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Analyse
Katherina Reiche in Leuna:Wofür steht die Wirtschaftsministerin?
von Henriette de Maizière
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Wirtschaftsministerin Reiche besucht den Chemiestandort Leuna. Für Interviews bleibt kaum Zeit. Wofür steht sie? Auch in Leuna bleiben viele Fragen unbeantwortet.
Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche besucht den Chemiestandort Leuna.
Quelle: epa
In Leuna steigt Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) im taubenblauen Satin-Anzug mit acht Zentimeter hohen Stilettos aus dem Dienstwagen. Was im politischen Berlin wie eine selbstbewusste, stilsichere Rüstung wirkt, erscheint im verregneten Leuna seltsam deplatziert.
Die Berichterstatter der Landespolitik und einige neugierige Journalistinnen und Journalisten aus Berlin erwarten sie vor einem Werksbau aus den 50er Jahren. Viele hoffen, die Ministerin einmal besser kennenzulernen. Ihre Positionen erklärt zu bekommen.
Es könnte ein Heimspiel sein für die studierte Chemikerin. Doch der Sommerbesuch der Ministerin am Chemiestandort Leuna ist überlagert von der Tagesaktualität. Vor allem von den am Wochenende zwischen der EU und dem US-Präsidenten Donald Trump ausgehandelten Zöllen.
Reiche stößt Debatte über Rentenalter an
Und dann hat die Ministerin, von der es bislang nur selten Einzelinterviews gibt, am Wochenende im Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" gesagt, die Deutschen müssten länger arbeiten. Die Lebensarbeitszeit müsse steigen, sagte sie da. Die Reformpläne im Koalitionsvertrag reichten nicht aus.
Es kann auf Dauer nicht gut gehen, dass wir nur zwei Drittel unseres Erwachsenenlebens arbeiten und ein Drittel in Rente verbringen
Katherina Reiche, FAZ, 26.7.2025
Was die Ministerin meint: Wer in den ersten Jahrzehnten nach Beginn des umlagefinanzierten Systems 1957 in Rente ging, bezog im Durchschnitt zehn bis elf Jahre Rente - nach 45 Arbeitsjahren. Heute laufen die Rentenbezüge nach nur 40 Jahren Arbeit im Schnitt doppelt so lang.
Auch parteiinterne Kritik an Reiche
Der Vorschlag ist nicht neu - auch Kanzler Friedrich Merz hat einen ähnlichen Gedanken schon geäußert- doch Reiche erntet harte Kritik. Auch aus der CDU. Christian Bäumler, Vizechef der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft (CDA), sieht in Reiche gar einen Fremdkörper im Kabinett. Der Mann vom Sozialflügel poltert, wer als Wirtschaftsministerin nicht realisiert habe, dass Deutschland eine hohe Teilzeitquote und damit eine niedrige durchschnittliche Jahresarbeitszeit habe, sei "eine Fehlbesetzung".
Sie ist 52 Jahre alt, gilt als ehrgeizig. Reiche hat eine erste Karriere in der Bundespolitik bereits hinter sich. Sie saß mehrere Jahre im Bundestag und war Parlamentarische Staatssekretärin im Umwelt- sowie im Verkehrsministerium. Sie gilt als konservativ und stammt aus dem Osten, geboren wurde sie 1973 in Luckenwalde. Zuletzt war sie mehr als fünf Jahre Chefin des Energieunternehmens Westenergie, davor Hauptgeschäftsführerin beim Verband kommunaler Unternehmen.
Reiches Nominierung als Wirtschaftsministerin war eine Überraschung.
Reiches Nominierung als Wirtschaftsministerin war eine Überraschung.
Was sind Reiches Konzepte in der Wirtschaftspolitik?
Das dritte Jahr in Folge bereits stagniert die deutsche Wirtschaft. Dementsprechend sind die Erwartungen an die Ministerin hoch.
Sie schlage andere Wege ein, als ihr Vorgänger Robert Habeck (Grüne) - weg von subventionsorientierter Industriepolitik, hin zu einer verstärkt marktwirtschaftlichen Wirtschaftspolitik, sagt Clemens Fuest, Präsident des ifo-Instituts für Wirtschaftsforschung, ZDFheute. Sie verkünde "unpopuläre Botschaften", aber genau das müsse eine Wirtschaftsministerin leisten.
Er fordert, die Wirtschaftsministerin müsse einen konzeptionellen Gesamtrahmen geben für die Wirtschaftspolitik. Und Fuest fragt: Was ist die Gesamtkonzeption? Wie kommen wir zu Wachstum? Wie führen wir die verschiedenen Politikbereiche zusammen? Das müsse sie der Bevölkerung erklären, "und das muss sie in der Regierung einfordern."
Auch Botschaften bringen, die Anpassung erfordern und die vielleicht nicht so bequem sind.
Clemens Fuest, Präsident ifo-Institut
Katherina Reiche ist mit dem früheren Verteidigungs- sowie Wirtschaftsminister Karl-Theodor zu Guttenberg liiert. Es sei richtig, dass seine Mandanten bereits vor geraumer Zeit eine Beziehung eingegangen seien, teilte der Anwalt von Reiche und Guttenberg, Christian Schertz, der Deutschen Presse-Agentur auf Nachfrage mit. Weitere Erklärungen würden hierzu nicht abgegeben. Zudem bat er, die Privatsphären der Familien zu respektieren.
Umstrittene Äußerungen zu Klimazielen
Auf dem Tag der Industrie vor rund vier Wochen stellte Reiche sich den Wirtschaftsvertretern vor. Sie hielt eine etwas ambitionslose Rede. Doch später im Diskussionspanel stellte sie indirekt die Klimaziele in Frage. Sie glaubt, eine Harmonisierung mit internationalen Zielen - also Klimaneutralität bis 2050 statt wie bisher in Deutschland angestrebt bis 2045 - täte gut. Und sie sagt:
Wenn Klimaschutz so organisiert ist, dass damit kein Geld zu verdienen ist, dann geht das in die falsche Richtung.
Katherina Reiche, Wirtschaftsministerin
Auf Nachfrage erst äußerte sie sich zur im Koalitionsvertrag eigentlich versprochenen Stromsteuersenkung. Sie sagte lapidar: "Hier trifft dann sozusagen Koalitionsvertrag auf finanzielle Möglichkeit und Wirklichkeit:" Doch statt zu erklären, beließ sie es dabei.
Das ist auch das Gefühl, mit dem die Journalistinnen und Journalisten in Leuna am Ende zurückbleiben. Am Ende blieb nur wenig Zeit - vor allem nicht für Einzelinterviews. Drei Fragen dürfen gestellt werden. Für ihre Politik werben will die Ministerin scheinbar nicht. Im verregneten Leuna nicht. Und auch sonst nicht genug bisher.
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