Expertin zu Auffälligkeit beim Haushalt :Es gibt schon wieder "Spielgeld" für spezielle Wahlkreise
Seit langem gibt es den Verdacht, dass Haushaltspolitiker in der "Bereinigungssitzung" ihren Wahlkreisen Wohltaten zuschustern. Ökonomin Harter von der Hertie School forscht dazu.
Ausschuss-Sitzung zum Haushalt 2026.
Quelle: dpaZDFheute: Wie haben Sie diesen Verdacht untersucht?
Anina Harter: Ich habe mir die parlamentarische Förderpolitik angeschaut - also Förderprogramme, bei denen der Haushaltsausschuss selbst über die Auswahl der Projekte entscheidet. Und bei diesen Förderprogrammen sieht man, dass Wahlkreise, sobald deren Abgeordnete in den Haushaltsausschuss eintreten, durchschnittlich doppelt so viele Fördergelder bekommen.
ZDFheute: Also hat sich der Verdacht bewahrheitet.
Harter: Ja. Diese parlamentarische Förderpolitik hat sich insbesondere unter dem Sprecher-Duo Johannes Kahrs von der SPD und Eckhardt Rehberg aus der CDU gegen Ende der Nullerjahre etabliert - wurde aber von allen weiterfolgenden Regierungen gerne weitergeführt.
Der Haushaltsausschuss hat den Entwurf für das kommende Jahr fertiggestellt. Die Neuverschuldung steigt noch einmal um acht Milliarden auf insgesamt 98 Milliarden Euro.
14.11.2025 | 1:53 minZDFheute: Profitieren von dieser Praxis jeweils nur die an der Regierung beteiligten Parteien?
Harter: Zunächst war das mein Verdacht, basierend auf anderen Forschungsergebnissen. Dem ist aber nicht so. Auch Oppositionsmitglieder haben zusätzliche Fördergelder bekommen. Das liegt vermutlich daran, dass der Haushaltsausschuss ein spezieller Ausschuss mit einem traditionell starken Zusammenhalt ist, bei dem sich die Mitglieder wirklich als Kontrolle der Regierung verstehen. Dieser Korpsgeist, nehme ich an, erklärt dann auch diese zusätzlichen Ausgaben für Oppositionsmitglieder.
ZDFheute: Hat sich an diesem Geist etwas geändert während der letzten Legislaturen?
Harter: Ja, man kann sagen, dass die AfD diese Kultur innerhalb des Ausschusses verändert hat. So ist zu hören, dass die Sitzungen der Ausschüsse viel lauter und konfrontativer geworden sind. Es geht weniger um Sachpolitik, mehr um Ideologie. Und das stört natürlich die Arbeit des Ausschusses.
525 Milliarden Euro sind im gestern verabschiedeten Haushaltsentwurf für den Kernhaushalt vorgesehen. Wulf Schmiese berichtet über die Einzelheiten.
14.11.2025 | 1:40 minZDFheute: Zurück zu den sogenannten Wohltaten - gab es dafür auch Beispiele in der aktuellen Bereinigungssitzung in der Nacht auf Freitag?
Harter: Ja.
Man konnte heute Morgen aus den Pressemitteilungen der Abgeordneten ablesen, dass es wieder dieses "Spielgeld" für die Wahlkreise gibt.
Anina Harter, Ökonomin, Hertie School
So hat zum Beispiel Thorsten Rudolph aus der SPD-Fraktion verkündet, dass in der Bereinigungssitzung zwei Millionen Euro zusätzliche Zuschüsse für das Bundesarchiv in Koblenz in seinem Wahlkreis beschlossen wurden.
Im Haushaltsausschuss des Bundestages geht es in der Bereinigungssitzung darum, den Entwurf für den Haushalt 2026 festzuzurren. Und es geht um 175 Mrd. Euro an neuen Krediten.
13.11.2025 | 2:39 min
ZDFheute: Gibt es weitere Beispiele?
Harter: Insgesamt sind für 2026 neue Fördervolumina in Höhe einer halben Milliarde geplant, bei denen der Haushaltsausschuss über die Vergabe entscheidet und politische Einflussnahme daher auch wieder wahrscheinlich ist. Zum Beispiel gab es in der Bereinigungssitzung 120 Millionen zusätzliche Fördergelder für das KulturInvest-Programm.
Das ist Kulturförderung im Etat des Bundeskanzleramts. Und da wird der Haushaltsausschuss auch wieder politisch eingreifen können und Fördergelder in die eigenen Wahlkreise zuteilen können.
... ist Doktorandin an der Hertie School. Ihre Doktorarbeit befasst sich mit empirischer politischer Ökonomie. Sie untersucht u.a. die Bildung individueller Präferenzen in Bezug auf Gesundheitspolitik und Regierungsformen sowie politische Motive bei öffentlichen Ausgaben. Harter war zuvor für die Europäische Bank für Wiederaufbau und Entwicklung und das ifo Institut tätig. Sie hat VWL am University College London sowie VWL und Politikwissenschaft an der Universität Heidelberg studiert.
ZDFheute: Andersrum ärgerten sich viele Mitglieder des Haushaltsausschusses darüber, dass diesmal parallel zur Bereinigungssitzung der Koalitionsausschuss tagte - und Beschlüsse für 2026 fasste, etwa den Industriestrompreis. Manche Haushälter sehen hierdurch ihr Budgetrecht als "Königsrecht des Parlaments" bedroht.
Man erlebt derzeit tatsächlich, dass der Haushaltsausschuss im Verhältnis zur Regierung geschwächt wird.
Anina Harter, Ökonomin, Hertie School
So hat etwa die Regierung den Termin für die Bereinigungssitzung gesetzt, nicht der Ausschuss. Bis Anfang der Woche war nicht klar, ob sie an diesem Tag auch tatsächlich stattfindet. Und dann hat sie mit mehreren Stunden Verspätung gestartet, weil die Koalitionsfraktionen sich zuvor nicht auf letzte Änderungsvorschläge einigen konnten. All das schränkt die parlamentarische Kontrollfunktion des Haushaltsausschusses in der Tat ein.
Das Interview führte Daniel Pontzen, Korrespondent im ZDF-Hauptstadtstudio
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