Bei AfD-Wahlsieg: Dürften Behörden sensible Daten löschen?

Faktencheck

Sorge um geheime Ermittlungsdaten:Datenlöschung bei AfD-Wahlsieg: Wäre das erlaubt?

Autorenfoto Nils Metzger

von Nils Metzger

|

Bei einem AfD-Wahlsieg könnten Extremisten an sensible Behördeninfos gelangen. Ein SPD-Politiker fordert Löschungen, die AfD wittert Stasi-Methoden. Was darf der Verfassungsschutz?

Bundesamt für Verfassungsschutz

Deutsche Nachrichtendienste dürfen nur gemäß gesetzlicher Regeln Informationen sammeln - das gilt auch für Löschungen. (Symbolbild)

Quelle: dpa

Mögliche AfD-Wahlsiege bereiten Sicherheitsexperten Kopfzerbrechen. In Sachsen-Anhalt stehen im kommenden Jahr Landtagswahlen an - der dortige Verfassungsschutz stuft den Landesverband als gesichert rechtsextremistisch ein. Sollte ein AfD-Politiker etwa Innenminister werden, könnten womöglich sensible Ermittlungsdaten zur Partei, ihrem Umfeld oder anderen rechtsextremen Gruppen gefährdet sein, so die Sorge.

SPD-Innenpolitiker wirbt für Daten-Löschung

Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, warnt darum gegenüber dem "Focus": "Unser föderales System ist nicht darauf angelegt, dass ein Bundesland auf einmal eine Art Feindesland ist." Fiedler fordert Maßnahmen:

Als Beamter bin auch ich aufs Grundgesetz verpflichtet. Und dann soll ich Extremisten die sensibelsten Daten überlassen? Da drücke ich doch lieber auf die Löschtaste.

Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Doch wäre ein solcher Schritt - die gezielte Löschung von Behördendaten, um sie einer gewählten Regierung vorzuenthalten - rechtlich zulässig? Die AfD selbst spricht auf Facebook von "Aktenvernichtung im großen Stil" und "Sabotage im Stasi-Stil".

27.10.2025, Berlin: Alexander Dobrindt (CSU), Bundesinnenminister, spricht während des Festaktes zum 75-jährigen Bestehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz. Foto: Soeren Stache/dpa

Gegründet zur Abwehr von Extremismus, schützt der Verfassungsschutz heute auch vor Terror, Sabotage und Cyberangriffen.

27.10.2025 | 3:04 min

Wie darf der Verfassungsschutz Informationen speichern und löschen?

Konkrete Vorhaben zu Löschaktionen im Falle eines AfD-Wahlerfolgs sind aktuell weder aus Politik noch Verwaltung öffentlich bekannt.

Wie andere Behörden müssen auch Nachrichtendienste und Polizei bei der Beobachtung von Verfassungsfeinden im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben agieren. Die Speicherung der Daten muss zweckgebunden und erforderlich sein. Das heißt umgekehrt: gelöscht wird schon heute - nämlich dann, wenn eine Datenspeicherung keinen Zweck mehr erfüllt.

So heißt es im Bundesverfassungsschutzgesetz wie auch im entsprechenden Landesrecht in Sachsen-Anhalt:

Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die in Dateien gespeicherten personenbezogenen Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig war oder ihre Kenntnis für die Aufgabenerfüllung nicht mehr erforderlich ist.

Paragraf 12 Absatz 2 BVerfSchG

Nach spätestens fünf Jahren müsse geprüft werden, ob gespeicherte Daten noch benötigt werden.

SGS Selen

"Wir haben eine Gleichzeitigkeit von verschiedenen Bedrohungsszenarien", sagt Sinan Selen, Verfassungsschutzpräsident. Die Bedrohungen seien sowohl von außen als auch von innen.

27.10.2025 | 7:00 min

Wäre eine pauschale Datenlöschung erlaubt?

Das Gesetz spricht explizit von einer "Einzelfallbearbeitung" - Daten provisorisch oder pauschal zu löschen, wäre bislang kaum legal umsetzbar, auch eine Löschung benötigt eine rechtliche Grundlage. Luca Manns von der Forschungsstelle Nachrichtendienste an der Universität Köln sagt ZDFheute:

Eine großzügige Löschaktion, die beispielsweise darauf zielt, besonders sensible Erkenntnisse zur AfD oder zu ihrem Umfeld aus den Akten zu entfernen, wäre wohl schlicht illegal.

Luca Manns, Forschungsstelle Nachrichtendienste

Was Manns für zumindest denkbar hält, sei eine mit Blick auf die gesetzlichen Löschfristen "vorgezogene Prüfung". Aber: "Bleibt eine Person oder ein Umfeld objektiv beobachtungsbedürftig, ändert der politische Machtwechsel daran nichts."

Auch Markus Thiel, Professor für Öffentliches Recht an der Deutschen Hochschule der Polizei, sagt ZDFheute: "Im Rechtsstaat ist eine willkürliche Löschung personenbezogener Daten rechtlich unzulässig."

Eine Möglichkeit, Daten in rechtlich zulässiger Weise in größerem Umfang auf einen Schlag zu löschen, sehe ich derzeit nicht.

Markus Thiel, Deutsche Hochschule der Polizei

Eine Option sei noch eine Löschung aus Gründen der Gefahrenabwehr, so Thiel. "Dafür benötigt man aber sicherlich mehr als einen Regierungswechsel - hier wird man konkrete Anhaltspunkte für eine rechtswidrige Nutzung in einem nennenswerten Rahmen brauchen." Würde eine Landesregierung eine Behörde zur rechtswidrigen Löschung auffordern, dürfte das nicht befolgt werden.

Wehrhafte Demokratie

Die AfD in Sachsen-Anhalt könnte bei der Landtagswahl nächstes Jahr stärkste Kraft werden. An der Universität in Halle wird im Rahmen einer Projektwoche über die politische Lage im Land diskutiert.

31.10.2025 | 2:07 min

SPD-Politiker Fiedler kritisiert Ablenkungsdebatte

SPD-Innenpolitiker Fiedler will seine von Experten skeptisch gesehene Forderung nach der "Löschtaste" indes als "Metapher" verstanden wissen, schreibt er auf Anfrage. In Folge seiner Äußerung habe die AfD eine Kampagne gegen ihn gestartet:

Ziel dieser Kampagne ist erkennbar, die Debatte von den großen Bedrohungen, die von der rechtsextremen Partei ausgehen, wegzulenken auf einen angeblich illegalen Aufruf zur Datenlöschung.

Sebastian Fiedler, innenpolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion

Dass Verfassungsfeinde mit am Tisch sitzen könnten, habe man bei der Vernetzung der Dienste nicht mit bedacht, so Fiedler zu ZDFheute. "Es wäre grob fahrlässig, sich angesichts der derzeitigen Umfragewerte nicht auf das Szenario vorzubereiten."

Fiedler argumentiert, dass der nachrichtendienstliche Wert von Informationen verloren ginge, wenn überwachte Personen Zugriff darauf hätten. "Ab diesem Zeitpunkt ist es daher auch nicht mehr zweckmäßig, die Daten zu speichern. Aufgrund der Gefährdung von V-Leuten und deren personenbezogenen Daten ist es daher vielmehr sogar geboten, die Daten zu löschen", sagt Fiedler.

14.08.2025, Brandenburg, Potsdam: Eine Journalistin hält eine Ausgabe der Veröffentlichung eines Einstufungsvermerks zur AfD Brandenburg als rechtsextrem in der Hand.

Die AfD in Brandenburg ist vom Verfassungsschutz als gesichert rechtsextremistisch eingestuft worden. Es ist die schärfste Einstufung, die der Verfassungsschutz vornehmen kann.

14.08.2025 | 1:32 min

Auf was hätte eine AfD-Regierung Zugriff?

Doch auch im Falle einer AfD-Regierung hätten deren Parteivertreter nicht automatisch Zugriff auf geheime Unterlagen oder Namen von Informanten im rechten Spektrum. Mitarbeiter der Dienste müssten weiterhin Sicherheitsüberprüfungen durchlaufen. Das Aufweichen von Kontrollmechanismen, die Datenmissbrauch verhindern sollen, würde Zeit in Anspruch nehmen.

Einzig AfD-Regierungsmitglieder, etwa ein Innenminister, würden nicht auf diese Weise überprüft, sie sind qua Amt Geheimnisträger und dürften theoretisch Akten zur Einsicht anfordern. Die unerlaubte Weitergabe wäre Geheimnisverrat und eine Straftat.

Solche Vorgänge würden nach Einschätzung von Experten in den Behörden vermutlich auffallen - ebenso wie wenn ein Landesdienst plötzlich ungewöhnliche Abfragen über das gemeinsame Informationssystem aller Nachrichtendienste (Nadis) durchführt.

AfD-Parteichef Tino Chrupalla im Berlin-direkt-Interview

"Bodenlose Frechheit": AfD-Co-Parteichef Chrupalla wehrt sich im ZDF gegen den Vorwurf, AfD-Politiker hätten für Russland spioniert. Sehen Sie hier das "Berlin direkt"-Interview in voller Länge.

26.10.2025 | 6:06 min

Dürfen Bundesländer vom Datenaustausch abgeschnitten werden?

Ein AfD-geführtes Sachsen-Anhalt präventiv von solchen Datenbanken auszuschließen, hält Luca Manns nicht für möglich. "Systeme wie Inpol oder Nadis beruhen auf einer gesetzlichen Kooperationspflicht. Das Bundesamt für Verfassungsschutz muss den Ländern grundsätzlich Zugang eröffnen", betont Manns.

Erst wenn ein Landesamt nachweislich und wiederholt außerhalb seines Auftrags tätig werde, könnten Kontrollmechanismen greifen. "In solchen Missbrauchsfällen kann der Zugriff begrenzt oder unterbunden werden - allerdings auch nur dann", so Manns.

Doch eine AfD-Regierung müsste gar nicht zu illegalen Handlungen greifen, um den Verfassungsschutz politisch zu lenken. Indem sie den Fokus weg von rechten Netzwerken und hin zu Linken oder Islamisten verschieben und entsprechend Mitarbeiter und Geldmittel umplanen würde, könnten völlig legal Schwerpunkte gesetzt werden.

Fazit: Ein Nachrichtendienst unter AfD-Kontrolle wäre also sicherheitspolitisch in der Tat bedenklich - die pauschale Löschung von sensiblen Daten aber nach Einschätzung von Experten rechtlich derzeit nicht umsetzbar.

Bei AfD-Regierungsbeteiligung
:Verfassungsschutz und AfD: Drei Szenarien

Sollte die AfD nach den Landtagswahlen im Herbst im Osten mitregieren: Wie sähe die Arbeit des Verfassungsschutzes aus? Drei Szenarien.
von Julia Klaus
Logo der Partei Alternative für Deutschland (AfD) unter der Lupe

Mehr zum Verfassungsschutz

  1. erlin: Alexander Dobrindt (CSU), Bundesinnenminister, spricht während des Festaktes zum 75-jährigen Bestehen des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

    75-jähriges Bestehen:Verfassungsschutz: Wächter der Demokratie mit Schattenseiten

    von Scarlett Sternberg
    mit Video

  2. Sinan Selen
    Interview

    Verfassungsschutzpräsident:Selen: "Haben es mit multiplen Bedrohungen zu tun"

    mit Video

  3. (Archivbild) Jan Stöß, Leiter der Abteilung Recht und Organisation im Bundesministerium der Verteidigung (BMVg), kommt zur Sitzung des Parlamentarischen Kontrollgremiums

    Gremium verkleinert:Kontrolle der Nachrichtendienste ausgehöhlt?

    von Julia Klaus
    mit Video

  4. Mehrere hundert Demonstranten mit weissen Fahnen Spruchbändern Plakaten bei der Muslimaktiv Demonstration am Hamburger Steindamm

    Islamistische Gruppe verboten:Kalifat in Deutschland - das steckt hinter Muslim Interaktiv

    von Susana Santina
    mit Video