Der Fall Martin S.:Welche Rolle die Neonazi-Szene in Dortmund spielt
Er rief zum Mord an Politikern auf: Der Fall Martin S. lenkt den Blick auch auf Dortmunds Neonazi-Szene, die sich in der Pandemie neu vernetzt und radikalisiert hat.
Martin S. habe zu Anschlägen aufgerufen, unter anderem auf die Alt-Kanzler Merkel und Scholz. Er veröffentlichte auch ihre Privatadressen und Anleitungen für Sprengsätze.
11.11.2025 | 1:32 minDer festgenommene Martin S. soll eine Todesliste geführt und Anschläge auf Politiker geplant haben. Ermittler prüfen derzeit, ob er aus der rechtsextremen Szene in Dortmund stammt, einer Szene, die über Jahrzehnte als Hochburg der westdeutschen Neonazi-Szene galt.
Der Verfassungsschutz hatte den 49-Jährigen schon länger auf dem Schirm, weil er sich in der Corona-Zeit radikalisierte, erklärt ZDF-Rechtsexpertin Sarah Tacke.
Der Journalist Olaf Sundermeyer recherchiert seit Jahren zu Extremismus. Im Interview mit ZDFheute live ordnet er ein, welche Bedeutung Dortmund in der rechten Szene hat und warum sie bis heute deutschlandweit Wirkung zeigt.
In Dortmund wurde ein Mann mit Verbindungen zur Reichsbürgerszene festgenommen. Er plante Anschläge auf Politiker, berichtet Expertin Sarah Tacke.
11.11.2025 | 1:34 minDas braune Erbe von Dortmund
Sundermeyer beschreibt die rechtsextremistische Szene in Dortmund als Szene mit einer "langen Tradition seit Anfang der 80er-Jahre über verschiedene Generationen".
Sie sei stark von Siegfried Borchardt geprägt worden, der unter dem Spitznamen "SS-Siggi" bekannt war. Nach seinem Tod 2021 habe die Szene deutlich an Schlagkraft verloren.
Lange Zeit galt Dortmund als die zentrale Hochburg für Neonazis schlechthin - in Westdeutschland.
Olaf Sundermeyer, Journalist
... ist Journalist und Buchautor. Seine Schwerpunkte sind Extremismus, Populismus, Clan-Kriminalität und die gesellschaftlichen Herausforderungen.
Über Jahrzehnte sei Dortmund eine zentrale Bühne für Neonazis im Westen der Republik gewesen, so Sundermeyer. Im Norden und Westen der Stadt hätten sich Neonazis in Wohngemeinschaften organisiert, immer wieder Aufmärsche veranstaltet.
In den vergangenen 20 Jahren habe es dort mehrere politisch motivierte Morde gegeben, an Polizisten oder an dem NSU-Opfer Mehmet Kubasik. Dortmund habe, so Sundermeyer, "eine große Tradition rechtsextremistischer Gewalt".
Sehen Sie hier das gesamte Interview mit dem Journalisten Olaf Sundermeyer.
11.11.2025 | 12:14 minWarum Dortmunds Neonazis nach Ostdeutschland abwanderten
"Die Szene - organisiert zunächst in einer großen Kameradschaft im nationalen Widerstand Dortmund, der irgendwann verboten wurde […] - hat sich dann gewandelt in eine neonazistische Kleinstpartei, die Rechte […]." Man habe dort aber nie den Anschluss an die politische Mitte gefunden, so Sundermeyer weiter.
Auch deshalb seien viele führende Köpfe in den Osten weitergezogen, etwa nach Sachsen. Sundermeyer zufolge entschieden sich einige Kader, in Regionen zu ziehen, "wo Rechtsextremismus normalisiert ist, wo es den Anschluss an die gesellschaftliche Mitte längst gegeben hat".
Dort könnten sie ihre Aktivitäten offener fortsetzen, etwa auf rechtsalternativen Buchmessen.
Rechtsextreme Straftaten erreichen 2024 einen neuen Höchststand. Darunter sind brutale Gewalttaten, die sich gegen politische Gegner richten. Wer sind die oft sehr jungen Täter?
19.03.2025 | 29:31 minCorona als Katalysator für Radikalisierung
Einen letzten Höhepunkt habe die Dortmunder Neonazi-Szene in der Zeit der Corona-Pandemie erhalten. Die Proteste gegen die Corona-Maßnahmen seien teilweise von bekannten Neonazis mitorganisiert worden.
Diese Corona-Proteste seien in unterschiedlichen Orten in Deutschland ein "ganz wesentliches Radikalisierungsmomentum" gewesen. Menschen hätten ihren Weg hin zum Rechtsextremismus über Corona-Proteste gefunden.
Gewaltbereitschaft, NS-Verherrlichung, rechtes Gedankengut: Neu aufkommende rechtsextreme Jugendgruppen rekrutieren beim Fußball neue Mitglieder.
22.03.2025 | 1:16 min"Das Entscheidende ist, wenn wir auf diese angebliche, auf diese mutmaßliche Todesliste schauen, ist einfach dieses Abrechnen mit Verantwortlichen für die Corona-Maßnahmen", so Sundermeyer. Sie seien für vogelfrei erklärt worden.
Listen mit Verantwortlichen kursieren in der Szene bis heute überall.
Olaf Sundermeyer, Journalist
Die Mechanismen seien nicht neu. Schon während der Flüchtlingskrise 2015 habe es ähnliche Radikalisierungsmuster gegeben, die schließlich im Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke gipfelten.
Der CDU-Politiker Lübcke war in der Nacht zum 2. Juni 2019 auf der Terrasse seines Hauses im Kreis Kassel von dem Rechtsextremisten Stephan Ernst erschossen worden. Der Landtagsuntersuchungsausschuss wurde 2020 eingerichtet, um die Rolle der hessischen Sicherheitsbehörden in dem Mordfall aufzuarbeiten.
Der CDU-Politiker hatte sich für die Aufnahme von Flüchtlingen eingesetzt.
Quelle: dpa
Reichsbürger-Szene mit Überschneidungen zum Rechtsextremismus
Die Szene der sogenannten Reichsbürger, der Martin S. mutmaßlich angehören soll, überschneidet sich teilweise mit dem rechtsextremistischen Spektrum. Teile des Milieus gelten als gewaltbereit, in den vergangenen Jahren deckten Sicherheitsbehörden unter anderem mehrfach gewaltsame Umsturzbestrebungen auf.
Spremberg kämpft mit dem Strukturwandel und gegen den Rechtsextremismus. Die Bürgermeisterin schlägt Alarm, doch in der Stadt gehen die Meinungen weit auseinander.
21.07.2025 | 2:30 minAuch diese sogenannte Reichsbürger-Bewegung habe in der Corona-Zeit stark an Zulauf gewonnen, erklärt Sundermeyer. Sie sei diffus organisiert, aber bundesweit vernetzt und habe über die Corona-Proteste personelle Verbindungen in die rechtsextreme Szene bekommen.
Wie genau Martin S. mit dieser Bewegung verbunden war, sei laut Sundermeyer derzeit nicht klar. Klar ist: Sein Heimatort Dortmund spielt in der Neonazi-Szene eine besondere Rolle, als Ort mit langer rechtsextremer Geschichte und als Beispiel dafür, wie lokale Szenen zu nationalen Netzwerken verschmelzen.
Bundesinnenminister Dobrindt hat die Reichsbürger Vereinigung „Königreich Deutschland“ verboten. Nach einer bundesweiten Razzia wurden unter anderem der Anführer der Gruppe festgenommen.
13.05.2025 | 3:01 minDas Interview zusammengefasst hat Katharina Schuster.
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