Sexualkunde an italienischen Schulen:Let's (not) talk about Sex
von Valerie Braig und Luise Greve, Rom
In Italien gibt es bis heute keinen verpflichtenden Sexualkundeunterricht. Und das soll auch so bleiben, hat die rechtskonservative Regierung unter Giorgia Meloni entschieden.
Die rechte Regierung Italiens will per Gesetz regeln, dass Schulen Sexualkunde-Unterricht künftig geben sollen - allerdings ausschließlich an weiterführenden Schulen und mit Zustimmung der Eltern.
01.12.2025 | 2:14 minAnders als in Deutschland, gibt es an italienischen Schulen keinen verpflichtenden Sexualkundeunterricht. Mehrere Versuche verschiedener Parteien dies zu ändern, blieben bislang ohne Erfolg.
Sexualkunde bleibt Familiensache
Nun hat die rechtskonservative Regierung unter Giorgia Meloni einen Gesetzesentwurf verabschiedet, der die Sexualerziehung an italienischen Schulen regeln soll: Grundschüler sollen keinen Sexualkundeunterricht bekommen. An weiterführenden Schulen dürfen Schüler nur teilnehmen, wenn eine schriftliche Einverständniserklärung ihrer Erziehungsberechtigten vorliegt. Lehrinhalte, die über die in den Lehrplänen vorgesehenen biologischen Grundlagen hinausgehen, sind nur eingeschränkt möglich.
"Die Familie bleibt der wichtigste Ort für die Erziehung von Kindern", erklärte Premierministerin Meloni im Interview mit der italienischen Nachrichtenagentur LaPresse. Schulen und andere Bildungseinrichtungen seien hingegen nur Verbündete, betonte sie.
Gesetzentwurf sorgt für heftige Debatten
Im italienischen Parlament in Rom hatte der Gesetzesentwurf hitzige Debatten über die Prävention von sexueller Gewalt ausgelöst. Die Oppositionsparteien Movimento-5-Stelle und Partito Democratico warnten, dass mangelnder Sexualkundeunterricht zu sexueller Gewalt und Femiziden führe. Zudem befürchten sie, dass der Gesetzesentwurf zu sozialen Ungleichheiten beitrage. Es sei davon auszugehen, dass nur liberal eingestellte Erziehungsberechtigte dem Unterricht zustimmen würden.
Vize-Ministerpräsident Matteo Salvini winkte die Kritik der Oppositionellen ab. Italienische Lehrkräfte sollten sich auf das Vermitteln grundlegender Werte wie Respekt und gute Manieren konzentrieren und das vermeiden, was Salvini als "Genderideologien oder ähnlichen Dreck" bezeichnete.
In Italien bleiben Regierungen im Schnitt etwas über ein Jahr im Amt. Seit Oktober 2022 ist Giorgia Meloni Ministerpräsidentin. Heute erreichte sie die längste Amtszeit nach Berlusconi.
20.10.2025 | 2:04 minBesonders aufgeladen wurde die politische Debatte, als Chiara Appendino von der oppositionellen Fünf-Sterne-Bewegung im Parlament mit den Worten "Sex ist etwas Natürliches", zu sexueller Aufklärung für italienische Schülerinnen und Schüler aufrief.
Wir alle haben Sex, ich habe Sex und ich schäme mich nicht, das auch hier in diesem Saal zu sagen.
Chiara Appendino, Fünf-Sterne-Bewegung
Zuspruch bekommen Befürworter der schulischen Sexualkunde "für alle" von Erica Limoncin, Professorin für Psychologie und Sexologie an der Universität La Sapienza in Rom.
Die Sexualkunde gibt Kindern einen Raum und auch das Recht auf richtige Informationen und kann so Aggressionen verhindern, angefangen bei kleinen Vorfällen bis hin zu extremen Handlungen.
Erica Limoncin, Professorin für Psychologie und Sexologie
Martina war 14, als sie von ihrem Ex-Freund ermordet wurde. Leider kein Einzelfall. Im Jahr 2024 wurden 113 Frauen in Italien getötet, 61 von ihnen durch den Partner oder Ex-Partner.
24.06.2025 | 2:03 minKinder lernen nicht genug über Sexualität und Gefühle
Jeder, der sich nicht für die Umsetzung von Präventionsprogrammen an Schulen einsetze, sei mitverantwortlich für Aggressionsverhalten und geschlechtsspezifische Gewalt. An der aktuellen schulischen Sexualerziehung kritisiert Limoncin zudem, dass nicht ausreichend auf emotionale Aspekte eingegangen werde. Meist gehe es ausschließlich um eine anatomische Aufklärung. Viele sexualitätsbezogene Themen fehlten und bereiteten Kinder und Jugendliche nicht ausreichend auf einen verantwortungsbewussten Umgang mit Beziehungen und Sexualität vor.
Genuas Vorstoß: Sexual- und Beziehungsbildung schon ab 3 Jahren
Eine Antwort auf den Streit im italienischen Parlament kam nun von Silvia Salis, Bürgermeisterin von Genua und neue Hoffnungsträgerin der italienischen Liberalen. Ab 2026 werden Kinder im Alter von drei bis sechs Jahren eine altersgerechte Form von Sexual- und Beziehungsbildung unterrichtet bekommen.
Etwa 300 Kinder an vier Kindergärten der Hafenstadt und deren Familien nehmen an dem Projekt teil - für die Erziehungsberechtigten sind Begleit- und Informationsangebote vorgesehen.
Die Regierung Meloni macht gleichgeschlechtlichen Paaren mit Kindern das Leben schwer. Nur das leibliche Elternteil will sie anerkennen.
17.01.2024 | 6:34 minSalis sieht in früher sexueller und emotionaler Bildung einen Weg, Kindern das Bewusstsein dafür zu geben, Respekt, Gleichberechtigung und gesunde Beziehungen zu erlernen.
Es ist unmöglich zu glauben, dass es keinen Bedarf an sexueller Bildung gibt: Diese Themen zu delegitimieren ist eine Form von Gewalt, die bekämpft werden muss.
Silvia Salis, Bürgermeisterin Genua
Während in Rom über Beschränkungen und Verbote gestritten wird, setzt Salis in Genua auf eine konkrete Maßnahme für Vorschulkinder - und beeinflusst damit die landesweite Debatte.
Mehr Nachrichten aus Italien
Empörung über Jugendverband:Faschistische Gesänge vor Sitz von Meloni-Partei in Parma
mit Video2:04Neues Regelwerk in Rom:Latein ist nicht mehr vorgeschriebene Amtssprache im Vatikan
mit Video6:36Italienische Modemarken:Der Teufel trägt jetzt auch Versace: Prada übernimmt Rivalen
mit Video0:23