Protest in Russland: Junge Menschen gegen das System Putin

Protest in Russlands Großstädten:Junge Russen gegen das System Putin

Jenifer Girke

von Jenifer Girke

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Mitten in St. Petersburg singen junge Russen Anti-Putin-Lieder. Der Kreml reagiert gewohnt hart. Man dürfe die junge Bevölkerung nicht unterschätzen, so eine Historikerin.

Eine junge blonde Frau bei einem Straßenkonzert, ein russischer Polizist steht ihr gegenüber

In St. Petersburg wurde eine Straßenmusikerin verhaftet, die eine Menschenmenge dazu animierte, ein Putin-kritisches Lied zu singen. Es gab Folgeproteste, vor allem von der jungen Bevölkerung.

22.10.2025 | 5:40 min

Der Platz in St. Petersburg ist voll, junge Russinnen und Russen stehen dicht an dicht, ihre Smartphones in der Hand, Kameras an, Handylampe auch - ein Lichtmeer des Widerstands. Und sie singen:

Ich möchte Ballett sehen, lasst die Schwäne tanzen. Soll der alte Mann zittern vor Angst um den See. Weg mit Solowjow.

Junge Menschen in St. Petersburg

Der alte Mann in diesem Lied, das ist Wladimir Putin. Er leitete in den 1990er Jahren eine Firma namens Osero, übersetzt "See". Und Wladimir Solowjow gilt als Putins Chefpropagandist.

Das Lied soll an das Ballett "Schwanensee" erinnern. Es lief zum Ende der Sowjetunion ununterbrochen auf allen Kanälen, als das alte System zusammenbrach. Die Botschaft der Demonstranten ist deutlich: Weg mit dem System Putin.

Demonstration bei Nacht: Polizisten mit Schilden sperren Demonstranten den Weg ab. Die Nacht wird von Straßenlampen und Feuerwerkskörpern erleuchtet. Über allem schwebt eine scharze Flagge mit einer Skelett-Figur, die einen Strohhut trägt

Nepal, Peru, Marokko: Die Jugend der Welt geht auf die Straße, gegen soziale Ungerechtigkeit und Korruption. Wir sprechen mit Johanna Wahl.

14.10.2025 | 7:51 min

Wladimir Putin: Kampf um die junge Generation

Seit Frühling gibt die Band Stoptime fast täglich Straßenkonzerte in St. Petersburg. Am Mikrofon: Diana Loginova, Künstlername Naoko, 18 Jahre jung. Ihr Gesang ist ein Schrei nach Freiheit.

Doch Putin braucht ihre Generation, die ein Leben ohne Putin nicht kennt, dringend, um seinen Krieg in der Ukraine fortzuführen, sagt Irina Scherbakowa. Sie ist Historikerin und Mitbegründerin der Menschenrechtsorganisation Memorial, die 2022 den Friedensnobelpreis erhielt: "Es gibt schon seit Langem einen Kampf um die junge Generation. Wenn man Krieg führt, ist es klar, dass man sich mehr junge Leute wünscht."

Junge Frauen, damit sie Kinder kriegen und junge Männer, damit sie in den Krieg ziehen.

Irina Scherbakowa, russische Historikerin

Der Kreml versuche, die Jungen auf Kurs zu halten: mit Anreizen, zum Beispiel hohe Löhne, aber auch mit Einschüchterung und Propaganda, so Historikerin Scherbakowa: "Man appelliert auch an den Nationalstolz. Wir müssen stolz sein auf unsere glorreiche Vergangenheit, auf den Sieg im Großen Vaterländischen Krieg und so weiter. Das funktioniert bei einigen Menschen."

Auf dem Bild ist der russische Oppositionelle Ilja Jaschin zu sehen.

Russische Oppositionelle leben gefährlich. Viele wurden verhaftet, vergiftet oder vertrieben. Neuer Hoffnungsträger ist Ilja Jaschin. Was kann er im Reich des Autokraten bewegen?

14.08.2024 | 6:14 min

Dr. Irina Scherbakowa
Quelle: Matthias Stief

... ist Germanistin und Historikerin. Sie forscht zu Oral History, Totalitarismus, Stalinismus, Gulag und sowjetischen Speziallagern auf deutschem Boden nach 1945, Fragen des kulturellen Gedächtnisses in Russland und der Erinnerungspolitik.

Im Dezember 2021 entschied der Oberste Gerichtshof Russlands, Memorial müsse verboten werden. Bis zum Schluss war Scherbakowa Mitarbeiterin der Internationalen Gesellschaft für Historische Aufklärung, Menschenrechte und Soziale Fürsorge Memorial (Moskau), die 2022 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde.

Quelle: Leibnizinstitut für Literatur- und Kulturforschung


Proteste wie in St. Petersburg gehen viral

Doch nicht alle machen da mit - neu ist: Sie zeigen ihren Unmut öffentlich, vor allem in Großstädten wie Moskau, St. Petersburg oder Saratow. Das Schwanensee-Protestlied geht viral, wird online hunderttausende Male gesehen und gelikt.

Kreml macht Angst, junge Russen machen weiter

Am 16. Oktober wird die Musikerin Naoko festgenommen, befindet sich nach wie vor in Arrest. Ihr droht eine strafrechtliche Verfolgung und damit auch drakonische Strafen.

Putins Staatsapparat setzt auf Angst, will so weiteren Protest unterbinden - allerdings mit eher mäßigem Erfolg. Seit der Festnahme der Musikerin häufen sich Gesten der Solidarität - im Netz und auf Russlands Straßen. Mittendrin: der 18-jährige Wassilij. Im Interview mit ZDFheute sagt er:

Ich möchte Deutschland zeigen, dass hier noch Russen leben, die sich eine friedliche und freie Zukunft wünschen und die die europäischen Werte unterstützen.

Wassilij Krasnow, Student

Sein Appell richtet sich aber auch an sein direktes Umfeld: "Es ist die Pflicht eines jeden zu helfen und zu begreifen, dass politische Repressionen und Festnahmen nicht irgendwo passieren, sondern jeden betreffen."

Schlange an Tankstelle im von Russland besetzen Luhansk

Der Ukraine-Krieg wird für die Russen im Alltag langsam spürbarer: Kraftstoff wird knapper, Flüge fallen aus, das Internet ist regelmäßig gestört. Doch der Kreml tut so, als wäre alles bestens.

22.10.2025 | 6:13 min

Irina Scherbakowa: "Putin ist nicht unsterblich"

Für echte Veränderung müssten sich noch mehr Menschen gegen das System stellen, so Scherbakowa. Und es bräuchte mehr Unterstützung aus dem Ausland, aus Europa. Man solle nicht unterschätzen, was gerade in der jungen Bevölkerung passiert.

Und: "Obwohl Putin schon über 70 ist, glaubt er, ewig zu leben und ewig Macht über die junge Generation in Russland zu haben. Aber:

Er ist nicht unsterblich.

Irina Scherbakowa, Mitbegründerin "Memorial"

Diese jungen Menschen würden ein wichtiges Signal senden, sagt Scherbakowa: Sie glauben an ein Russland ohne Wladimir Putin und wollen einen Weg in Freiheit und Demokratie ebnen.

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