Niederlande: Schlumpf-Spray boomt - Mittel zur Selbstverteidigung?

Niederlande nach Schülermord:"Schlumpf-Spray": Mittel zur Verteidigung?

Ninve Ermagan
von Ninve Ermagan
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Nach dem Mord an einer Schülerin boomt in den Niederlanden "Schlumpf-Spray" zur Selbstverteidigung. Doch in Deutschland warnt ein Jurist: Der Einsatz könnte selbst strafbar sein.

Frau wehrt sich mit Pfefferspray

Nach einem Mord in Amsterdam greifen Frauen zu einem neuen Tool zur Selbstverteidigung (Symbolbild).

Quelle: Getty Images

Allein unterwegs, ein Blick über die Schulter - jemand folgt. Für viele Frauen ist das keine abstrakte Angst, sondern bittere Realität. Spätestens seit dem tödlichen Angriff auf eine 17-jährige Schülerin Mitte August herrscht in den Niederlanden eine neue Welle der Verunsicherung.

Das Verbrechen, bei dem die Jugendliche auf dem Heimweg von einem 22-Jährigen verfolgt und erstochen wurde, löste Proteste, Trauer und einen überraschenden Trend aus: Binnen Tagen war ein ungewöhnliches Selbstverteidigungsmittel in vielen Shops restlos ausverkauft - das sogenannte "Schlumpf-Spray".

Das Spray soll Angreifer nicht außer Gefecht setzen, sondern sichtbar machen. Es markiert Täter mit auffälliger blauer Farbe, die mehrere Tage auf Haut und Kleidung haften bleibt - und damit die Identifizierung erleichtert. Statt auf Reizstoffe wie Pfeffer oder CS-Gas setzt das Spray auf harmlose Lebensmittelfarbe, die beim Versprühen zu Schaum aufschäumt und die Sehfähigkeit des Angreifers einschränkt. So soll dem Opfer die Möglichkeit zur Flucht eröffnet werden.

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Niederlande meldet Rekordverkäufe

In niederländischen Online-Shops meldeten Händler innerhalb weniger Tage Rekordverkäufe. In vielen Städten war das Produkt zeitweise ausverkauft - sowohl online als auch vor Ort. Das berichtete unter anderem der flämische Sender VRT. Auch auf sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos von Frauen, die das Spray als Selbstschutz empfehlen.

Dass die Nachfrage offenbar so rasant steigt, könnte auch mit der Gesetzeslage zusammenhängen: Pfefferspray ist in den Niederlanden verboten - legale Alternativen wie das Schlumpf-Spray füllen nun diese Lücke, besonders nach der jüngsten Gewalttat.

Wie sieht die rechtliche Lage in Deutschland aus?

Während das Schlumpf-Spray in den Niederlanden also als legale Alternative zum verbotenen Pfefferspray gilt, stellt sich in Deutschland die Frage: Kann das blaue Spray auch hier zum Einsatz kommen?

"Man muss unterscheiden zwischen zwei Ebenen", erklärt Prof. Dr. Matthias Jahn, Strafrechtler an der Goethe-Universität Frankfurt. "Zum einen geht es darum, welche Verteidigungsmittel eine Frau in einer konkreten Angriffssituation einsetzen darf - das ist Sache des Strafrechts. Zum anderen geht es um die Frage, welche Mittel sie überhaupt besitzen darf - das ist verwaltungsrechtlich geregelt."

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Schlumpf-Spray hat zwei Wirkungen

Entscheidend sei daher die konkrete Notwehrsituation. "Notwehr ist grundsätzlich ein sehr scharfes Verteidigungsmittel, wenn der Angriff gegenwärtig ist - also unmittelbar bevorsteht, gerade stattfindet oder noch andauert." Das Schlumpf-Spray habe zwei Wirkungen: Zum einen werde der Angreifer durch den Schaum kurzfristig in seiner Sehfähigkeit eingeschränkt.

Das ist zulässig - genauso wie auch der Einsatz von Abwehrsprays zulässig sein kann, wenn eine konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit droht.

Prof. Dr. Matthias Jahn, Goethe-Universität Frankfurt

Experte: Einsatz in Deutschland rechtswidrig

Problematisch sei jedoch die zweite Wirkung: die blaue Farbe, die mehrere Tage auf Haut und Kleidung hafte. "Dann ist der Angriff ja gar nicht mehr gegenwärtig, weil er bereits abgeschlossen ist", erklärt der Strafrechtler. Aus juristischer Sicht dürften nach Ende eines Angriffs nur solche Neben- oder Nachwirkungen in Kauf genommen werden, die unvermeidbar seien.

Das Ziel, den Angreifer dauerhaft sichtbar zu machen, um eine Strafverfolgung zu erleichtern oder ihn öffentlich zu stigmatisieren, wäre in Deutschland unter dem Gesichtspunkt des Notwehrrechts rechtswidrig.

Prof. Dr. Matthias Jahn, Goethe-Universität Frankfurt

Denn Strafverfolgung sei "Aufgabe des Staates, nicht der Opfer", betont Jahn. Auch die Missbrauchsgefahr sei hoch: Menschen könnten ohne Grund markiert werden, obwohl sie sich nichts haben zuschulden kommen lassen. Damit bestehe das Risiko, dass auch Unbeteiligte ins Visier geraten oder Ziel von Racheaktionen würden.

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"Risiko einer Täter-Opfer-Umkehr"

Demnach wäre nach seiner Einschätzung der Einsatz des Sprays in Deutschland rechtswidrig. Wer eine Person dauerhaft markiert, könnte sich selbst strafbar machen - etwa wegen Körperverletzung oder Beleidigung. "Das Risiko einer Täter-Opfer-Umkehr ist groß", warnt Jahn unter diesem Gesichtspunkt. Frauen, die Schlumpf-Spray aus den Niederlanden importieren und hier einsetzen, könnten am Ende selbst strafrechtlich belangt werden.

Deshalb spricht vieles dafür, zu den Abwehrmitteln zu greifen, die in Deutschland anders als in den Niederlanden legal sind.

Prof. Dr. Matthias Jahn, Goethe-Universität Frankfurt

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