Schweden will Strafmündigkeit für Jugendliche auf 13 Jahre senken

Reaktion auf Bandenkriminalität:Schon mit 13 Jahren hinter schwedische Gardinen?

von Winnie Heescher
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Schwere Gewalttaten sind in Schweden Alltag. Immer häufiger sind die Täter Jugendliche. Die Regierung will die Strafmündigkeit absenken auf 13 Jahre. Kinderschützer sind dagegen.

Polizei in Schweden

Banden rekrutieren Jugendliche für Morde oder Gewalttaten, weil sie nicht strafmündig sind. Deshalb will Schwedens Regierung das Strafmündigkeitsalter von 15 auf 13 Jahre senken.

06.10.2025 | 1:49 min

"Bruder, ich kann es kaum erwarten, meine erste Leiche zu sehen", schreibt ein elfjähriger Junge auf Instagram. Oder: "Suche Mörder für Dänemark". Oder: "Warte in der Wohnung, ich sage dir, wann du abdrücken sollst."

So zitieren schwedische Journalisten aus polizeilichen Ermittlungsakten. Bandenkriminalität prägt Schweden seit über einem Jahrzehnt, vor allem in den Vororten großer Städte wie Stockholm oder Malmö, zunehmend auch im Hinterland. Es geht um Drogen und Waffenhandel, regelmäßig kommt es zu Schießereien, Explosionen, Morden. Und immer häufiger heuern die Clanchefs Kinder und Jugendliche unter 15 Jahren an.

15 Jahre - bislang Grenze zur Strafmündigkeit in Schweden

Denn erst mit 15 Jahren kann man in Schweden bei Begehen einer Straftat vor Gericht gestellt, verurteilt und ins Gefängnis geschickt werden. Bislang zeigt das Justizsystem eine hohe Flexibilität und Individualität: Selbst bei schwersten Verbrechen bekommen Jugendliche maximal vier Jahre in einer Jugendbetreuung und nicht in einem gewöhnlichen Gefängnis. Wer "einen Vierer macht", also vier Jahre in einer Betreuung verbracht hat, ist im Milieu unter den Jugendlichen anerkannt, hat Aufstiegschancen, kann mehr Kronen eintreiben für neue Aufträge, also Straftaten. Und für Auftraggeber sind vier Jahre Strafe kein abschreckendes Hindernis in der Anwerbung.

Diskussion um Strafmündigkeit
:Gewalttaten: Schon Zwölfjährige bestrafen?

Immer mehr Kinder und Jugendliche sind gewalttätig, das zeigt die aktuelle Kriminalstatistik. Und schon wird diskutiert, ob die Strafmündigkeit herabgesetzt werden sollte.
Symbolbild: Jugendliche prügeln sich
mit Video

Die Zahl der mutmaßlichen Verbrechen mit Kindern unter 15 hat sich nach Angaben der schwedischen Regierung im letzten Jahrzehnt verdoppelt - keine gute Bilanz für die Minderheitsregierung von Ministerpräsident Ulf Kristersson, die von den rechtspopulistischen Schwedendemokraten toleriert wird. Das Bündnis hatte 2022 bei Amtsantritt versprochen, das organisierte Verbrechen in den Griff zu bekommen. Deshalb will die Regierung neue Maßnahmen ergreifen: Die Strafmündigkeitsgrenze soll von 15 auf 13 Jahre gesenkt werden, Jugendgefängnisse eingeführt und Strafen erhöht werden.

Wir müssen sicherstellen, dass es Konsequenzen gibt. Lehrer, Eltern und Sozialdienste haben versäumt, Grenzen zu setzen. Dann müssen wir in der Gesellschaft härtere Maßnahmen gegen diese Kinder ergreifen, die sehr schwere Verbrechen begehen.

Pontus Andersson Garpvall, Abgeordneter der rechtspopulistischen Partei der Schwedendemokraten

Das aber sehen Experten aus Polizei- und Justizkreisen kritisch, ebenso Sozialarbeiter und Wissenschaftler. Anna Dorrian, Anwältin bei BRIS, einer Organisation, die die Rechte von Kindern vertritt, sagt: "Wir sind aus verschiedenen Gründen besorgt, diese Vorschläge werden nicht zu einer sichereren Gesellschaft führen."

Aus der Jugendbetreuung seien Kinder und Jugendliche oft krimineller wiedergekehrt, im Gefängnis werde dieser Effekt noch verstärkt. Notwendig sei mehr Geld in die Prävention zu stecken, nicht in Jugendgefängnisse.

Es ist sehr problematisch, dass man sich die Forschung nicht anschaut. In Dänemark hat man die Strafmündigkeit auf 14 Jahre gesenkt und dann wieder angehoben, weil man sah, dass die Kriminalität nicht zurückgegangen ist.

Anna Dorrian, Anwältin

Auch wird befürchtet, dass die Banden noch jüngere Kinder anheuern könnten.

Polizist schaut durch zerschlagenes Fenster

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Ähnliche Debatte in Deutschland

Auch in Deutschland fordern einige Politiker der Union, die Regeln zu ändern und das Strafmündigkeitsalter von 14 auf zwölf Jahre herabzusetzen. Die Kriminalitätsstatistik liefert auch hierzulande bedrückende Zahlen: 2024 ist die Gewaltkriminalität bei Kindern unter 14 um rund elf Prozent gestiegen. Die Täter werden immer jünger. Was ist bei den Kindern los? Wie kann man ihnen helfen? Würden frühere Strafen helfen? Schweden will es zunächst fünf Jahre ausprobieren.

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