Triage: Bundesverfassungsgericht kippt bestehende Regelung

Versorgung im Krisenfall:Bundesverfassungsgericht kippt Triage-Regelung

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Seit der Corona-Krise kennen viele Menschen den Begriff Triage. Laut einem neuen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts sind bisherige gesetzliche Regelungen dazu nichtig.

Ein Schild weißt im Universitätsklinikum auf die Notaufnahme hin.

Das Bundesverfassungsgericht hat Regelungen zur sogenannten Triage bei medizinischen Behandlungen für nichtig erklärt - also zu Prioritäten im Fall zu knapper Kapazitäten. Zwei Verfassungsbeschwerden hatten Erfolg.

04.11.2025 | 1:56 min

Das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe betrachtet die vom Bundestag 2022 beschlossenen Triage-Regelungen als unzulässig. Die bisher geltenden Regelungen zur Triage bei medizinischen Behandlungen kippte das Gericht am Dienstag. Das bestehende Gesetz sei nichtig, entschieden die Verfassungsrichter.

Es gab damit einer vom Ärzteverband Marburger Bund unterstützten Beschwerde statt, die Ende 2023 von 14 Intensiv- und Notfallmedizinern eingereicht worden war. Sie richtete sich gegen ein Gesetz, das der Bundestag 2022 beschlossen hatte, um Benachteiligungen von Alten und Menschen mit Behinderung zu verhindern. In der Corona-Krise war das Thema angesichts voller Intensivstationen grundsätzlich in den Fokus gerückt.

Das Wort Triage stammt vom französischen Verb "trier", das "sortieren" oder "aussuchen" bedeutet. Es beschreibt, dass Ärztinnen und Ärzte in bestimmten Situationen entscheiden müssen, in welcher Reihenfolge sie Menschen helfen.

Das Konzept gibt es zum Beispiel bei großen Unglücken mit vielen Verletzten, um meist eine kurzfristige Notlage zu überbrücken.


Karlsruhe: Keine Gesetzgebungskompetenz des Bundes in dem Fall

Der Bundesgesetzgeber sei nicht dafür zuständig, eine solche Regelung zu treffen, entschied das Bundesverfassungsgericht. Eine Gesetzgebungskompetenz stehe dem Bund nicht zu. Es handelt sich nämlich nicht um Maßnahmen, die eine Pandemie eindämmen sollen, wie das Gericht ausführte.

Stattdessen gehe es um die Folgen einer Pandemie. Die Zuteilung knapper Ressourcen in einem solchen Fall müsse nicht unbedingt gesamtstaatlich geregelt werden, sie sei maßgeblich Ländersache. Grundsätzlich könnten die notwendigen Entscheidungen örtlich nach unterschiedlichen Vorgaben getroffen werden.

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Artikel 12 Absatz 1 des Grundgesetzes gewährleiste zudem, "dass Ärztinnen und Ärzte in ihrer beruflichen Tätigkeit frei von fachlichen Weisungen sind". Das gelte auch für das "Ob" und das "Wie" einer Heilbehandlung. Die geltenden Regelungen schränkten hingegen die Therapiefreiheit ein und beeinträchtigten die Berufsausübungsfreiheit.

Auch der Marburger Bund sah in der bisherigen Regelung einen Konflikt mit dem Berufsethos: Ärzten werde so die Möglichkeit genommen, in einer Notlage die größtmögliche Zahl an Menschen zu retten.

Bundestag beschloss 2022 Neuregelung

Noch zu Pandemie-Zeiten beschloss der Bundestag 2022 eine Neuregelung und kam damit einem Auftrag des Bundesverfassungsgerichts nach. Dieses hatte 2021 entschieden, dass der Staat die Pflicht hat, Menschen vor Benachteiligung wegen einer Behinderung zu schützen.

Das Gesetz legte fest, dass über eine Zuteilung "nur aufgrund der aktuellen und kurzfristigen Überlebenswahrscheinlichkeit" zu entscheiden ist - ausdrücklich nicht nach Lebenserwartung oder Grad der Gebrechlichkeit.

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Eugen Brysch, Deutsche Stiftung Patientenschutz

Quelle: dpa, AFP

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