Krieg in der Ukraine: Junge Männer fliehen vor Wehrdienst

Innenministerium sieht erhöhten Zuzug:"Kein Kanonenfutter": Warum wieder mehr Ukrainer kommen

Lisa Jandi, ZDF-Landesstudio Berlin

von Lisa Jandi

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Ukrainer zwischen 18 und 22 Jahren können ihr Land wieder legal verlassen. Seit Ausbruch des Krieges war ihnen das verboten. Was sie antreibt, aus ihrem Land zu fliehen.

Junge Ukrainer

Mehr junge Männer kommen seit der Lockerung der Ausreisesperre in der Ukraine nach Deutschland. Sie fliehen vor dem Krieg und erhoffen sich in Deutschland einen Neustart.

15.11.2025 | 4:40 min

In einer unscheinbaren Ecke des Einkaufszentrum Berlin Treptow stehen sie schon am Morgen Schlange. Hier berät der Verein "LaruHelps Ukraine" seit Beginn des Krieges täglich Geflüchtete. Neuerdings immer mehr junge Männer.

Bogdan und Artem sind 21 und gemeinsam Anfang des Monats nach Berlin gekommen. Möglich war das nur, weil die ukrainische Regierung das Ausreiseverbot für Männer ihrer Altersgruppe Ende August aufgehoben hat. "Als der Krieg begann, war ich 17. Da hätte ich noch rausgekonnt, aber ich wollte bleiben. Jetzt bin ich froh, dass das Gesetz geändert wurde" sagt Artem.

14.11.2025, Ukraine, Kiew: Arbeitskräfte der örtlichen Behörden betrachten ein Wohnhaus, das nach einem russischen Angriff auf Kiew beschädigt wurde.

Russland hat mit Hunderten Drohnen und Raketen Ziele in der ganzen Ukraine angegriffen. Mindestens vier Menschen starben in Kiew. In mehreren Gebieten fiel der Strom aus.

14.11.2025 | 1:20 min

Wehrdienst: Ukraine kann Männer ab 25 einziehen

Auch sein Freund Bogdan war zu Kriegsausbruch erst 17 und wollte bei seinen Eltern bleiben, nie hätte er gedacht, dass der Krieg so lange dauern würde.

Als die Grenzen wieder aufgemacht wurden, habe ich mich mit meinen Eltern beraten und beschlossen, dass es besser ist, wenn ich gehe. Niemand weiß, was noch passiert.

Bogdan, 21

Ab 25 Jahren können ukrainische Männer zum Wehrdienst eingezogen werden. Doch angesichts des Mangels an Soldaten, könne sich das auch schnell ändern, so Artem: "Meine Sorge ist eingezogen zu werden. Sie können das Alter jederzeit heruntersetzen."

 Ukrainians line up to receive a hot meal during a food aid distribution in a school in Kharkiv

Die zweitgrößte Stadt der Ukraine, Charkiw, wurde in der Nacht erneut angegriffen. Die Menschen leiden weiter unter den Angriffen auf die ukrainische Strom- und Wärmeversorgung.

14.11.2025 | 1:36 min

Sergej ist 22, auch er steht in der Schlange in Treptow. Mit einer Tasche kam er aus der Region Dnipro nach Berlin. "Die Drohnen haben unsere ganze Infrastruktur zerstört. Wir haben kein Wasser, keine Elektrizität, kein Gas. Meine Stadt Shakhtarsk wird bald zu einer Geisterstadt."

Ich bin froh, dass ich gehen konnte. Die Welt sehen und den Krieg verlassen.

Sergej, 22

Bundesinnenministerium: Erhöhte Migration aus Ukraine

Laut Bundesinnenministerium (BMI) stieg die Zahl der eingereisten Ukrainer im Alter von 18 bis 22 Jahren von 19 pro Woche Mitte August auf über 1.000 Mitte September an, im Oktober setzte sich dieser Trend fort.

Lena Loza, Ukrainerin

Rund 1,2 Millionen ukrainische Geflüchtete leben in Deutschland, darunter hoch qualifizierte Fachkräfte.

10.12.2024 | 8:05 min

"Man beobachte diese Entwicklung aufmerksam", so eine Sprecherin des BMI, ziehe in Betracht, "dass es sich um eine erste Phase erhöhter Migration nach dem Inkrafttreten der im Sommer seitens der Ukraine beschlossenen Regelung handelt und die Zahl der schutzbegehrenden jungen Männer wieder abnehmen kann."

Ukrainerin: "Jemand muss das Land verteidigen"

Bei dem Verein "LaruHelps" werden die Neuankömmlinge von vielen Ehrenamtlichen beraten, die selbst geflüchtet sind. Wie Liudmilla. Ihre zwei Brüder sind noch in der Ukraine, 30 und 42 Jahre alt und voller Angst, eingezogen zu werden:

"Sie können nicht ausreisen, aber sie können auch kein normales Leben führen, weil sie jederzeit, an jeder Ecke von der TZK (der Militärverwaltung) geschnappt und an die Front geschickt werden können. Das ist ungerecht. Nicht jeder ist in der Lage zu kämpfen".

Ein ukrainischer Soldat steht in einer Tankstelle

Tankstellen sind in der Ukraine zu sozialen Treffpunkten geworden. Hierher kommen Zivilisten und Soldaten. Vor der Front sind sie für die Kämpfer oft die letzte zivile Bastion.

15.10.2025 | 7:41 min

Svetlana, die schon lange in Berlin lebt, begleitet eine Bekannte zur Beratung, sie findet:

Jemand muss das Land verteidigen, es ist Krieg. Aber hätte ich einen Sohn, dann hätte ich auch alles getan, damit er nicht hingehen muss.

Svetlana

Artem, Bogdan und Sergej wollten nicht kämpfen. "Die Soldaten riskieren ihr Leben. Es sind harte Bedingungen. Ich glaube, ich würde das nicht durchstehen, an der Front zu sein", sagt Artem und Sergej fügt hinzu:

In meinem Land floriert die Korruption. Ich will kein Kanonenfutter für mein Land werden, das mir eigentlich nichts geboten hat.

Sergej, 22

Oberst Markus Reisner stehend vor einer Karte an der Wand im Hintergrund.

Verwundete müssten in der Ukraine teilweise mehrere Tage bis Wochen ausharren. Das schaffe unerwartet große Probleme für die Militärärzte, sagt Oberst Reisner bei ZDFheute live.

13.11.2025 | 26:24 min

Arbeitsmarktexpertin: Junge Ukrainer als Chance für deutsche Wirtschaft

Artem ist Informatiker, die zwei anderen Ingenieure. Für den deutschen Arbeitsmarkt könnte dieser Zuzug junger Männer positive Auswirkungen haben, so Prof. Yuliya Kosyakova vom Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung "Das Alter spielt hier eine große Rolle, junge Menschen lernen schneller die Sprache, knüpfen schneller soziale Kontakte."

Dass Ukrainer, die seit April eingereist sind, kein Bürgergeld mehr, sondern Asylbewerberleistungen erhalten sollen, findet sie falsch: "Das heißt, sie haben nicht mehr die Betreuung durch das Jobcenter und das kann der Integration wirklich sehr schaden".

Die drei jungen Ukrainer wohnen aktuell in einer Notunterkunft, auf dem ehemaligen Flughafen Tegel. Kein angenehmer Ort zum Leben, aber einer ohne Drohnen und ohne Luftschläge in der Nacht. Sie wollen schnell Deutsch lernen, arbeiten. Ihre Zukunft sehen sie in Deutschland.

Lisa Jandi berichtet aus dem ZDF-Studio in Berlin.

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