Rente und Bürgergeld: "Nicht ewig" auf Reformen warten

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Rente und Bürgergeld:Ökonom: "Nicht ewig" auf Reformen warten

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Ökonom Jens Südekum fordert zügige Reformen bei Bürgergeld und Rente. Im ZDFheute-Interview erklärt er, warum die Zeit drängt - und welche Steuerideen er für gerecht hält.

"maybrit illner" im ZDF

Zu Gast bei "maybrit Illner" heute Abend um 22:15 Uhr u.a. Unionsfraktionschef Jens Spahn, Linkenfraktionsvorsitzende Heidi Reichinnek und der Ökonom Jens Südekum

11.09.2025 | 0:25 min

Die Bundesregierung plant Reformen im Sozialstaat - etwa beim Bürgergeld und der gesetzlichen Rente. Doch die Umsetzung verläuft schleppend: Kommissionen sollen zunächst Grundlagen liefern, bevor politische Entscheidungen getroffen werden. Für Jens Südekum, Ökonom und persönlicher Beauftragter für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Bundesfinanzministers, ist das Tempo zu langsam. Er warnt vor einem Reformstau und kritisiert, dass zentrale Fragen der Verteilung zu lange unbearbeitet bleiben.

Friedrich Merz (links), Bundeskanzler und Bundesvorsitzender der CDU, und Bärbel Bas (rechts), Bundesministerin für Arbeit und Soziales und Bundesvorsitzende der SPD

Die Wirtschaft in Deutschland ist auf Talfahrt. Ein Herbst der Reformen soll nun für den nötigen Befreiungsschlag sorgen. Doch sind wir wirklich bereit, dafür gravierende Einschnitte hinzunehmen?

09.09.2025 | 5:32 min

Südekum fordert bei "maybrit illner" zügige Entscheidungen - und eine ehrliche Debatte über Steuerpolitik. Im Gespräch mit ZDFheute erklärt er, wo er den größten Handlungsdruck sieht und warum Reformen nicht aufgeschoben werden dürfen.

ZDFheute: Auch für den Sozialstaat sind Reformen geplant, bei Bürgergeld und Rente. Dafür sollen zuerst noch Kommissionen Erkenntnisse beisteuern - und das dauert. Kann sich der Staat das Schneckentempo leisten?

Jens Südekum: Ich sehe es auch so, dass wir nicht ewig warten können, denn im Grunde liegen viele Vorschläge bereits auf dem Tisch. Die Arbeit der Kommissionen ist natürlich wichtig. Doch am Ende geht es um Verteilungsfragen und die müssen von der Politik entschieden werden. Beim Bürgergeld ist auf jeden Fall akuter Reformbedarf da, und ich denke, dass wir noch in diesem Jahr Ergebnisse sehen werden.

Prof. Jens Südekum

... ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Außenhandel, Regionalpolitik, Digitalisierung und lokalen Arbeitsmärkten. Im Mai 2025 wurde Südekum, der SPD-Mitglied ist, zum ehrenamtlichen persönlichen Beauftragten für die gesamtwirtschaftliche Entwicklung des Bundesfinanzministers Lars Klingbeil (SPD) berufen.

Er hat gemeinsam mit Ifo-Präsident Clemens Fuest, IW-Direktor Michael Hüther und IfW-Chef Moritz Schularick - der sogenannten Ökonomen-"Viererbande" - die Ideen für eine Reform der Schuldenbremse und höhere Verteidigungsausgaben entwickelt.


ZDFheute: Gilt das auch für die Rentenreform?

Südekum: Auch dort gibt es eindeutig Handlungsbedarf. 20 Prozent des gesamten Bundeshaushalts gehen in den Bundeszuschuss zur Rentenkasse, Tendenz steigend. Zur genauen Zeitleiste kann ich nichts sagen, aber im Laufe dieser Legislatur muss hier etwas passieren, allein schon wegen der Situation im Bundeshaushalt. Im Haushalt 2027 ist zwar weiterhin viel Geld für Verteidigung und Infrastruktur da, der Schuldenbremsenreform sei Dank. Doch im Kernhaushalt, wo alles andere abgebildet wird, klafft dann ein riesiges Loch von gut 30 Milliarden Euro allein im Jahr 2027.

Markus Söder (CSU), Kanzler Friedrich Merz (CDU), Arbeitsministerin Bärbel Bas (SPD) und Lars Klingbeil (SPD) treten gemeinsam bei einem öffentlichen Termin auf.

Arbeitsmarkt, Rente, Gesundheit und Pflege müssen dringend reformiert werden. Doch über die Umsetzung sind sich die Regierungspartner uneins.

07.09.2025 | 4:14 min

ZDFheute: Werden die "Rente mit 63", aber auch die "Aktivrente" zu Recht kritisiert?

Südekum: Wir sollten uns nicht so stark nur auf diese Regelaltersgrenze fokussieren, also die plakative Forderung "Arbeiten bis 70" oder ähnliches.

Schon heute ist die Regelaltersgrenze bei 65 Jahren, aber die wenigsten arbeiten tatsächlich so lange.

Hier müssen wir ansetzen. Die Koalition wird zum Beispiel die Aktivrente einführen und das sogenannte Vorbeschäftigungsverbot ändern. Damit wird es möglich, dass jemand nach Erreichen der Regelaltersgrenze mit einem befristeten Vertrag weiterarbeiten kann. Bisher war das nur in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis möglich, was viele Unternehmen abgeschreckt hat. Ich bevorzuge solche smarten Reformen, denn sie erhöhen die faktische Lebensarbeitszeit.

Ökonom Stefan Kooths.

Der Kanzler hält den Sozialstaat für nicht mehr finanzierbar. Bei ZDFheute live erklärt Ökonom Stefan Kooths, was sich bei Bürgergeld, Rente und Krankenversicherung ändern muss.

30.08.2025 | 21:25 min

ZDFheute: Auch Sie setzen auf Wirtschaftswachstum. Was macht Sie so optimistisch?

Südekum: Die Herbstprognosen kommen bald, alle Institute gehen von einem spürbaren Anstieg der Wachstumszahlen 2026 aus, in einer Spannbreite zwischen ein und zwei Prozent. Ich sehe dafür zwei Gründe. Einmal die Investitionsoffensive der Bundesregierung, aber auch der Rückenwind privater Investoren. Die sind sehr interessiert an Deutschland und haben große Summen angekündigt.

Die Bundesregierung arbeitet derzeit am Konzept für den Deutschlandfonds, damit für alle Euros, die als öffentliche Investitionen ausgegeben werden, noch private Euros obendrauf kommen.

"Berlin direkt - Sommerinterview - Sendung vom 31.08.2025": Friedrich Merz während des Interviews mit Diana Zimmermann.

Bundeskanzler Merz widerspricht SPD-Chef Klingbeil: Steuererhöhungen werde es mit ihm nicht geben. Es gebe einen Koalitionsvertrag und der gelte, sagt er im ZDF-Sommerinterview.

31.08.2025 | 20:57 min

ZDFheute: Schließen Sie Steuererhöhungen aus, um die Kassen zu füllen?

Südekum: Ohne die Ausweitung der Mütterrente oder die Absenkung der Mehrwertsteuer in der Gastronomie wäre das Loch im Bundeshaushalt kleiner. Zusätzlich will die Koalition noch Steuern für kleine und mittlere Einkommen senken. Das halte ich für richtig, aber das vergrößert das Milliardenloch und deshalb brauchen wir dafür eine Gegenfinanzierung.

Aus meiner Sicht sollten wir über eine Erhöhung von Spitzen- und Reichensteuersatz nachdenken.

Wenn man zum Beispiel den Grundfreibetrag erhöht oder den Eingangssteuersatz senkt, profitieren davon ja nicht nur kleine Einkommen. Der Effekt zieht sich durch die ganze Einkommensverteilung und am Ende würden selbst Millionäre weniger Einkommensteuer zahlen - und das geht in der aktuellen Lage schlichtweg nicht.

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Spahn kündigt im ZDF umfangreiche Reformen an, die zu mehr Gerechtigkeit führen sollen, etwa beim Bürgergeld. "Wer arbeiten kann, sollte arbeiten", so der Unionsfraktionschef im Bundestag.

07.09.2025 | 5:03 min

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