Karlsruhe: Triage-Regelungen mit Grundgesetz unvereinbar

Bundesverfassungsgericht:Karlsruhe kippt Triage-Regelung - Länder nun am Zug

von Anna-Lena Frosch und Charlotte Greipl

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Ärzte sollten Klarheit bekommen, wen sie bei einer Pandemie und mangelnden Kapazitäten behandeln. Doch die Regelungen im Infektionsschutzgesetz sind verfassungswidrig.

Triage Regel

Während der Corona Pandemie wurde die Triage Regelung beschlossen. Nachdem 2023 mehrere Ärzte dagegen geklagt hatten, wurde das Gesetz heute vom Bundesverfassungsgericht gekippt.

04.11.2025 | 1:46 min

Es ist eine Frage für den absoluten Ernstfall: Wen behandeln Ärztinnen und Ärzte, wenn im Falle einer Pandemie die Behandlungskapazitäten nicht ausreichen - und wen müssen sie abweisen?

Fachärztinnen und -ärzte aus Notfall- und Intensivmedizin hatten sich mit einer Verfassungsbeschwerde gegen die bisher geltenden Triage-Regelungen des Infektionsschutzgesetzes gewandt. Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen am Dienstag recht und erklärte die entsprechenden Normen für verfassungswidrig.

Notfallmediziner hatten geklagt

Die Regeln verpflichten Ärztinnen und Ärzte, sich an der "aktuellen und kurzfristigen Überlebenschance" von Patientinnen und Patienten zu orientieren. Zudem untersagt die Regelung die sogenannte Ex-Post-Triage, also die erneute Einbeziehung bereits versorgter Menschen in die Zuteilungsentscheidung.

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb "trier", das "sortieren" oder "aussuchen" bedeutet. Es beschreibt, dass Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Situationen entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie Menschen helfen.

Das Konzept gibt es zum Beispiel bei großen Unglücken mit vielen Verletzten, um meist eine kurzfristige Notlage zu überbrücken.


Die klagenden Ärztinnen und Ärzte beanstandeten sowohl die fehlende Zuständigkeit des Bundesgesetzgebers, als auch Eingriffe in ihre Berufsfreiheit. Diese garantiert eine berufliche Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen und schützt in diesem Kontext die Entscheidung darüber, ob und wie behandelt werden soll.

Das Bundesverfassungsgericht entschied am Dienstag jedoch, dass das Gesetz schon aus einem formalen Grund nichtig ist: Zwar habe der Bund die Zuständigkeit zur Regelung von Maßnahmen zur Prävention und Verhinderung der Ausbreitung von Krankheiten. Dazu zähle auch Covid-19. Doch für Regelungen nach einer überstandenen Pandemie sei der Bund nicht zuständig, so das Gericht.

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Keine Regelung mehr für den Fall einer Triage

Josef Franz Lindner, Professor für Öffentliches Recht und Medizinrecht an der Universität Augsburg, erklärt, was daraus folgt:

Jetzt ist es so, dass wir keine spezielle Regelung mehr für die Triage haben - weder für eine Pandemie noch für andere Situationen.

Josef Franz Lindner, Medizinrechtler

Es komme nur noch auf das allgemeine Strafrecht an, also darauf, ob sich ein Arzt etwa wegen unterlassener Hilfeleistung oder wegen Tötung durch Unterlassen strafbar mache, so Lindner. Zwar gebe es auch Empfehlungen von Ethikkomitees und intensiv-medizinischen Fachgesellschaften, aber die böten keine rechtlich belastbaren Regelungen. Lindner kritisiert:

Das, was man mit dem Gesetz eigentlich erreichen wollte, ein gewisses Maß an Rechtssicherheit, davon ist man jetzt weiter entfernt als vorher.

Josef Franz Lindner, Medizinrechtler

Ursprünglich zum Schutz vor Diskriminierung

Die am Dienstag vom Bundesverfassungsgericht für nichtig erklärten Normen waren erst Ende 2022 erlassen worden. Zu Beginn der Corona-Pandemie fürchteten Menschen mit Behinderung im Falle einer Überlastung der Intensivstationen zugunsten anderer Patientinnen und Patienten benachteiligt zu werden und klagten.

Das Bundesverfassungsgericht gab ihnen recht und verpflichtete den Gesetzgeber, Regelungen für den Fall einer pandemiebedingten Triage zu treffen und dabei sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderung nicht benachteiligt werden. Auf dieser Grundlage war der Bundestag tätig geworden und hatte die Triage-Normen erlassen.

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Länder müssen reagieren

Nachdem die durch den Bund erlassene Norm nun für nichtig erklärt worden ist, liegt es an den Ländern zu reagieren und Triage-Regelungen zu erlassen.

Wir hätten dann 16 verschiedene Regelungen in Deutschland, was bei der Problematik auch nicht sinnvoll sein kann.

Josef Franz Lindner, Medizinrechtler

Der Experte für Medizinrecht plädiert dafür, dem Bund durch eine Grundgesetzänderung die Gesetzgebungskompetenz für die Regelung der Triage zu übertragen:

Wir brauchen einen bundesweit einheitlichen Rahmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass in Altötting etwas anderes gilt als in Bremerhaven.

Josef Franz Lindner, Medizinrechtler

Anna-Lena Frosch und Charlotte Greipl arbeiten in der Redaktion "Recht und Justiz".

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