Meinungsfreiheit vs. Zensur: Diskussion um Hass im Netz
Diskussion um Hass im Netz:Muss die Meinungsfreiheit gerettet werden?
von Jan Henrich
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Die eine Seite befürchtet Zensur, die andere sieht Gefahren durch Hass und Desinformation. In der Diskussion über die Regeln auf Online-Plattformen sind viele Fragen ungeklärt.
Hasskommentare und -videos im Netz sind längst keine Seltenheit mehr. (Symbolbild)
Quelle: Imago
Eine Fotomontage zeigt Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Sie hält ein Schild in den Händen mit der vermeintlichen Aufschrift "Ich hasse die Meinungsfreiheit". Wegen dieses Beitrags auf einer Social-Media-Plattform verurteilte das Amtsgericht Bamberg einen AfD-nahen Journalisten Anfang April zu einer Haftstrafe von sieben Monaten auf Bewährung. Noch ist offen, ob die Entscheidung bestehen bleibt.
Dieses Urteil sorgt nicht nur in rechtskonservativen Kreisen für Unverständnis und scheint Wasser auf die Mühlen derer zu sein, die die Meinungsfreiheit in europäischen Demokratien am Abgrund sehen.
Und gerade jetzt suchen die künftigen Koalitionäre CDU, CSU und SPD nach weiteren Maßnahmen, um gegen "Hassrede" und "Desinformation" vorzugehen. Wie passt das zusammen?
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Grenzen der Meinungsfreiheit in Deutschland
In Deutschland ist die Meinungsfreiheit geschützt, sie gilt allerdings nicht unbegrenzt. Dieses Prinzip verdeutlicht schon Artikel 5 des Grundgesetzes. Die Verfassung sieht Schranken durch sogenannte allgemeine Gesetze vor. Gemeint sind damit unter anderem Strafvorschriften, die die persönliche Ehre von Einzelpersonen schützen sollen.
Dass Ehrverletzungen strafrechtlich geahndet werden, ist dabei keine Erfindung moderner politischer Korrektheit. Seit Jahrzehnten werden sogar Alltagsbeleidigungen in Deutschland verfolgt. So kann beispielsweise schon der ausgestreckte Mittelfinger im Straßenverkehr sehr schnell sehr teuer werden. Wirklich grundlegende Änderungen im Äußerungsrecht gab es in letzter Zeit nicht.
Beleidigung und Verleumdung, aber auch Kinderpornografie oder verfassungsfeindliche Kennzeichen: Es gibt eine Reihe an Äußerungen oder Inhalten, die das deutsche Recht unter Strafe stellt.
Die Paragrafen 185 bis 200 im Strafgesetzbuch (StGB) enthalten beispielsweise verschiedene Tatbestände, um die persönliche Ehre des Einzelnen zu schützen. Die Beleidigung ist das wohl bekannteste Delikt. Außerdem sind auch üble Nachrede und Verleumdung strafbar. Hier verbreitet der Täter ohne Nachweis (üble Nachrede) oder sogar wider besseres Wissen (Verleumdung) falsche Tatsachen über eine andere Person.
In der Regel werden Beleidigung, üble Nachrede und Verleumdung mit Geldstrafen geahndet. Freiheitsstrafen sind aber auch möglich, vor allem in schweren Fällen, zum Beispiel wenn die Taten öffentlich begangen werden oder sich gegen Personen des politischen Lebens richten.
Daneben verbietet das StGB unter anderem bestimmte Inhalte, etwa um die öffentliche Ordnung in Deutschland zu schützen. Darum geht es beispielsweise bei der Volksverhetzung gemäß Paragraf 130 StGB. Zum Schutz des demokratischen Rechtsstaats soll außerdem Paragraf 86a StGB beitragen, der die Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen verbietet. Beispiele für solche Kennzeichen sind der Hitlergruß oder die Flagge der Hamas.
Quelle: Jan Henrich, ZDF-Redaktion Recht und Justiz
Hassrede im Internet: Neue Gesetze und Polizeiaktionen
Das Internet und insbesondere Social-Media-Plattformen stellen die Politik allerdings seit Jahren vor zwei große Herausforderungen. Zum einen gibt es auf den Plattformen immer noch Probleme damit, bestehendes Recht durchzusetzen. Die Fallzahlen beispielsweise von Beleidigungen und Verleumdungen steigen. Anonymität und schnelle Verbreitung von Inhalten erschweren gleichzeitig die Verfolgung.
Mit mehreren Reformen hatte die Bundespolitik versucht, auf das Phänomen zu reagieren. Zuletzt 2021 mit dem Gesetzespaket gegen Hass und Hetze, bei dem der Strafrahmen unter anderem für Bedrohungen und Beleidigungen verschärft wurde. Seit einigen Jahren führt die Polizei auch Aktionstage durch, bei denen öffentlichkeitswirksam Razzien durchgeführt werden.
Der Staat setzt bei den Fällen, die sich verfolgen lassen, also verstärkt auf das Mittel der Abschreckung. Und das wiederum ruft die Kritik auf den Plan, man würde mit Kanonen auf Spatzen schießen.
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Desinformation ist nicht strafbar
Die zweite Herausforderung ist der Umgang mit Desinformation, denn die ist eigentlich nicht illegal. Das deutsche Recht kennt keine allgemeine Pflicht zur Wahrheit. Die Aussage beispielsweise, unter den Pyramiden gebe es von Außerirdischen gebaute Schächte, ist nicht verboten. Auch nicht verboten wäre es zu verbreiten, dass "Eliten" in unterirdischen Bunkern Kinder foltern würden.
Das wird ausgenutzt. Nach Angaben des Centers für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) hatte es im Vorfeld der Bundestagswahl mindestens vier russische Desinformationskampagnen gegeben, die millionenfach auf Social-Media-Plattformen ausgespielt wurden.
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Schwarz-Rot: Plattformen stärker in die Pflicht nehmen
Im ausgehandelten Koalitionsvertrag von Union und SPD finden sich deshalb gleich mehrere Maßnahmen, die die Politik umsetzen will. So soll unter anderem der Tatbestand der Volksverhetzung verschärft werden. Plattformen sollen Strafverfolgungsbehörden Schnittstellen zum schnelleren Datenaustausch zur Verfügung stellen. Und auch den massenhaften Einsatz von Bots und Fake Accounts will man verbieten.
Aber vor allem ein Vorschlag wirft Fragen auf: Die Landesmedienanstalten sollen künftig eine aktivere Rolle im Einsatz gegen Hass und Desinformation spielen:
[...] Deshalb muss die staatsferne Medienaufsicht unter Wahrung der Meinungsfreiheit auf der Basis klarer gesetzlicher Vorgaben gegen Informationsmanipulation sowie Hass und Hetze vorgehen können. [...]
„
Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD - 21. Legislaturperiode
Wie das genau aussehen kann, ist offen. Die Befugnis, unmittelbar gegen Beiträge auf sozialen Netzwerken vorzugehen, wäre jedenfalls eine weitreichende Änderung.
Jan Henrich ist Redakteur in der ZDF-Redaktion Recht und Justiz.
Desinformation und manipulative Inhalte überschwemmen die Medien und steuern unsere Aufmerksamkeit. Wie wir uns gegen die "Flood the Zone"-Strategie wehren können.