Geert Wilders und die Niederlande: Wie rechts ist das Land?

Interview

Geert Wilders und der Rechtspopulismus:Wie rechts sind die Niederlande?

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Rechtspopulist Geert Wilders hat die letzte Regierung in den Niederlanden platzen lassen. Die Bilanz seiner Regierung: eher übersichtlich. Trotzdem führt er in den Umfragen. Warum?

Ein Bauarbeiter stellt ein Walkplakat mit Geert Wilders auf die Straße

Wohnungsnot und Asylrecht sind die dominanten Themen im Wahlkampf der Niederlande. Rechtsaußen Geert Wilders weiß das für sich zu nutzen. Doch niemand will mit ihm koalieren.

22.10.2025 | 6:29 min

Ende Oktober wählen die Niederlande ein neues Parlament und einen neuen Premierminister. Bei der vergangenen Wahl 2024 war die rechtspopulistische Partei von Geert Wilders, die PVV, stärkste Kraft. Wilders selbst wurde damals nicht Ministerpräsident: die Bedingung der anderen Mitte-Parteien für eine Regierungskoalition unter Führung der PVV.

Aber Wilders hielt die Strippen als Fraktionsvorsitzender in der Hand - und ließ die Koalition nach wenigen Monaten platzen. Jetzt führt Wilders wieder in den Umfragen. Warum, erklärt Extremismusforscherin Léonie de Jonge.

ZDFheute: In wenigen Tagen wird in den Niederlanden gewählt. Geert Wilders führt die Umfragen an. Woher kommt es, dass er so viel Zulauf hat? Dass er so beliebt ist?

Leonie de Jonge: Wilders hat die Regierung fallen lassen und in den letzten elf Monaten, in denen er in der Regierung war, nichts vorangebracht. Trotzdem nehmen die Wähler*innen ihm das nicht übel. Es sind mittlerweile rund ein Viertel der niederländischen Wähler*innen , die auf die extreme Rechte zielen - nicht nur Wilders, wir haben mehrere Parteien in der extremen Rechten.

Ein Grund ist, dass das Thema Migration in der öffentlichen Debatte sehr politisiert und thematisiert wird. Sobald es um Migration geht in der öffentlichen Debatte, gehen Wilders Umfragewerte nach oben. Andererseits gibt es viel Unzufriedenheit auch bei anderen Themen. Und Wilders ist jemand, der diese Unzufriedenheit aktivieren und in Wählerstimmen verwandeln kann.

Der Vorsitzende der niederländischen rechtsradikalen Partei PVV, Geert Wilders (L), spricht zu den Medien, nachdem er an den wöchentlichen Koalitionsgesprächen im Unterhaus in Den Haag teilgenommen hat, am 3. Juni 2025.

Der niederländische Rechtpopulist Geert Wilders ließ die Regierung in Den Haag platzen. Anlass war ein Konflikt um die Migrationspolitik. Nun gibt es eine Neuwahl.

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ZDFheute: Sie haben es gerade selbst gesagt: Die PVV war an der Macht, hat die Regierung dann platzen lassen, ist trotzdem beliebt - kann Wilders nicht gestoppt werden?

De Jonge: Die Niederlande hat eine sehr fragmentierte politische Landschaft. Das heißt, sehr viele Parteien mischen mit. Wilders' PVV ist nur eine davon. Wenn man sich die Umfragen anschaut, hat er auf keinen Fall eine Mehrheit. Es ist wichtig zu betonen, dass die demokratischen Parteien in den Niederlanden noch immer weitaus in der Mehrheit sind.

Aber Wilders ist ein sehr dominanter und politisch kompetenter Spieler.

Leonie de Jonge, Extremismusforscherin, Uni Tübingen

Andere Parteien tun sich da schwer, ihrerseits andere Themen auf die Agenda zu setzen.

Portraitaufnahme von Léonie de Jonge
Quelle: Privat

Léonie de Jonge ist Extremismusforscherin an der Universität Tübingen. Die Professorin hat sich dabei viel mit der rechten Bewegung in den Niederlanden beschäftigt, vor allem mit den zentralen politischen Akteuren.


ZDFheute: Kann man etwas dazu sagen, wie stark generell dieser Extremismus, dieser Rechtsextremismus, in den Niederlanden ist und welche Auswirkungen das hat?

De Jonge: In den letzten 20 Jahren hat die extreme Rechte in den Niederlanden enorm zugelegt und ist in zunehmendem Maße normalisiert worden. Die VVD (liberalkonservative Partei, für die unter anderem Mark Rutte Ministerpräsident war, Anmerkung der Redaktion) hat angefangen, das Thema Migration zu politisieren, aber nicht die Wähler*innen erreicht.

Das hat den Weg bereitet für Pim Fortuyn und seine Partei - die "Liste Pim Fortuyn". Er hat zum ersten Mal wirklich sehr islamkritische Politik betrieben. Da war der Geist aus der Flasche, und dieses Thema wurde dauerhaft bedient. Fortuyn wurde 2002 ermordet, neun Tage vor den Wahlen, und hat ein Vakuum hinterlassen.

Danach kam Geert Wilders mit seiner Partei, viel enger organisiert, weshalb er auch viel dauerhafter, viel beständiger ist gegen Schocks.

ZDFheute: Das Bild von den Niederlanden als weltoffene, kosmopolitisch-freundliche Seefahrer-Nation: Ist das also nicht mehr zutreffend?

De Jonge: Das ist ein Bild, was die Niederlande gerne nach außen hin präsentiert. Wo man sich aber die Frage stellen kann, ob das jemals zutreffend war. Ja, die Niederlande waren lange ein Sonderfall, was die extreme Rechte angeht: Vor dem Jahr 2000 gab es fast keine extreme Rechte in den Niederlanden, und diese Ansichten wurden sehr wenig toleriert. Heutzutage sind rechtsextreme Weltanschauungen immer mehr normalisiert und werden immer mehr toleriert.

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ZDFheute: Wie kann man in diesem fragmentierten System, bei dem die Fronten so verhärtet sind, noch Kompromisse finden und zusammenarbeiten?

De Jonge: Ich würde noch mal ganz stark betonen, dass es nicht um zwei Fronten geht. Es geht vor allem um den Aufstieg einer extremen Rechten, die immer dominanter wird. Demgegenüber stehen demokratische Parteien. Das ist eine gesamtgesellschaftliche Herausforderung.

Es ist an den demokratischen Parteien, Angebote für die Wähler*innen zu bieten und die Debatte wieder wegzuführen von den Themen, die die extreme Rechte dauerhaft besetzen. Es gibt genug andere Probleme, die zu lösen sind, wie Klima oder Wohnen.

Das Interview führte Lara Wiedeking, Korrespondentin im ZDF-Studio Brüssel.

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