Erinnerung an Kriegsverbrechen:Wie Japan zur eigenen Vergangenheit schweigt
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In der Erinnerungskultur von Japan spielen die eigenen Verbrechen im Zweiten Weltkrieg kaum eine Rolle. Warum Experten sagen, dass sich das in naher Zukunft auch nicht ändern wird.
Nationalisten am umstrittenen Yasakuni-Schrein in Tokio: Dort wird der in Kriegen für das
Kaiserreich Gestorbenen gedacht - unter ihnen sind auch
verurteilte und hingerichtete Kriegsverbrecher.
Quelle: Imago
Hiroshima und Nagasaki. An diese beiden Städte denkt man, wenn man an Japan im Zweiten Weltkrieg denkt. Das ist nicht nur im Ausland so, auch in Japan selbst sieht man sich als Opfer des Zweiten Weltkriegs. Dabei hat das Kaiserreich selbst Millionen von Toten zu verantworten. Taten, die nie richtig aufgearbeitet wurden.
Es sind "grausame Geschichten", so Japanologin Gabriele Vogt. Im Zweiten Weltkrieg verübte die japanische Armee unter anderem in China und auf den Philippinen Massaker, führte Menschenversuche durch oder zwang unter anderem koreanische Frauen dazu, sich zu prostituieren. Genaue Opferzahlen der japanischen Aggressionen sind schwer zu bestimmen. Es ist aber von mehreren Millionen Opfern auszugehen.
Experte: "Starker Unwille" der Bevölkerung, über Verbrechen zu reden
Eine wirkliche Aufarbeitung der eigenen Verbrechen hat in Japan aber nie stattgefunden, sagt Japanologe Urs Matthias Zachmann. Kriegsverbrecher werden heute teilweise noch verehrt und es gebe einen "starken Unwillen" über die eigenen Verbrechen zu reden.
Der wohl wichtigste Grund für die fehlende Ausarbeitung: der weit verbreitete Opfermythos.
Japaner selbst wollten mit dem Krieg nichts mehr zu tun haben, sahen sich im größten Teil auch als Opfer.
Urs Matthias Zachmann, Japanologe an der FU Berlin
Besonders genährt wird diese Erzählung durch die Atombombenabwürfe der USA und hält bis heute an. Die Hauptschuld am Krieg werde der politischen Führung gegeben, die das eigene Volk "widerwillig" in den Krieg hineingezogen habe. Dabei habe es zunächst große Unterstützung und kaum Widerstand in der Zivilbevölkerung gegeben, so Zachmann.
US-Besatzung hatte wenig Interesse an Aufklärung
Nach dem Krieg besetzten die Vereinigten Staaten Japan. Der US-amerikanischen Besatzungsmacht sei es aber "gar nicht daran gelegen" gewesen, eine Erinnerungskultur in Japan anzustoßen, sagt Experte Zachmann. Ziel war es viel mehr, mit Japan einen mächtigen Allianzpartner in der Region zu installieren.
Bereits seit den 1930er Jahren hatte sich das Verhältnis zwischen den USA und Japan zunehmend verschlechtert. Japan expandierte militärisch in Asien, beispielsweise durch den Einmarsch in China 1937 und stieß damit auf Widerstand vonseiten der USA. Diese verhängten gemeinsam mit Großbritannien 1941 ein Erdöl-Embargo, um die Ausbreitung Japans zu stoppen. Nach gescheiterten diplomatischen Verhandlungen zwischen den USA und Japan griff der Inselstaat am 7. Dezember 1941 den US-Flottenstützpunkt Pearl Harbor an. Die USA erklärte ihm daraufhin den Krieg. Der Zweite Weltkrieg erreichte damit eine globale Dimension, auch weil Japan Verbündeter der Nationalsozialisten war.
In den folgenden Jahren kam es zu erbitterten Kämpfen im Pazifik, unter anderem um die Inseln Midway und Iwo Jima. Trotz schwerer Verluste verweigerte Japan die bedingungslose Kapitulation, woraufhin die USA am 6. August 1945 die erste Atombombe über Hiroshima abwarfen, drei Tage später eine zweite über Nagasaki.
Am 15. August 1945 verkündete der japanische Kaiser Hirohito in einer Radioansprache die Kapitulation Japans. Am 2. September wurde die Kapitulationsurkunde formell an Bord eines US-Kriegsschiffes unterzeichnet.
Quelle: dpa, AFP
In den folgenden Jahren kam es zu erbitterten Kämpfen im Pazifik, unter anderem um die Inseln Midway und Iwo Jima. Trotz schwerer Verluste verweigerte Japan die bedingungslose Kapitulation, woraufhin die USA am 6. August 1945 die erste Atombombe über Hiroshima abwarfen, drei Tage später eine zweite über Nagasaki.
Am 15. August 1945 verkündete der japanische Kaiser Hirohito in einer Radioansprache die Kapitulation Japans. Am 2. September wurde die Kapitulationsurkunde formell an Bord eines US-Kriegsschiffes unterzeichnet.
Quelle: dpa, AFP
Die Japanologin Gabriele Vogt fügt hinzu, dass auch der "Niedergang der politischen Linken" ein Grund für die mangelhafte Aufarbeitung der Kriegsverbrechen sei. Das progressive Lager forderte besonders in den späten 70er-Jahren eine kritische Auseinandersetzung. Mittlerweile sei das aber "fast in der Bedeutungslosigkeit verschwunden", so Vogt. In Japan regiert mit wenigen Ausnahmen seit 1955 die liberal-konservative LDP.
Weitere Aufarbeitung in nächster Zeit "sehr unwahrscheinlich"
Sollte sich an den politischen Verhältnissen nichts ändern, hält Vogt eine weitere Aufarbeitung der Kriegsverbrechen für "sehr unwahrscheinlich". Tatsächlich beobachtet sie eher einen Wandel in die andere Richtung. Bei den letzten Wahlen gab es einen "deutlichen Rechtsruck" in Japan. Eine neue Erinnerungskultur wird so laut Vogt noch unwahrscheinlicher.
Auch in den Schulbüchern werden die japanischen Verbrechen nur bruchstückhaft behandelt. Die Bücher seien zwar "meistens nicht falsch", aber "besonders kurz" bei diesem Thema, sagt Urs Matthias Zachmann. Für viele Schüler sei dieses Wissen auch "nicht notwendig", weil es in Aufnahmeprüfungen für Universitäten nicht abgefragt werde, so der Japanologe.
Kein offizielles Statement des Premiers zum Jahrestag
Zum ersten Mal formulierte der damalige Premierminister Tomiichi Murayama 1995 zum 50. Jahrestag der Kapitulation Japans eine "aufrichtige Entschuldigung". Auch zum 60. und 70. Jahrestag folgten offizielle Entschuldigungen der Premiers.
Dieses Jahr, zum 80. Jahrestag, fällt das aus. Aus Rücksicht auf konservative Stimmen in seiner Partei verzichtet Premierminister Shigeru Ishiba auf ein offizielles Statement. Es werde wohl zu einem anderen Zeitpunkt eine "persönliche Nachricht" geben, wie japanische Medien schrieben.
Anders als die "breite Bevölkerung" blicken japanische Historiker und progressive NGOs auch infolge solcher Entwicklungen "bewundernd" auf Deutschland, berichtet Zachmann. Die Aufarbeitung der eigenen Verbrechen hier werde in Japan als "Vorbild einer gelungenen Vergangenheitsbewältigung" gesehen.
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