Abtreibung in den Niederlanden: Europas liberalste Regelungen

Keine Wartezeit, keine Kosten:Wie Abtreibungen in den Niederlanden laufen

Eine Frau mit braunen Haaren lächelt in die Kamera.
von Lara Wiedeking, Amsterdam
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Kaum ein Land in Europa macht Frauen den Zugang zu Abtreibungen so leicht wie die Niederlande. Wie die Regeln sind und ob es wirklich keinen Gegenwind gibt.

OP-Besteck für einen Schwangerschaftsabbruch

In Deutschland sinkt die Zahl der Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen, jährlich. In den Niederlanden hingegen wird ein leichterer Zugang zu Abtreibungen ermöglicht.

Quelle: dpa

"Ich bin 20 Jahre alt, und plötzlich erscheinen da zwei Streifen", erzählt Nena. Sie steht auf einem Podium in einem alten Amsterdamer Lagerhaus, das jetzt eine Eventlocation ist. Es geht um Abtreibungen, um Mythen und Desinformation. Den ganzen Abend werden verschiedene Frauen aufs Podium treten und von ihren Abtreibungen berichten - Mütter, Frauen in ihren 30ern, Frauen mit Kinderwunsch. Der Saal ist voll, vor allem Menschen zwischen 20 und 40 sind gekommen, Frauen, aber auch Männer. Es ist sehr still, während die Rednerinnen auf dem Podium stehen.

Nena, inzwischen 22 Jahre alt, erzählt, wie sie der positive Schwangerschaftstest gelähmt hat. Wie schwer ihr die Entscheidung gefallen ist. Und wie freundlich die Mitarbeiterinnen in der Abtreibungsklinik waren. Ihr eine Wärmflasche gaben, Sandwiches, nach ihrem Urlaub gefragt haben. Nach ihrem Vortrag: donnernder Applaus.

Ein Schwangerschaftstest zeigt mit zwei Streifen eine Schwangerschaft an.

In Schweden ist der Umgang mit ungewollter Schwangerschaft sehr liberal. Bis zur 18. Woche dürfen Frauen abtreiben. Kritische Stimmen sind in der Minderheit.

17.09.2025 | 6:43 min

"Man kann direkt in eine Abtreibungsklinik"

Abtreibungen in den Niederlanden sind bis zu dem Zeitpunkt möglich, an dem der Fötus außerhalb der Gebärmutter lebensfähig ist, also ungefähr bis zur 24. Woche. Doch der Großteil finde im ersten Trimester statt, oder sogar in den ersten sechs Wochen, erzählt Karin van der Velde. Sie arbeitet für die niederländische Organisation "Rutgers", die sich weltweit für das Recht auf Selbstbestimmung, sexuelle Gesundheit und Aufklärung einsetzt. "Man kann direkt in eine Abtreibungsklinik gehen", so van der Velde, "Früher gab es eine Wartezeit, doch die wurde im Januar 2023 abgeschafft."

Die Mehrheit der Niederländer hat die Ansicht, dass eine Frau in der Lage sein sollte, selbst zu entscheiden. 86 Prozent hat eine unserer Umfragen gezeigt.

Karin van der Velde, Rutgers

Das Land hat europaweit die liberalsten Regeln, was Abtreibungen betrifft. Für Menschen, die in den Niederlanden leben oder arbeiten, ist die Abtreibung kostenfrei. Wer möchte, kann vorher oder auch danach eine Beratung bekommen. Inzwischen können auch Hausärzte bis zur neunten Schwangerschaftswoche Tabletten verschreiben, mit deren Hilfe Frauen abtreiben können.

Mütter würden sich nicht für eine Abtreibung entscheiden: Ein Mythos, mit dem die Veranstaltung im Lagerhaus in Amsterdam aufräumen möchte. Auf dem Podium sitzt inzwischen Nina. Sie ist Podcasterin, Mutter, Mitte 30, und erzählt von ihrer Abtreibung. Geduldig antwortet sie dabei auch auf die Fragen einer Abtreibungsgegnerin im Publikum. Betont, es gehe nicht um richtig oder falsch, jede Frau müsse ihre eigene Entscheidung treffen.

Der Gynäkloge Joachim Volz (r) sitzt mit seinem Anwalt Till Müller-Heidelberg im Verhandlungssaal des Amtsgerichts Lippstadt, Aussenstelle des Arbeitssgerichts Hamm

Der Chefarzt eines katholischen Krankenhauses klagte gegen das Abtreibungsverbot des Trägers. Heute entschied ein Gericht: Das Verbot sei rechtens. Der Arzt kündigt Berufung an.

08.08.2025 | 2:46 min

Deutschland europaweit auf Platz 29

Diese Woche hat das "European Parliamentary Forum", ein unabhängiges Netzwerk von EU-Abgeordneten, einen neuen Atlas vorgestellt: Dabei wurde in 49 europäischen Ländern und Territorien die Gesetzeslage in Bezug auf Abtreibung, der Zugang für die Betroffenen und die medizinische Versorgung verglichen. Deutschland liegt auf Platz 29. Die Niederlande auf Platz 3. Davor sind noch Schweden und Frankreich.

Debatte um Paragraf 218
:Abtreibungen: Keine Bewegung bei Legalisierung

Mehr als 300 Bundestagsabgeordnete hatten sich für eine Legalisierung von Abtreibungen ausgesprochen. Ein entsprechendes Gesetzesvorhaben ist jedoch vorerst gescheitert.
Demonstranten halten ein Transparent hoch, auf dem eine durchgestrichene Nummer des Paragraphen 218 zu sehen ist
mit Video

Doch Karin van der Velde, die Mitarbeiterin von Rutgers, erklärt, dass es auch in den Niederlanden Desinformation und harte Abtreibungsgegner gibt:

An verschiedenen Kliniken kommt es immer wieder zu Einschüchterungen vor den Türen. Menschen, die die Frauen ansprechen. Und ihnen ausreden wollen, in die Klinik zu gehen.

Karin van der Velde, Rutgers

Abtreigungsgegner bei Protestaktion

Immer wieder demonstrieren radikale Abtreibungsgegner vor Beratungsstellen zum Schwangerschaftsabbruch. Der Bundestag berät heute einen Gesetzesentwurf, der Schwangere vor dieser "Gehsteigbelästigung" schützen soll.

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Recht auf Abtreibung immer in Gefahr

Szenen, die man eigentlich aus den USA kennt. "Diese Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu äußern, gegen Abtreibungen zu sein, zu demonstrieren", das sieht auch van der Velde so, "Aber sie können nicht anderen Menschen sagen, was sie tun oder lassen sollen." Verschiedene Bürgermeister sind mit dem Versuch, diese Einschüchterungen und Demonstrationen vor Abtreibungskliniken zu verbieten, vor Gericht gescheitert.

Inzwischen steht Rebecca Gomperts auf der Bühne der Podiumsdiskussion. Sie ist Ärztin und hat eine Organisation gegründet, die Abtreibungsmedikamente ins Ausland verschickt, wenn Frauen dort keinen Zugang dazu haben. Auch in die USA, wo der Zugang zu legalen Abtreibungen unter Präsident Donald Trump immer unmöglicher geworden ist.

USA stoppen Auslandshilfen
:"America First" - und Afrika wird leiden

Katastrophenhilfe, Bildung, Medikamente. Die US-Regierung hat fast alle humanitären Zahlungen eingefroren. Millionen von Menschen weltweit sind betroffen. Wie geht es weiter?
Veronica Habela, Nairobi
Demonstrant hält Schild mit der Aufschrift "USAID safes lives".
mit Video

Was mit Frauen passiert, die keinen Zugang zu einer sicheren Abtreibung haben? "Sie sterben", sagt van der Velde, nüchtern und direkt. "Oder sie leiden ihr ganzes Leben lang unter gesundheitlichen Folgen. Oder, wenn sie doch ein Kind wollen, können sie nicht mehr schwanger werden. Ganz zu schweigen von der mentalen Belastung."

In knapp vier Wochen wird in den Niederlanden gewählt, und auch wenn fast alle rechts-konservativen Parteien einen Passus zur Abtreibung in ihrem Wahlprogramm haben, an dem grundsätzlichen Recht will niemand rütteln. Wohl auch, weil die Zustimmung in der Bevölkerung so überwältigend ist.

Entscheidung gegen Elternschaft
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