Spionage in Brüssel: Hat Orbans Geheimdienst die EU ausgespäht?

Geheimagenten in Brüssel:Hat Ungarns Geheimdienst die EU ausspioniert?

Tobias Bluhm

von Tobias Bluhm, Brüssel

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Ungarns Geheimdienst soll EU-Institutionen ausgespäht haben. Auch ein deutscher Abgeordneter sei betroffen - dieser geht nun juristisch gegen Viktor Orban vor.

Die helle Fassade der ständigen Vertretung Ungarns in Brüssel

Die Ständige Vertretung Ungarns in Brüssel: Spähten Agenten von hier aus die EU aus? Der Abgeordnete Daniel Freund (Bündnis90/Die Grüne) erhebt schwere Vorwürfe gegen den heutigen EU-Kommisar Oliver Varhelyi.

22.10.2025 | 1:15 min

Ungarn soll versucht haben, Geheimagenten in EU-Institutionen einzuschleusen. Laut Recherchen, unter anderem vom "Spiegel" und dem Investigativmedium "Direkt36", soll ein Mitarbeiter der ungarischen Vertretung in Brüssel gezielt versucht haben, Abgeordnete, ihre Mitarbeiter und EU-Beamte auszuspähen.

Demnach haben Diplomaten zwischen 2012 und 2018 mehrfach ungarische Staatsbürger, die in EU-Institutionen arbeiten, kontaktiert. Sie sollen beispielsweise Kommissionsmitarbeitern Geld geboten haben, um an interne Dokumente wie Sitzungsprotokolle zu gelangen. Als ein Spion 2017 aufflog, wurde er nicht ausgewiesen, sondern soll unbehelligt nach Budapest zurückgekehrt sein.

Sicherheitsinteressen der EU betroffen

Brisant ist das ungarische Vorgehen aus zweierlei Hinsicht: Einerseits hat das Handeln Ungarns gegen die eigenen EU-Partner eine große diplomatische Tragweite. Schließlich geht es bei den betroffenen Informationen nicht nur um Klatsch und Tratsch aus der EU-Zentrale, sondern auch um Sicherheitsinteressen der Europäischen Union: um frei werdende Stellen, Inhalte von Diskussionen oder Positionen der Mitgliedsstaaten.

"Ausspähen unter Freunden geht gar nicht", sagte Ex-Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) einst. Das gilt insbesondere auch für Partner innerhalb der EU, das wird in der Stimmung unter den Abgeordneten dieser Tage klar.

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Welche Rolle spielte EU-Kommissar Oliver Varhelyi?

Andererseits birgt der Fall aber auch politische Sprengkraft. Denn Ungarns damaliger Ständiger Vertreter bei der EU (de facto der ungarische EU-Botschafter) hat inzwischen selbst einen hohen Posten inne: Oliver Varhelyi ist EU-Kommissar für die Gesundheit und somit einer der engsten Kollegen von Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen.

"Entweder er ist involviert, was ich für das wahrscheinlichere Szenario halte, oder er ist völlig inkompetent", rechnet der EU-Abgeordnete Daniel Freund (Bündnis90/Die Grünen) mit Varhelyi ab. Dass der Ungar von den Vorhaben seines eigenen Stabs nichts wusste, hält der Politiker für ausgeschlossen.

Varhelyi streitet die Vorwürfe bislang ab. Am Mittwoch meldeten sich jedoch auch andere Abgeordnete zu Wort, als das Europaparlament in Straßburg in einer eigenen Debatte über die Anschuldigungen sprach. In einem Brief forderten sie von der Leyen anschließend auf, den Kommissar aus ihrem Team zu entfernen. Bis jetzt zögert die Kommissionspräsidentin jedoch: Zuerst soll eine interne Gruppe die Vorwürfe prüfen. Diese Untersuchung läuft noch.

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Damit hätten sie Zugriff auf alle Geräte gehabt: Kameras, Standortdaten, Mikrofone, Kalender, Kontaktdaten ...

Daniel Freund (Grüne), Abgeordneter im Europäischen Parlament

"Ein Gerät mit dieser Software zu infizieren, kostet ungefähr 1,5 Millionen Dollar. Das macht man nicht aus dem Kinderzimmer", so Freund gegenüber ZDFheute. Laut Parlamentsdiensten sind China und Saudi-Arabien als Nutzer der Software bekannt - und Ungarn. Freund weiter: "Warum sollten die anderen sich für mich interessieren? Mit Orban setze ich mich seit Jahren auseinander."

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Dass die Staatsanwaltschaft in Krefeld, bei der die Anzeige erstattet wurde, Anklage gegen Orban erhebt, glaubt Freund nicht. Aber er hofft auf mehr Aufmerksamkeit für die Sicherheitslage im EU-Parlament - und für die Rolle des ungarischen Geheimdiensts.

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