Nitazene: Wie synthetische Opioide den Heroin-Markt fluten

Nitazene:Wie synthetische Opioide den Heroin-Markt fluten

von Max Hübner und Julian Schmidt-Farrent
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Die UN warnen seit langem vor ihnen, nun tauchen sie in Deutschland auf: Nitazene. Sie wirken bis zu 500 Mal stärker als Heroin. Was auf den deutschen Drogenmarkt zukommen könnte.

Montage | rechts: Junger Mann mit Vape beim Dampfen und von Qualm eingehüllt, davor zwei chemische Formeln von synthetischen Opioiden ; links: Einkaufswagen-Symbol für Online-Shoppen

Der Klick zum Kick: Drogen wie Fentanyl & Nitazene, stärker als Heroin, werden immer gefragter. Synthetische Opioide machen extrem süchtig und werden online als Liquid zum Vapen verkauft.

03.09.2025 | 17:20 min

Das gelbe Pulver in der kleinen Flasche ist mehrere Millionen Euro wert - und tödlich. BKA-Toxikologe Michael Pütz hält das Fläschchen weit von sich weg. Allein das Einatmen des Pulvers könnte zur Überdosis führen. In der Flasche sind nur wenige Gramm Nitazen, doch die Stoffgruppe wirkt bis zu 500 Mal stärker als Heroin.

Nach Hunderten Toten in Großbritannien und Estland tauchen Nitazene auch in Deutschland auf - allein in Bayern sind seit 2024 mindestens vier Menschen in Zusammenhang mit der Substanz gestorben.

Nitazene - beigemischt in Tabletten oder Heroin

Wie viel Stoff ein Dealer aus dem Fläschchen herstellen könnte? Ein paar Hunderttausend Einzeldosen, schätzt Toxikologe Pütz. "Die Gewinnspanne muss exorbitant sein."

Nitazen ist ein synthetisches Opioid, das in den letzten Jahren immer mehr Aufmerksamkeit erregt. Es ist extrem potent, bis zu 60-mal stärker als Morphin, und kann zu schweren Überdosierungen und Todesfällen führen. Entwickelt wurde Nitazen ursprünglich in den 1950er Jahren als Schmerzmittel, aber nie als Arznei für Menschen zugelassen. In Großbritannien ist es seit 2016 verboten, in den USA seit 2020. 

Es wird häufig in Tablettenform hergestellt und kann geschluckt, geraucht oder injiziert werden. Im Gegensatz zu Heroin und anderen Opioiden soll Nitazen keinen bitteren Geschmack haben, was es für Konsumenten attraktiver macht. Teilweise wird es Süchtigen auch ohne ihr Wissen untergemischt. Die Wirkung von Nitazen ist kurz und intensiv, führt aber schnell zu Abhängigkeit und Toleranz. Die Entzugssymptome können sehr schwerwiegend sein.


In mehreren deutschen Städten wurden zuletzt Nitazene festgestellt - beigemischt in Tabletten oder im Heroin. Die neuartigen Opioide könnten eine Lücke füllen, die im Heroinmarkt klafft: Der Großteil des Heroins stammte bislang aus Afghanistan, doch die Taliban untersagten den Anbau nach ihrer Machtübernahme 2021. Nun fürchten Suchthilfen und Behörden, dass stärkere Opioide die Nachfrage bedienen.

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"Die erste Erfahrung hatten wir in diesem Frühjahr", erinnert sich Gabi Becker. Sie leitet die Eastside in Frankfurt, den ersten Konsumraum Deutschlands. Eine langjährige Klientin habe vermeintlich Heroin konsumiert - und prompt eine Überdosis bekommen. Ein Schnelltest zeigte Beimengungen mit Nitazenen an, auch in Berlin und Bremen wurde die Droge bereits nachgewiesen.

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Ähnlich wie Fentanyl stammen auch Nitazene ursprünglich aus der Pharmaindustrie. In den 1950er-Jahren wurden sie als Schmerzmittel entwickelt, kamen allerdings nie auf den Markt. Die Opioide galten als unberechenbar - und stark suchterzeugend. Jahrelang verschwanden sie, bis sie 2019 im Baltikum auftauchten.

UN warnen vor Droge
:Nitazen - gefährlicher als Heroin

Ein Rückgang der weltweiten Opium-Produktion dürfte künftig für weniger Heroin auf dem Markt sorgen. Drogenexperten warnen vor gefährlichen Alternativen wie Nitazen.
Taliban security forces destroy poppy fields in Zabul

Nitazene: Die Spur führt nach China

In Europa gilt Estland als das erste Land, das von der Nitazen-Welle erfasst wurde. Dutzende Menschen starben an Opioid-Überdosen - Nitazene füllten im kleinen baltischen Staat eine Lücke, nachdem das Angebot an Heroin gesunken war. Doch anders als das Heroin stammten die Drogen diesmal aus dem Labor.

frontal
Quelle: ZDF

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Die Spur führte nach China: Das Recherchemedium Bellingcat konnte die Nitazen-Welle in Estland auf chinesische Zulieferer zurückführen. Unzählige Werbungen für Nitazene waren zuvor in Estland aufgetaucht - geschaltet von chinesischen Firmen, die ständig ihre Adressen wechselten.

Zum selben Zeitpunkt war die Produktion von Nitazenen in China noch legal. Nach Kritik verbot die Regierung vor wenigen Monaten einige Substanzen.

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Was kommt auf Deutschland zu?

In Deutschland hofft das BKA, dass mit dem Verbot auch die Lieferketten nach Deutschland durchbrochen werden. Sorgen bereitet ihnen, dass Nitazene inzwischen auch in gefälschten Oxycodon-Tabletten aufgetaucht sind. Ähnlich wie auf dem Heroinmarkt wüssten Konsumierende nicht, welche potenten Stoffe sie vor sich haben.

Gefälschte Oxycodon-Tabletten mit Nitazen-Verunreinigung

Gefälschte Oxycodon-Tabletten mit Nitazen-Verunreinigung.

Quelle: ZDF

Ob Nitazene künftig den Schwarzmarkt überrollen werden, bleibt unklar. Im Frankfurter Konsumraum fordern sie vor allem eines: flächendeckendes "Drugchecking". Nur so wüssten Konsumierende, was wirklich in ihrer Spritze landet.

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