Wie Marokkos Jugendbewegung das Land verändern will

Proteste gegen die Regierung:Wie Marokkos Jugendbewegung das Land verändern will

von Anne Arend

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Nach wütenden Protesten ruft Marokkos Jugendbewegung "GenZ 212" nun zu friedlichen Aktionen und Reformen auf. Ihr Frust indes bleibt groß.

Junge Menschen protestieren in Rabat und halten Schilder in die Luft (9. Oktober 2025)

Rabat, Marokko: Jugendliche aus der Bewegung "GenZ 212" protestieren gegen Korruption und für Reformen im Bildungs- und Gesundheitssystem.

Quelle: ap

Es soll nur eine Atempause sein. Nach wütenden, teils gewaltsamen Protesten ruft Marokkos Jugend am Wochenende zu friedlichen Sitzstreiks sowie zum Boykott regierungsnaher Unternehmen auf. Sie fordern Reformen im Gesundheits- und Bildungswesen. Und protestieren gegen Korruption.

Die wenigen Jobs, die es gibt, bekommen immer nur die, die der Regierung nahestehen. Oder die, die dafür Geld zahlen.

Nacir, Bewegung "GenZ 212"

Vom Aufschrei zum Sitzstreik

Nacir ist mit vielen anderen jungen Leuten vor das Parlament in Rabat gezogen. Sie fordern den Rücktritt von Premierminister Aziz Akhannouch. "We are tired of fake democracy" - wir sind die Schein-Demokratie leid - Parolen auf Englisch, damit auch im Ausland jeder versteht: Ihre Wut wächst, ihr Frust ebenso.

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Nach Angaben der Organisatoren sollen sich mehr als 200.000 Menschen über digitale Plattformen unter dem Namen "GenZ 212" zusammengefunden haben. Und ihre Zahl steigt. GenZ steht für die Generation der unter 30-Jährigen, 212 für die internationale Vorwahl Marokkos.

Hohe Jugendarbeitslosigkeit treibt Unzufriedenheit an

Ihr Unmut hat sich lange angestaut. Das nordafrikanische Land hat mit vielen Herausforderungen zu kämpfen. Es verzeichnet zwar seit Jahren ein stabiles Wirtschaftswachstum, aber die Einkommensschere ist groß und gerade die Kaufkraft der niedrigen und mittleren Einkommen leidet.

Die Jugendarbeitslosigkeit liegt laut marokkanischer Statistikbehörde bei gut 36 Prozent. "Die jungen Leute sehen keine Zukunft mehr", erklärt Khadija Ryadi von der marokkanischen Menschenrechtsorganisation AMDH.

Sie fordern das Recht, über die Verwendung öffentlicher Mittel mitzubestimmen. Etwa für Schulen und Krankenhäuser, statt für prestigeträchtige Großprojekte.

Khadija Ryadi, Menschenrechtlerin

Damit sind unter anderem Baumaßnahmen gemeint, die die Regierung mit Blick auf die Fußball-Weltmeisterschaft, die 2030 unter anderem in Marokko ausgetragen wird, vorantreibt.

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Bewerbung um die FIFA Fussball-Weltmeisterschaft 2030

Moderne Infrastruktur, moderne Gebäude. Nach außen wirkt Marokko wohlhabend, doch bei der Bevölkerung kommt wenig davon an. Die drängt unterdessen auf Investitionen etwa im Gesundheitsbereich. Als Beleg für die Missstände und Auslöser der Proteste gilt der Tod von acht schwangeren Frauen in einem Krankenhaus in Agadir.

Festnahmen und Berichte über Gewalt verschärfen Spannungen

Während der Proteste wurden hunderte Demonstranten festgenommen. Es gibt Berichte über Verletzte und auch Tote.

Die Menschenrechtsorganisation AMDH fordert eine unabhängige Untersuchung der Vorfälle. "Wir leben in einem Land der Repression. Es gibt keine Demokratie, keine Freiheit - das ist nur Fassade", so beschreibt es Khadija Ryadi. Immer wieder würden Proteste mit Polizeigewalt beantwortet.

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Abbas El Ouardi, Professor an der Universität Mohammed V. in Rabat, sieht in der Jugendbewegung indes eine Chance. Daraus könne ein konstruktiver Dialog wachsen, meint der Rechtswissenschaftler, der der Regierung eher nahesteht. Mit Blick auf die Parlamentswahl 2026 würden nun Gesprächsangebote gemacht, um die Anliegen der Jugendlichen zu integrieren.

Rede des Königs enttäuscht viele junge Marokkaner

Doch auch die jüngste Rede von König Mohammed VI. hat viele enttäuscht. Zwar griff er einige Forderungen wie die Schaffung weiterer Arbeitsplätze auf, erwähnte jedoch weder die Jugendproteste, noch stellte er sich gegen die Regierung, wie von den Demonstranten gefordert. In der marokkanischen parlamentarischen Monarchie hat der König nicht die absolute Macht, jedoch weiterhin viel Einfluss.

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Bewegung sucht neuen Einfluss

Und so bleibt der Frust groß. Die Bewegung "GenZ 212" will sich nun - nach eigenen Angaben - neu ausrichten, wirksamer und einflussreicher werden. Am Wochenende sind Sitzstreiks geplant sowie der Boykott von Unternehmen, an denen die Familie des Regierungschefs beteiligt ist, etwa die Tankstellenkette Afriquia.

Nachhaltige Veränderung könne die Jugendbewegung jedoch nur erreichen, wenn sie die Unterstützung in der breiten Gesellschaft, also auch außerhalb der sozialen Plattformen, suche, meint Menschenrechtlerin Khadija Ryadi. "Sonst besteht die Gefahr, dass der Protest bald ins Leere läuft."

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Anne Arend ist Korrespondentin im ZDF-Studio Paris. Sie berichtet aus Frankreich, Spanien, Portugal, Marokko, Algerien und Tunesien.

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