Finanzlage der Kommunen: Dramatische Situation in Ostdeutschland

Interview

Forscher über Ost-West-Unterschied:Kommunale Geldsorgen: "Hochdramatische Finanzlage"

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Städte und Gemeinden klagen bundesweit über schlechte Finanzlagen. Warum die Situation in Ostdeutschland besonders angespannt ist, erklärt Finanzwissenschaftler Mario Hesse.

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01.12.2025 | 2:36 min

ZDFheute: Die Finanzlage von Städten und Gemeinden ist mehr als angespannt. Wie dramatisch ist die Situation bundesweit?

Mario Hesse: Wir sind momentan in einer hochdramatischen Finanzlage der Städte, Gemeinden und Landkreise in Deutschland. Das gilt bundesweit bis auf ganz wenige Ausnahmen. Besonders betroffen sind aber tatsächlich strukturschwache Räume, also dort, wo ohnehin wenig Industrie ist, wo wenig Gewerbe ist, wo die Einkünfte niedriger sind, die Löhne niedrig sind. Dort haben die Kommunen besonders zu kämpfen.

ZDFheute: Dabei stellen Sie deutliche Unterschiede zwischen Ost und West fest?

Hesse: Wir haben nach wie vor einen riesigen Ost-West-Unterschied, was die öffentlichen Finanzen betrifft, gerade auf der kommunalen Ebene. Das liegt daran, dass wir seit vielen Jahren schon keine wirtschaftliche Angleichung mehr zwischen Ost und West feststellen können, also die wirtschaftlichen Unterschiede, die Einkommen, die Wirtschaftskraft der Unternehmen und die Investitionstätigkeit der Unternehmen unterscheiden sich ganz deutlich.

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Lange Zeit hat es eine spezielle Förderung für den Osten gegeben, auch bis in die letzten Regionen hinein, aber das gibt es jetzt seit ein paar Jahren nicht mehr und deswegen haben sich Unterschiede sehr stark verfestigt zwischen Ost und West.

... ist unter anderem wissenschaftlicher Mitarbeiter (Postdoc) an der Professur Finanzwissenschaft im Institut für öffentliche Finanzen und Public Management der Universität Leipzig. Seine Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Kommunalfinanzen, Fragestellungen des (kommunalen) Finanzausgleichs, der öffentlichen Infrastruktur sowie der Regionalökonomik.

Quelle: Universität Leipzig


ZDFheute: Woran liegt das?

Hesse: Wir haben deutlich weniger finanzkräftige Unternehmen in Ostdeutschland, viele Unternehmen im Osten sind nach wie vor Tochterunternehmen von großen westdeutschen und europäischen Unternehmen.

Man spricht da oft von verlängerten Werkbänken, also ohne eigene Geschäftsführung vor Ort, ohne eigene Marketing- oder Steuerabteilung vor Ort.

Dr. Mario Hesse

Und das heißt, wenn es irgendwie in einer Branche ein Problem gibt oder es in einem Unternehmen kriselt, wird natürlich zuerst bei diesen Auslegern gekürzt.

Das sieht man jetzt an vielen aktuellen Fällen in der Automobilindustrie und in der Chemie und das prägt die ostdeutsche Wirtschaft. Dadurch sind auch die Löhne und Gehälter niedriger, die Vermögen der privaten Haushalte sind niedriger und man kann schon sagen, dass wir da nach wie vor eine gewisse Zweiklassengesellschaft haben zwischen Ost und West.

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ZDFheute: Auch die Unterschiede zwischen ostdeutschen Leuchtturmstädten wie Leipzig, Jena oder Dresden und vergleichbaren westdeutschen Städten sind groß. Warum gibt es diese Ungleichheit?

Hesse: Wir sehen durchaus Erfolgsgeschichten in Ostdeutschland. In Leipzig, Jena, Dresden, aber auch im Norden in Rostock sehen wir sehr gute Entwicklungen. Aber selbst diese ostdeutschen Leuchttürme sind wesentlich kleiner als die Leuchttürme im Westen. Wirklich große wohlhabende Städte wie München, Frankfurt, Hannover oder Hamburg gibt es in Ostdeutschland nicht, auch dort herrscht so eine gewisse Zweiklassengesellschaft.

Wir schaffen es in Ostdeutschland vor allem nicht, diese Wirtschaftskraft in die Fläche ausstrahlen zu lassen.

Dr. Mario Hesse

Wir reden ja in Deutschland viel über Hidden Champions, also große Unternehmen, Weltmarktführer, die irgendwo im ländlichen Raum angesiedelt sind. Das haben wir in Ostdeutschland wirklich kaum und wenn, dann nur auf einem ganz geringen Niveau.

ZDFheute: Die Schuldenlast ist im Osten niedriger als im Westen. Woran liegt das?

Hesse: Also die Schulden in Ostdeutschland sind vor allen Dingen in den 1990er-Jahren entstanden. Da hat es große Infrastrukturaufbau-Projekte gegeben, zum großen Teil finanziert aus dem Fonds "Deutsche Einheit" und dann hat man diese Schulden in den 2000er-Jahren nach und nach zurückgefahren und heute befinden sich die ostdeutschen Kommunen eher auf einem Schuldenabbaupfad.

Also man versucht, die Altlasten loszuwerden, währenddessen wir in Westdeutschland eher einen Pfad des Schuldenaufbaus haben, also dort wird eher in Infrastruktur investiert, werden dafür auch Kredite aufgenommen.

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ZDFheute: Im Osten ist die Kulturförderung pro Kopf höher als im Westen, es gibt mehr Kitaplätze und kommunale Wohnungen. Ist also nicht manches auch besser?

Hesse: Es wäre sicher falsch zu sagen, im Osten sei alles schlecht. Also auch Ostdeutschland, die ostdeutschen Kommunen, haben eine Menge zu bieten, sind attraktive Wohnstandorte. Ich denke, es ist auch für viele Unternehmen sehr attraktiv.

Wir schaffen das halt nur nicht, Qualität in die Fläche zu bringen.

Dr. Mario Hesse

Und in der Tat haben wir an einigen Stellen auch Vorteile. Die Kinderbetreuung ist so ein Thema. Das ist historisch länger gewachsen auch beim Thema Kultur. Da gibt es tolle Kulturangebote auch in der Fläche.

Dadurch, dass wir eben weniger Großstädte haben, muss das dann eben auch zum Teil in ländlichen Räumen geleistet werden. Auch kommunale Wohnungsbaugesellschaften sind ein Thema, das historisch gewachsen ist aus DDR-Zeiten. Wir haben also viele Standortvorteile, sind schon attraktiv, aber, die Schere wird momentan eher größer als kleiner.

Das Interview führte Andreas Postel, Leiter des ZDF-Studios Sachsen-Anhalt.

Über dieses Thema berichtete das ZDF heute journal am 01.12.25 ab 21:45 Uhr.

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