Wissler bei "Lanz": "Natürlich brauchen wir mehr Sozialstaat"

Linken-Politikerin bei "Lanz":Wissler: "Natürlich brauchen wir mehr Sozialstaat"

von Bernd Bachran
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Linken-Politikerin Wissler plädiert für eine Sozialstaatsreform, während Steinbrück mehr Effizienz vom Staat verlangt. Eine höhere Besteuerung von Milliardären sei ein Trugbild.

Markus Lanz vom 18. September 2025: Markus Lanz, Peer Steinbrück, Janine Wissler

Zur Zukunft des Industriestandortes Deutschland und des Sozialstaates sowie zur Möglichkeit einer Flexibilisierung des Renteneintrittsalters.

18.09.2025 | 59:39 min

"95 % der Wahlbevölkerung interessieren sich weniger für eine Cannabislegalisierung, weniger für eine biologische Selbstbestimmung, weniger für geschlechtsneutrale Toiletten als für Jobs, innere Sicherheit, Migration und eine vernünftige Verwaltung."

So erklärte am Donnerstagabend der ehemalige Bundesfinanzminister Peer Steinbrück (SPD) bei "Markus Lanz" das historisch schlechte Abschneiden der SPD bei den Kommunalwahlen in NRW. Steinbrück warnte, die Politik riskiere den Rückhalt in der Mitte der Gesellschaft, "wenn man sich nur noch um Partikulargruppen kümmert und nicht mehr um die, die den Karren einfach ziehen".

Wissler: SPD tut zu wenig für die Mehrheit

Die stellvertretende Vorsitzende der Bundestagsfraktion der Linken, Janine Wissler, stimmte dem grundsätzlich zu, formulierte es nur anders:

Sie sagen, dass die SPD sich zu viel um Minderheiten gekümmert hätte. Ich glaube, das Problem ist, dass sie zu wenig für die Mehrheit getan hat.

Janine Wissler, Die Linke

Wissler plädierte für eine Sozialstaatsreform, forderte aber gleichzeitig mehr Sozialstaat. "Ich bin doch nicht Verteidigerin des Sozialstaats, so wie er heute ist, sondern wir wollen Reformen haben. (…) Natürlich brauchen wir mehr Sozialstaat."

Die Linken-Politikerin betonte, viele Rentnerinnen und Rentner lebten in Altersarmut und müssten zwischen Heizen und Essen wählen. Die Rente müsse deshalb armutssicher gemacht werden. Auch im Gesundheitssystem steuere man auf ein Desaster zu, nötig seien Reformen hin zu einer Bürgerversicherung ohne Zweiklassenmedizin, in die auch Privatversicherte und Beamte einzahlen.

ines-schwerdtner

Die Linken-Co-Vorsitzende Ines Schwerdtner hält nichts von Einsparungen und Sanktionen beim Bürgergeld und beklagt öffentliche "Mythen" bei diesem Thema.

03.09.2025 | 5:55 min

Wissler: "Wir beschäftigen Menschen, die Erbsen zählen"

Wissler nannte weitere Beispiele für eine Sozialstaatsreform, zum Beispiel die Kindergrundsicherung und das Bürgergeld. "7,5 Milliarden Euro geben wir für die Verwaltung des Bürgergelds aus. Wir beschäftigen Menschen, die Erbsen zählen, bei denen, die wenig haben und gucken, wo da noch Centbeträge sind, statt das Geld zu nutzen, um zu schauen, wie wir bei Steuerbetrug vorgehen können."

Bundesfinanzminister a.D. Steinbrück sprach im Verlauf der Sendung immer wieder von Effizienz. "Wir werden uns stärker mit der Effizienz dieses Sozialstaates beschäftigen müssen. Wir werden uns sehr viel stärker mit der Zielgenauigkeit [von Maßnahmen] beschäftigen müssen."

Generaldebatte im Bundestag - Friedrich Merz

Kanzler Merz kündigt im Bundestag "mutige Reformen" der Sozialsysteme an. "Wir müssen Dinge neu ordnen, damit sie auch künftig ihren Zweck erfüllen", sagt er.

17.09.2025 | 26:53 min

Steinbrück: höhere Steuern für Milliardäre lösen das Problem nicht

In der von der Linken immer wieder geforderten höheren Besteuerung von Milliardären sah er keine Lösung, sondern ein Trugbild.

Steinbrück: "Das macht sich ganz gut in Verteilungskämpfen, man kann sich auf die Barrikaden stellen und das gibt dann auch ein bisschen Feuer, aber das löst das Problem nicht."

Steinbrück stellte die Frage, wie es mit der Wirtschaftsseite aussehe, um den Sozialstaat zu finanzieren. Er wies darauf hin, dass rund 38 Prozent des Bundeshaushalts in Sozialausgaben flössen und warf die Frage auf, wie sich unter steigendem Wettbewerbsdruck die wirtschaftlichen Grundlagen für die Finanzierung des Sozialstaats sichern ließen.

Wie effizient ist dieser Sozialstaat? An welchen Stellen bietet er die richtigen Anreize, auch Arbeit aufzunehmen? Entspricht er auch dem Gerechtigkeitsempfinden derjenigen, die mit ihren Steuern und Sozialversicherungsabgaben den Sozialstaat finanzieren?

Peer Steinbrück, Ex-Bundesfinanzminister (SPD)

Er glaube, man werde den Sozialstaat "sehr viel stärker auf die Bedürftigkeit konzentrieren" müssen.

Berlin: Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) wartet vor der Aufzeichnung des ProSieben/Sat.1-Sommerinterviews im Studio am Pariser Platz.

Die Diskussion um die Reform des Sozialstaats geht weiter - auch in der Bevölkerung. Die Sorgen sind groß, wie sich in der Kleinstadt Lüdenscheid in Nordrhein-Westfalen zeigt.

02.09.2025 | 2:35 min

Steinbrück: Renteneintrittsalter an Lebenserwartung koppeln

Steinbrück forderte, dass Einkommensgrenzen so angepasst werden müssten, dass Bedürftige stärker unterstützt würden, ohne jedoch die untere Mittelschicht hineinzuziehen. Angesichts des demografischen Wandels müsse effizienter und zielgenauer mit den Ausgaben umgegangen und zugleich die Produktivität der Wirtschaft gesteigert werden.

In diesem Zusammenhang plädierte der SPD-Politiker die für Koppelung des Renteneintrittsalters an die allgemeine Lebenserwartung.

"In meinen Augen macht es Sinn, die Rente zu flexibilisieren, stärker Anreize dafür zu geben, länger zu arbeiten, insbesondere in Jobs, wo das möglich ist, wo die körperliche Belastung nicht so groß ist."

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