Urlaub und eine flexiblere Arbeitszeitgestaltung im öffentlichen Dienst - dazu sagte Kretschmann: "Dazu fällt mir nichts mehr ein." Eindringlich forderte er stattdessen die Menschen in Deutschland auf, ihre grundsätzliche Haltung zu ändern.
Wir müssen versuchen, einen Mentalitätsschub hinzubekommen, dass die Leute aufwachen. Die Welt ist [heute] völlig anders.
„
Winfried Kretschmann, Ministerpräsident von Baden-Württemberg
Nach mehreren Wochen mit Streiks kam es Anfang April im Tarifstreit des öffentlichen Dienstes zu einer Einigung. Die Beschäftigten erhalten nun mehr Geld und flexiblere Arbeitszeiten. 06.04.2025 | 1:13 min
Rückkehr zum "Fördern und Fordern"?
Kretschmann erinnerte an die Agenda von Altbundeskanzler Gerhard Schröder und den damaligen "Fördern und Fordern". Das sei dann erstaunlicherweise ziemlich in Misskredit geraten, sagte der Regierungschef. "Aber das ist richtig."
Kretschmann sah zwar auch, dass man diese Agenda nicht genauso wie damals umsetzen kann, betonte aber zugleich: "Der Geist der Agenda war der richtige." Die stellvertretende Leiterin des Hauptstadtbüros bei der "Wirtschaftswoche", Sonja Álvarez, stimmte dem Grünen-Politiker zu.
Wir sind in den Wettbewerbsrankings nach hinten durchgereicht worden. Wir sehen aber eben nicht diesen Ruck, der durchs Land geht. Und ich sehe ihn auch nicht im Koalitionsvertrag widergespiegelt.
„
Sonja Álvarez, Wirtschafts- und Politikexpertin
Auch die künftige Regierung hat, wie ihre Vorgänger, keinen Plan zur Rentenreform vorgelegt. Dabei sind die Finanzierungsprobleme dringend. Und es fehlt an Konzepten für die nächste Generation.16.04.2025 | 2:43 min
Teilzeitrepublik Deutschland
Die Wirtschafts- und Politikexpertin Álvarez bemängelte die geringe durchschnittliche Wochenarbeitszeit in Deutschland. "Das sind 34,5 Stunden pro Woche, also weit entfernt eigentlich von einer 40-Stunden-Woche. Was auch daran liegt, dass wir eine Teilzeitrepublik geworden sind."
Laut Sonja Álvarez arbeiten heute in Deutschland 40 Prozent der Menschen in Teilzeit. "Das liegt vor allem daran, dass viele Frauen in Teilzeit arbeiten. Das ist einfach ein Arbeitskräftepotenzial, das verloren geht."
Frauen leisten im Job, im Haushalt und bei der Kinderbetreuung enorm viel – und verdienen immer noch weniger als Männer. Ihr Armutsrisiko im Alter wird oft völlig unterschätzt.12.01.2025 | 30:05 min
Sie verwies darauf, dass Frauen noch oft, "die Familienarbeitszeit stemmen". Das, so Alvarez, sollte "in Deutschland im Jahr 2025 eigentlich austarierter sein."
Schon im Jahr 2023 hatte Kretschmann in einem Interview mit der Zeitung "Nordkurier" zudem gemahnt: "Wir können es uns nicht leisten, dass hauptsächlich eigentlich gesunde und gutverdienende Menschen mit 63 in Rente gehen."
"Das Rentensystem fortsetzen", aber Beiträge müssen langsam umgeschichtet werden, sagt Prof. Martin Werding, Mitglied des Sachverständigenrates Wirtschaft.16.04.2025 | 10:16 min
Kretschmann sieht im Koalitionsvertrag Schwächen beim Thema Rente
Auch bei "Markus Lanz" wetterte Kretschmann gegen eine Frühverrentung mit 63. "Wenn ich die Debatten verfolge, denke ich, die ganze Nation besteht aus Dachdeckern. Immer kommt der Dachdecker."
Der Ministerpräsident sah zum Thema Rente "eine Schwäche in dem Koalitionsvertrag" von Union und SPD. Dieser sei "sehr, sehr wolkig", was die ganze Rentenfrage betreffe. Er bemängelte neben konkreten Plänen zur Rentenfrage auch konkrete Ansagen zu den Fragen: ""Wie viele Urlaubstage haben wir? Wie viele Feiertage haben wir?"
Bei Verstößen von Bürgergeld-Empfängern gegen Vorschriften haben die Arbeitsämter im vergangenen Jahr härter durchgegriffen. Mehrere hunderttausende Zahlungen wurden gekürzt. 10.04.2025 | 0:22 min
Sonja Álvarez wies Kretschmann darauf hin, dass "die Grünen in der Ampel auch die Möglichkeit gehabt haben, gerade diese Themen anzugehen". Sie hätten es aber icht gemacht. "Es gab keine wirklichen Vorschläge, wie jetzt die Sozialbeiträge nach unten korrigiert werden könnten oder eben in der Rente eine echte Reform möglich wäre", kritisierte die Journalistin. "Das sind ja dann auch drei verlorene Jahre gewesen."
Was der Grünen-Politiker Kretschmann bestätigte: "Das stimmt. In der Frage ist nichts gelaufen, das kann man nicht bestreiten."
Quelle: dpa
Sie wollen auf dem Laufenden bleiben? Dann sind Sie beim ZDFheute-WhatsApp-Channel richtig. Hier erhalten Sie die wichtigsten Nachrichten auf Ihr Smartphone. Nehmen Sie teil an Umfragen oder lassen Sie sich durch unseren Podcast "Kurze Auszeit" inspirieren. Zur Anmeldung: ZDFheute-WhatsApp-Channel.