USA unter Trump: Wie sich die US-Politik radikal verändert hat
Kulturkampf unter Donald Trump:USA: Angst-Ära wie in den 1950er Jahren?
von Katharina Schuster, Washington D.C.
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Abschiebungen, Soldaten auf den Straßen, Trumps Rhetorik: US-Journalist Risen sieht Parallelen zu den 1950ern in den USA. Ist die Situation vergleichbar mit der McCarthy-Ära?
US-Präsident Donald Trump konstruiere eine künstliche Bedrohung in den USA, so "New York Times"- Journalist Risen.
Quelle: AFP
Anfang Juni eskaliert in Los Angeles der Protest gegen die Abschiebepolitik von US-Präsident Donald Trump. Tausende Menschen gehen auf die Straße, Tränengas liegt in der Luft und Trump lässt die Nationalgarde aufmarschieren.
Es sind Szenen, die Beobachter wie Historiker und Journalist Clay Risen an vergangene Proteste der US-Geschichte erinnern. Für Clay Risen steht fest: Die USA erleben eine Rückkehr zur Angstpolitik.
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Trumps Vorgehen erinnert US-Journalisten an McCarthy-Ära
Risen fühlt sich an die "Red Scare" (zu Deutsch: "Rote Angst") der 1950er-Jahre erinnert, die in ihren Anfängen stark durch den Senator Joseph McCarthy geprägt wurde und deshalb auch McCarthy-Ära genannt wird.
Der Republikaner McCarthy war Senator von Wisconsin und wurde zur zentralen Figur der antikommunistischen Kampagne in den USA. Mithilfe öffentlicher Anhörungen, Verdächtigungen und sogenannten schwarzen Listen trug er maßgeblich zur gesellschaftlichen Einschüchterung bei.
Es sei eine Zeit gewesen, in der Angst "zur Staatsdoktrin" wurde, erklärt der Journalist Risen. Damals reichte es, als Sozialist abgestempelt zu werden, um Job, Ruf oder Freiheit zu verlieren.
Als Antwort auf die Proteste in LA setzte die US-Regierung sogar auf Elitesoldaten und schickte 700 Marineinfanteristen - Analyse bei ZDFheute live.10.06.2025 | 29:13 min
Risen: Politische Gegner werden zu Staatsfeinden erklärt
"Heute sehen wir eine ähnliche Rhetorik", sagt Risen im Gespräch mit ZDFheute. Trump erkläre seine politischen Gegner systematisch zu Staatsfeinden, bezeichne sie häufig als "Marxisten", "Radikale" oder "Gefährder". Das erinnere stark an die McCarthy-Ära. Besonders drastisch sei der Einsatz der Nationalgarde gegen Demonstrierende in Los Angeles gewesen.
Denn: Eigentlich untersteht die Nationalgarde den Bundesstaaten, in diesem Fall Kalifornien und damit dem Gouverneur Gavin Newsom - ein Demokrat, der sich ausdrücklich gegen den Einsatz ausgesprochen hatte.
Wendepunkt in den USA? "Geht längst nicht mehr nur um Worte"
Für Risen ist dieser Moment ein Wendepunkt. "Es geht längst nicht mehr nur um Worte", so Risen, der für die "New York Times" arbeitet.
Es geht um reale Einschüchterung und die Militarisierung der Innenpolitik.
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Clay Risen, Historiker und Journalist
Im Unterschied zur McCarthy-Ära gehe die Eskalation heute vom US-Präsidenten selbst aus, mit Zugang zu Geheimdiensten und militärischen Mitteln.
Sie streben nach absoluter Macht: Autokraten wie Chinas Xi Jinping oder Russlands Wladimir Putin. Viele sehen die Antidemokraten derzeit auf dem Vormarsch. Warum sind sie so populär?25.05.2025 | 44:57 min
Journalist: Donald Trump kreiert künstliche Bedrohung
Die Vereinigung aller demokratischen Gouverneure der US-Bundesstaaten (DGA), zu denen auch der kalifornische Gouverneur Newsom gehört, bezeichnete Trumps Mobilisierung der Nationalgarde als "alarmierenden Machtmissbrauch".
Der "New York Times"-Journalist betont: "Trump konstruiert eine künstliche Bedrohung, etwa durch Migranten, die er als 'Invasoren' diffamiert. Das Ziel ist dasselbe wie damals: Angst erzeugen, um Härte zu rechtfertigen."
Comeback der "Red Scare"-Ära?
Trotz Parallelen warnt US-Verfassungsrechtler Russell Miller vor Vereinfachungen. "McCarthys Waffen waren Listen und Denunziationen - nicht Panzerwagen und Soldaten. Die heutigen Auseinandersetzungen verlaufen entlang anderer Frontlinien", erklärt Miller.
Die Grünen-Fraktionschefin Katharina Dröge warnt davor, US-Präsident Trump politisch und sprachlich zu weit entgegenzukommen. Für ihn sei das eine "Einladung weiterzumachen". 26.06.2025 | 1:00 min
Während der Antikommunismus in den 1950er-Jahren als nationale Staatsräson galt, richte sich Trumps Agenda heute gegen die sogenannte "woke Gesellschaft". Außerdem sei Trump Präsident der Vereinigten Staaten und McCarthy "nur" Senator des Staates Wisconsin gewesen.
Auch parteiintern gebe es ein anderes Machtgefüge, so Miller. Während sich US-Präsident Dwight D. Eisenhower, ebenfalls Republikaner, damals öffentlich von McCarthy distanzierte, sei die republikanische Partei heute nahezu vollständig auf Trump ausgerichtet.
Er (Trump) definiert die Parteilinie - ohne nennenswerten Widerspruch.
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Russell Miller, US-Verfassungsrechtler
Zivilgesellschaft leistet Widerstand gegen US-Regierung
Und auch die Zivilgesellschaft reagiere anders, beobachtet Miller. Während viele in der McCarthy-Ära aus Angst schwiegen, formierten sich heute breite Proteste, wie bei den landesweiten "No Kings"-Demonstrationen gegen Trump.
Die USA seien zwar "immer noch eine Demokratie", aber Trump und sein Team würden versuchen, die Regeln des politischen Systems zu ändern, sagt die Historikerin Anne Applebaum. 09.03.2025 | 8:46 min
Auch für den Journalisten Risen liegt hier ein Hoffnungsschimmer: "Im Gegensatz zur 'Red Scare'-Ära schweigt die kritische Öffentlichkeit nicht. Es gibt Widerstand - auf den Straßen, in den Gerichten, in den Medien." Ob der ausreicht, ist offen.
Katharina Schuster ist Reporterin im ZDF-Studio in Washington D.C.