Einsparpotenzial in neuer Grundsicherung:Was ist dran an den Aussagen zur Bürgergeld-Reform?
von Katja Belousova
Das Kabinett hat die Bürgergeldreform auf den Weg gebracht. Im Vorfeld war etwa die Rede von möglichen Milliarden-Einsparungen. Was ist dran an Aussagen rund um die Reform?
Die Koalition will das Bürgergeld reformieren. Unter dem neuen Namen Grundsicherung werden die Regeln strenger. Wer Jobangebote ablehnt, bekommt direkt weniger Geld.
17.12.2025 | 1:42 minAm Mittwoch ging eine der wichtigsten Sozialstaatsreformen der schwarz-roten Koalition durchs Bundeskabinett: Künftig soll das Bürgergeld zur neuen Grundsicherung werden.
Begründet wurde die Reform unter anderem damit, dass zu viele Menschen Arbeit verweigern würden - und Milliarden eingespart werden könnten. Was ist da dran?
Nicht nur der Name ändert sich - vor allem auch die Ausrichtung: bei der künftigen Grundsicherung soll es härtere Sanktionen geben.
17.12.2025 | 2:25 minMilliarden-Einsparungen durch Reform?
Vor allem im Bundestagswahlkampf hatten CDU-Politiker - darunter vor allem Carsten Linnemann und Friedrich Merz - erklärt, dass durch ein neues Bürgergeld-System Einsparungen in Milliardenhöhe möglich wären. Linnemann hatte in einem Interview mit dem Deutschlandfunk im Februar 2024 sogar gesagt, man komme mit entsprechenden Maßnahmen "auf 15 Milliarden Euro".
Das Problem ist: Bei vielen Aussagen zu den Einsparungen ist oft unklar, von welchem Zeitrahmen die Rede ist. Der Referentenentwurf zur Reform aus dem Bundesministerium für Arbeit und Soziales sieht durchaus Einsparpotenzial durch die Umgestaltung des Bürgergelds zur neuen Grundsicherung - spricht zunächst aber nicht von mehreren Milliarden. Die Rede ist von möglichen Einsparungen in einer Größenordnung von 850 Millionen Euro im Jahr - vorausgesetzt, dass 100.000 Menschen aus dem Bezug der neuen Grundsicherung rausfallen würden.
In der letzten Kabinettssitzung dieses Jahres hat die Regierung eine neue Grundsicherung auf den Weg gebracht. Außerdem wurde die Kommission für eine Rentenreform eingesetzt.
17.12.2025 | 1:21 minDiese Berechnung sei auf Basis von Durchschnittswerten erfolgt, erklärt Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen des Ifo-Instituts. "Das macht viel Sinn", sagt er auf Anfrage von ZDFheute.
In der Realität wird es aber darauf ankommen, welche Menschen das Bürgergeld verlassen.
Andreas Peichl, Leiter des Ifo-Zentrums für Makroökonomik und Befragungen
Andreas Peichl vom Münchener Ifo-Institut rechnet anhand zweier Extrembeispiele vor: "Wenn es 100.000 Singles sind, die alle nur 10 Euro Bürgergeld im Monat (120 im Jahr) erhalten, dann beträgt die Einsparung nur 12 Millionen." Würde es sich aber zum Beispiel um 100.000 Singles aus München handeln, die alle den Höchstsatz erhielten und hohe Mietkosten hätten, wären es sogar 1,74 Milliarden Euro. "Von daher ist die Rechnung mit Durchschnittswerten sinnvoll", sagt er.
Enzo Weber, Arbeitsmarktexperte beim Institut für Arbeitsmarktforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB), sieht sogar noch größeres Einsparpotenzial - aber nur, wenn Arbeitslose wirklich nachhaltig auf dem Arbeitsmarkt integriert werden: "Einen großen finanziellen Hebel gibt es in der Grundsicherung nur, wenn man nachhaltig Menschen aus Arbeitslosigkeit in Jobs bringt: pro 100.000 Fälle, drei Milliarden Euro jährlich für die öffentlichen Haushalte", erklärt er ZDFheute.
Das kommt nicht nur durch eingesparte Leistungen zustande, sondern auch durch zusätzliche Einnahmen bei Steuern und Beiträgen.
Enzo Weber, IAB-Forschungsbereichsleiter für Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen
100.000 Menschen weniger im Bürgergeld?
Zur Zahl der 100.000 Menschen, die laut Referentenentwurf aus dem Bezug fallen könnten, erklärt Peichl: "Im Gesetzentwurf ist nur eine hypothetische Zahl genannt. Wie groß der Effekt sein wird, ist schwer zu sagen. Aber es kann schon in diese Größenordnung gehen." Auch seine Kollegin Stefanie Seele, Arbeitsmarktökonomin am Institut der Deutschen Wirtschaft in Köln (IW), kann sich die Zahl vorstellen - mittelfristig. "In den 2010er Jahren konnten wir sehen, dass eine Integration von so vielen Arbeitslosen im Rechtskreis SGB II in der mittleren Frist möglich ist", sagt sie.
Wenn die Wirtschaft und der Arbeitsmarkt über mehrere Jahre wachsen, könnte dies erneut gelingen.
Stefanie Seele, Senior Economist für Arbeitsmarktökonomik beim IW
Jobcenter vermitteln kaum noch in Arbeit. Wer einmal Bürgergeld bezieht, kommt oft nicht wieder davon weg. Die Dokumentation zeigt die Schwachstellen im System und den Sozialstaat am Limit.
12.08.2025 | 43:38 minEntscheidend dafür sei ein Aufschwung mit wirtschaftlicher Erneuerung, sagt auch Enzo Weber. Auch in der Arbeitsmarktpolitik müsse man alle Register ziehen, so Weber. Dabei seien "verbindliche Regeln und Pflichten" aber nur ein Baustein. Zusätzlich brauche es mehr Qualifizierung, individuelle Unterstützung und bessere finanzielle Anreize, Arbeit auszuweiten.
Im Paket würde das die Arbeitslosenzahl um deutlich mehr als 100.000 reduzieren.
Enzo Weber, IAB-Forschungsbereichsleiter für Prognosen und gesamtwirtschaftliche Analysen
Striktere Regeln könnten ein Teil davon sein, würden alleine aber nicht reichen.
Die AWO kritisiert die Maßnahmen der neuen Grundsicherung scharf.
17.12.2025 | 0:25 minMehr als 100.000 Menschen nicht bereit, Arbeit anzunehmen?
Im Juli 2024 sagte Carsten Linnemann den Zeitungen der Funke-Mediengruppe: "Die Statistik legt nahe, dass eine sechsstellige Zahl von Personen grundsätzlich nicht bereit ist, eine Arbeit anzunehmen". Auf welche Statistik bezieht sich das? Auf Anfrage von ZDFheute kam darauf bislang keine Antwort von Linnemann. Auch Arbeitsmarktexperten konnten ZDFheute keine entsprechende Statistik nennen.
Eine mögliche Annäherung bietet aber die Bundesagentur für Arbeit: Sie bietet Zahlen dazu, wie häufig Leistungsminderungen aufgrund einer verweigerten Aufnahme oder Fortführung einer Arbeit, Ausbildung oder Teilnahme an einer Eingliederungsmaßnahme ausgesprochen wurden: 2024 betraf das 23.400 Fälle - also einen niedrigen fünfstelligen Bereich.
Geflüchtete aus der Ukraine, die nach April 2025 angekommen sind, sollen künftig nur noch Asylleistungen erhalten. Ziel der Politik: mehr Erwerbstätige und bessere Integration.
19.11.2025 | 2:34 minDie Bundesagentur schreibt zudem:
Insgesamt gab es zirka 185.600 erwerbsfähige Leistungsberechtigte im Jahr 2024, die von einer neu verhängten Leistungsminderung betroffen waren.
Bundesagentur für Arbeit
Die große Mehrheit sei aber aufgrund von Meldeversäumnissen ausgesprochen worden, wenn "Kundinnen und Kunden ohne wichtigen Grund nicht zu einem Termin bei einem Träger erschienen sind". Das bedeutet aber nicht automatisch, dass sie alle Arbeit verweigern.
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Steigt die Zahl der Langzeitarbeitslosen?
Im Referentenentwurf zur neuen Grundsicherung wird die "gestiegene Langzeitarbeitslosigkeit" als ein Grund für die Reform angeführt. Doch ist diese Zahl wirklich gestiegen?
Die Zahl langzeitarbeitsloser Menschen ist ständigen Schwankungen unterworfen - aktuell zeigt der Trend nach oben. Den Höchstwert der vergangenen zehn Jahre erreichte sie aber im Januar 2015: Damals galten 1,07 Millionen Menschen als langzeitarbeitslos. Im November dieses Jahres waren es 1,04 Millionen Menschen.
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Keine der Reformen konnte im vergangenen Jahrzehnt dafür sorgen, dass diese Zahl nachhaltig gesunken ist. Als Hauptgründe für die Anstiege seit 2020 gelten die Corona-Pandemie und die Folgen des russischen Angriffs auf die Ukraine - etwa durch Zuwanderung nach Deutschland.
"Darüber hinaus trübte sich die Arbeitsmarktlage seit 2023 ein", erklärt Stefanie Seele vom IW in Köln. Das mache es auch Menschen im aktuellen Bürgergeld-Bezug schwer, eine neue Stelle zu finden.
Arbeitslosen wird oft vorgeworfen, sie seien unmotiviert und ungebildet. Doch viele Maßnahmen, die das ändern sollen, helfen ihnen kaum. Bildungsträger bieten fragwürdige Kurse an.
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