Digitale Bildung für Erwachsene:"Habe mit einer Schiefertafel schreiben gelernt"
von Mona Trebing
Digitale Bildung ist Voraussetzung für Teilhabe: Viele Erwachsene nutzen die Technik, aber gerade Ältere fühlen sich oft überfordert. Wie niederschwellige Angebote helfen können.
Das Projekt "Probierladen" in Jena soll Ältere dabei unterstützen, sich in der digitalen Welt zurecht zu finden. Hilfe gibt es beim Einrichten eines neuen Handys oder bei digitalen Behördengängen.
15.10.2025 | 1:58 minCarmen und Fritz Brandt aus Jena haben ein neues Smartphone. Die 67-Jährige und der 71-Jährige wollen und müssen digital am Ball bleiben. Doch das ist nicht immer leicht.
Neues Handy, viele Fragen: Wie speichert man Favoriten, ändert das Hintergrundbild oder nutzt die Krankenkassen-App? Mitten in der Jenaer Innenstadt, in einem ehemaligen Schuhgeschäft, haben sie einen Ort gefunden, an dem sie Antworten auf all diese Fragen bekommen: den "ProbierLaden".
Digitale Grundbildung in Wohnzimmer-Atmosphäre
Hier ist eine Art digitales Wohnzimmer für Erwachsene entstanden - mit Sitzecken und Computern, Staubsauger-Roboter und 3D-Drucker. Ein Team aus Medienpädagoginnen und -pädagogen hilft an mehreren Tagen der Woche bei Problemen rund ums Digitale.
Es soll ein Ort des Ausprobierens und der Beratung sein, an dem Erwachsene digitale Kompetenzen erlernen können - kostenfrei und ohne Anmeldung. "SIM-Karte freischalten, wechseln, Telefone einrichten, aber auch mal Apps runterladen", all das gehöre zum Beratungsalltag, so die Projektkoordinatorin des "ProbierLadens" Sara Delinger-Parčetić.
Hinzu kämen Fragen zu Cloud-Systemen oder Künstlicher Intelligenz. Im Sommer hätten Fragen zum elektronischen Visa-Antrag hoch im Kurs gestanden.
Digitale Teilhabe im Alter ist keine Selbstverständlichkeit. Astrid Mönnikes vom Projekt "DigitalPakt Alter" erklärt, wie Senioren fit für Smartphone, Internet & Co. werden können.
26.08.2025 | 6:04 minNutzung digitaler Geräte steigt - Überforderung auch
Der Laden ist Teil des Smart-City-Projekts der Stadt Jena, ins Leben gerufen von der Volkshochschule, finanziert über Bundesmittel. Er soll eine Lücke schließen - denn in Deutschland besteht laut Studien ein deutliches Defizit in der digitalen Grundbildung Erwachsener. Zwar steigt die Nutzung digitaler Geräte oder Internetdienste, doch viele - gerade Ältere oder Menschen mit geringer Bildung - fühlen sich überfordert.
Wer digitale Geräte oder Anwendungen nicht sicher nutzen kann, hat eingeschränkten Zugang zu Informationen und Dienstleistungen - und damit weniger Chancen auf Bildung, Arbeit und gesellschaftliche Teilhabe.
Dem will der ProbierLaden entgegenwirken. Neben Einzelberatungen gibt es Kurse und Fortbildungen - etwa für Eltern oder pädagogisches Fachpersonal. Die Nachfrage ist höher als erwartet: Rund 4.500 Menschen nutzten die Angebote im ersten Jahr, darunter knapp 3.000 Einzelberatungen.
Digitale Barrierefreiheit:Neues Gesetz stärkt digitale Inklusion
Entlastung für Familienmitglieder und Bekannte
Für Irmgard Müller aus Jena ist der ProbierLaden zur festen Anlaufstelle geworden. "Ich habe mit einer Schiefertafel schreiben gelernt", sagt die 81-Jährige.
Wenn ich höre, dass man in Zukunft das Foto für einen neuen Pass digital übermitteln muss, das wird mich überfordern.
Irmgard Müller
Viele Besucherinnen und Besucher sind froh, nicht mehr ständig Familie oder Bekannte um Hilfe bitten zu müssen. "Man hat hier nie das Gefühl, dass man zu dumm wäre, die richtigen Tasten zu drücken", sagt Friederike Heubner.
In Deutschland soll es endlich mit der Digitalisierung vorangehen. Das Dorf Etteln im Kreis Paderborn zeigt, wie digitale Vernetzung im ländlichen Raum funktionieren kann.
13.05.2025 | 1:29 minKleines Projekt, große Wirkung?
"Unser Ansatz ist es, dass die Leute das selbst in die Hand nehmen, selbst machen und dadurch lernen", erklärt Anna Geißler, Sozial- und Medienpädagogin. "Dadurch wollen wir auch dieser Überforderung ein bisschen vorbeugen", so Geißler.
Auch Fachleute betonen die Bedeutung Projekte dieser Art. "Gerade solche niedrigschwelligen, praxisnahen Angebote sind wichtig", sagt Leah Schimpf, Leiterin Digitale Gesellschaft beim Branchenverband Bitkom.
Sie holen die Menschen dort ab, wo sie stehen, und bieten individuelle Unterstützung.
Leah Schimpf, Branchenverband Bitkom
Das Smartphone ist unverzichtbarer Begleiter im Alltag geworden. Der Film begleitet drei Menschen bei ihrem Versuch, sich in in der digitalen Welt zurechtzufinden.
26.08.2025 | 28:33 minLangfristige Fördermittel sind entscheidend
Wichtig sei aber eine stabile Finanzierung: "Solche Anlaufstellen brauchen stabile, langfristige Förderprogramme, um ihre wertvolle Arbeit auf kommunaler Ebene fortsetzen und ausbauen zu können", fordert Schimpf. Zudem müsse digitale Bildung viel früher beginnen. "Informatikunterricht sollte ab der Sekundarstufe I bundesweit verpflichtend sein."
Die Bundesregierung hat zwar eine Offensive zur Stärkung von Digitalkompetenzen angekündigt, entscheidend ist aber, dass Kommunen gezielt Mittel erhalten, um Angebote lokal zu verankern.
Leah Schimpf, Branchenverband Bitkom
Bis August 2027 ist der ProbierLaden in Jena durch Bundesmittel gesichert. Die Hoffnung aller Beteiligten: Dass das digitale Wohnzimmer auch danach weiterbestehen kann - der Bedarf ist da.
Mona Trebing ist Redakteurin im ZDF-Studio in Erfurt.
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