Russische Oppositionelle:Kreml-Gegner ohne Schutz: Kritik an deutscher Visa-Praxis
von Cornelius Janzen
Moskau erhöht den Druck auf Andersdenkende. Doch Deutschland nimmt weniger politisch Verfolgte aus Russland auf. Menschenrechtsorganisationen und Exil-Oppositionelle warnen.
Während Russlands Regierung die Repressalien gegen Andersdenkende weiter eskaliert, vergibt Deutschland nur noch wenige Visa an politisch Verfolgte aus dem Land.
21.10.2025 | 5:03 minDie russische Musikerin, die unter dem Künstlernamen Naoko auftritt, sitzt seit knapp einer Woche in Haft. Sie hatte in St. Petersburg bei einem Straßenkonzert das kreml-kritische Lied "Swan Lake Cooperative" gesungen.
"Lasst die Schwäne tanzen. Lasst den alten Mann vor Angst um seinen See zittern", lautet der Text. Die Zeilen spielen auf das Werk "Schwanensee" des Komponisten Tschaikowski und auf Wladimir Putin an.
Katzarova: "Repressionen eskalieren massiv"
Das Video verbreitete sich rasch im Internet, die Sängerin wurde festgenommen und zu 13 Tagen Haft verurteilt. Der Song stammt ursprünglich vom russischen Rapper Noize MC und wurde im Mai von den Behörden als extremistisch eingestuft. Der Rapper lebt im Exil, er steht auf der Liste "ausländischer Agenten".
Viele russische Oppositionelle leben im Exil und kämpfen von dort aus gegen das Regime. Doch Putins Kritiker ziehen nicht an einem Strang.
15.01.2025 | 6:39 minDie Einstufung als "ausländischer Agent" oder "Extremist" kann in Russland derzeit jeden treffen. Die UN-Sonderberichterstatterin zu Russland, Mariana Katzarova, warnte jüngst:
Die Repressionen eskalieren derzeit massiv.
Mariana Katzarova, UN-Sonderberichterstatterin zu Russland
Unzählige Menschen und Organisationen stünden auf entsprechenden Beobachtungslisten.
Visa für Kreml-Kritiker nur noch in Ausnahmefällen?
Seit Beginn des russischen Angriffskrieges haben Tausende Oppositionelle das Land verlassen. Laut Bundesregierung erhielten rund 2.200 russische Staatsangehörige seitdem humanitäre Visa für Deutschland.
Russland geht verstärkt gerichtlich gegen Kritiker, Journalisten und sogar einfache Bürger vor. ZDFheute live spricht darüber mit Friedensnobelpreisträger Ratschinski.
20.04.2023 | 40:13 minDiese können gemäß § 22 Aufenthaltsgesetz vom Innenminister erteilt werden, wenn "besonders gelagerte politische Interessen der Bundesrepublik Deutschland" vorliegen. Doch im Zuge der Vereinbarungen der schwarz-roten Bundesregierung, die Migrationspolitik neu zu ordnen und freiwillige Bundesaufnahmeprogramme zu überprüfen, wurde die Vergabe humanitärer Visa zwischenzeitlich ausgesetzt.
Im August wurde sie wieder eingesetzt. Die Zahl der erteilten Visa ist in diesem Jahr jedoch insgesamt deutlich zurückgegangen. Medienberichten und Menschenrechtsorganisationen zufolge werden diese offenbar nur noch in besonderen Fällen genehmigt.
Drittländer liefern Oppositionelle an Russland aus
Eine Anfrage des ZDF, ob humanitäre Visa nur noch eingeschränkt erteilt werden, ließ das Bundesinnenministerium bislang unbeantwortet. Die Menschenrechtsanwältin Anastasia Burakova berichtet:
Menschen, die sich bereits für diese Visa beworben haben, sehen sich derzeit einer großen Unsicherheit ausgesetzt. Viele, die aus Russland fliehen, befinden sich in Drittländern um Russland.
Anastasia Burakova, Menschenrechtsanwältin
ZDF-Korrespondentin Nina Niebergall erklärt das Prinzip Putin: Wie und warum er Angst und Schrecken verbreitet.
15.03.2024 | 21:10 min"Einige dieser Staaten", so Burakova, "kommen Auslieferungsersuchen Russlands nach. Damit sind wir transnationaler Repression ausgesetzt."
Burakova floh 2021 aus Russland in die Ukraine und gründete im Jahr darauf das Projekt "Die Arche", das russischen Oppositionellen im Exil hilft. Sie warnt, dass eine verringerte Aufnahmebereitschaft Deutschlands die Möglichkeiten unabhängiger russischer Stimmen im Exil einschränkt.
Der junge Wladimir Putin wächst auf in rauen Hinterhöfen Leningrads. Doch ihm gelingt der Sprung an die Kaderschmiede des KGB und an die Macht.
21.09.2025 | 43:49 minChodorkowski: "Keine Perspektive für russische Oppositionelle"
Auch Michail Chodorkowski, einer der bekanntesten Kreml-Kritiker im Exil, sieht Risiken. 2022 rief er das sogenannte Antikriegskomitee ins Leben, ein Netzwerk russischer Oppositioneller, dem auch Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow und Journalist Wladimir Kara-Mursa angehören.
Inzwischen ermittelt der russische Inlandsgeheimdienst gegen sie wegen der angeblichen Gründung einer "terroristischen Vereinigung". "Uns geht es um den Schutz der Rechte jener Russen, die den Krieg ablehnen", sagt Chodorkowski im ZDF-Interview.
Doch den Kreml beunruhigt, dass seine seit Jahrzehnten verfolgte Strategie der Spaltung der Opposition ins Wanken geraten ist.
Michail Chodorkowski, Kreml-Kritiker
Ohne die Möglichkeit humanitärer Visa gebe es für russische Oppositionelle keine Perspektive, so Chodorkowski.
- Jekaterina Dunzowa: Diese Frau will Putin die Stirn bieten
Nach Nawalnys Tod vor über einem Jahr sucht die russische Opposition nach einer Strategie.
08.05.2025 | 29:51 minBurakova: Oppositionelle "brauchen sichere Räume"
Gerade in Zeiten umfassender Propaganda hält auch Burakova den ständigen Austausch Deutschlands mit der russischen Zivilgesellschaft für unverzichtbar.
Die Menschen in Russland haben Angst, ihre Meinung öffentlich auszudrücken. Die russische Regierung tut alles, um den Eindruck einer breiten Unterstützung des Krieges zu erzeugen.
Anastasia Burakova, Menschenrechtsanwältin
"Immer mehr Gruppen der Zivilgesellschaft geraten ins Visier der Repressionen", so Burakova. "So gilt die LGBTQ-Community inzwischen als extremistisch - viele werden allein wegen ihrer sexuellen Orientierung strafrechtlich verfolgt. Wir brauchen sichere Räume, in denen diese Menschen Schutz finden und ihre zivilgesellschaftlichen Aktivitäten fortsetzen können."
Cornelius Janzen ist ZDF-Redakteur und Reporter für 3sat Kulturzeit.
Mehr über Russland
Von Benzinmangel bis Exportstopp:Der Krieg ist in Russlands Alltag angekommen
von Jenifer Girkemit Video2:59