Israel greift Hamas in Katar an: Welche Motive stehen dahinter?

Interview

Nahostexperte Gerlach:Warum hat Israel in Katar angegriffen?

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Israel hat in Katar die Hamas-Spitze angegriffen - und damit international für Empörung gesorgt. Welche Motive hinter dem Angriff stehen könnten, erklärt Nahostexperte Gerlach.

SGS Hayali Gerlach

Sehen Sie das gesamte Interview hier im Video.

09.09.2025 | 6:34 min

Der israelische Luftschlag auf die Hamas-Führung in Katar - also einem souveränen Drittland - hat international scharfe Kritik hervorgerufen und einige Fragen aufgeworfen. Die wohl drängendste: Warum greift Israel eine hochrangige Hamas-Delegation an, die zu Beratungen über ein Abkommen für eine Waffenruhe im Gaza-Krieg zusammengekommen sein soll?

Nahostexperte Daniel Gerlach ordnet die Lage im ZDF heute journal ein, analysiert mögliche strategische Gesichtspunkte und geht dabei auch auf die Dynamiken zwischen den verschiedenen Akteuren ein.

Warum hat Israel die Hamas-Führung in Doha angegriffen?

Nahostexperte Gerlach sieht für den Militärschlag aus israelischer Perspektive mehrere Gründe.

Zum einen sei da der Anschlag in Jerusalem am Montag, zu dem sich die Hamas bekannt hatte. Die israelische Führung habe explizit gesagt, dass dies zu der Entscheidung beigetragen habe. "Hier wollte man tatsächlich in die Offensive gehen", so Gerlach.

Die Polizei teilte mit, dass Sicherheitskräfte und ein Zivilist kurz nach Beginn der Schießerei das Feuer erwiderten und die Angreifer dabei töteten.

In Ost-Jerusalem sind bei einem Anschlag mindestens sechs Menschen getötet worden. Die Hamas bezeichnete die Tat als "heldenhaft". Israel kündigte derweil harte Konsequenzen an.

08.09.2025 | 2:41 min

Denkbar sei, dass Israel verhindern wollte, dass ein Geiselabkommen zustande kommt und die Hamas einem Deal zustimmt, dem auch Israel auf Druck der USA dann zustimmen müsste. Möglich aber auch - laut Gerlach eine weniger wahrscheinliche Option -, dass die Verhandlungen der Hamas bereits gescheitert waren, die Terrororganisation dem US-Vorschlag für eine Waffenruhe nicht zugestimmt hat "und man deswegen sich ermächtigt gefühlt hat, dort zuzuschlagen".

Einen entscheidenen Punkt sieht Gerlach in der Rolle und Wahrnehmung Katars. Israel habe Katars Vermittlungsmacht zuletzt "immer mehr als Feindbild aufgebaut und identifiziert".

Ich denke, für die israelische Führung ist es von strategischer Bedeutung, jetzt einen Keil zwischen die USA und Katar zu treiben und den Einfluss von Katar in den USA zu beschränken.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Zudem wolle Israels Ministerpräsident Benjamin Netanjahu aus Sicht des Nahostexperten auch davon ablenken, dass eigene Mitarbeiter in Verruf geraten waren, weil sie von Katar finanziert worden sein sollen. Auch die Tatsache, dass Netanjahu vor Gericht am Dienstag eigentlich in einem Fall von Korruption und Vorteilsnahme hätte aussagen müssen, sei bezeichnend, ergänzt Gerlach.

Mit erstaunlicher Regelmäßigkeit gibt es immer dann, wenn solche Termine anstehen, einen Grund der nationalen Sicherheit - und das ist meistens eine militärische Eskalation in der Region - um das zu verhindern.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

SGS Reichart Bates Hayali

Israels Angriff auf die Hamas in Katar unterbricht die Verhandlungen und bringt die USA in ein Dilemma. Thomas Reichart in Tel Aviv und Claudia Bates in Washington ordnen ein.

09.09.2025 | 3:25 min

Wie wird Katar auf den Angriff reagieren?

Nahostexperte Gerlach geht davon aus, dass die Kataris insgesamt diplomatisch auf den israelischen Angriff reagieren und beispielsweise versuchen werden, den Angriff vor den UN-Sicherheitsrat zu bringen und die arabische Liga zu mobilisieren. In der Theorie wäre diese zur Solidarität mit Katar in einem solchen Akt verpflichtet, erklärt Gerlach. Es gebe offiziell keinen Bündnisfall, also kein Äquivalent zur Nato, dennoch sei die Situation als ernst zu bewerten.

Denn: Mit dem israelischen Angriff sei das gesamte Modell der Golfstaaten gefährdet. Sie bauen ihren Erfolg laut Gerlach darauf auf, dass sie Neutralität wahrten und neutralen Boden böten. Wegen dieser Logik habe Katar auch viel in die Beziehung zu den USA und den Schutz durch die USA investiert. Wenn man zum Beispiel in Katar nicht mehr sicher sei, stelle das das "Geschäftsmodell der Mediationsmacht" infrage.

An Israeli military official told AFP that the military had carried out air strikes on Doha

Israel hat heute einen gezielten Angriff auf Führungsmitglieder der Hamas in Katar verübt. Der Angriff erfolgte offenbar während einer Beratung über einen Waffenstillstand für Gaza.

09.09.2025 | 1:12 min

Könnte Israel auch in anderen Staaten noch Angriffe durchführen?

Unter anderem in der Türkei sollen sich offenbar auch noch Führungsmitglieder der Hamas aufhalten. Gerlach kann sich vorstellen, dass Israel Militäroperationen wie in Katar auch in anderen Staaten plant oder durchführt.

Erstens legt man die Sicherheitsinteressen sehr weit aus und zweitens, denke ich, hat diese Führung gezeigt, dass sie diesbezüglich keine Grenzen kennt.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Die israelische Führung habe deutlich gemacht, dass sie selbst definiert, "wen sie für gefährlich hält und wen nicht - und, dass sie überall zuschlagen wird", betont Gerlach.

Wie geht es weiter in Bezug auf Gaza?

Öffentliche Spekulationen darüber, wie es nach dem israelischen Luftschlag in Katar im Gaza-Krieg weitergeht, empfindet Gerlach als problematisch.

Grundsätzlich sei das, was man jetzt sehe das, "was Israel angedroht hat: nämlich den vollständigen Vormarsch auf Gaza-Stadt, die Vertreibung von Hunderttausenden Menschen, sehr viele zivile Opfer", fasst der Nahostexperte zusammen. Mit Blick auf die Lage der israelischen Geiseln sagt Gerlach:

Ich habe nicht den Eindruck, dass die Befreiung der Geiseln auf dem Verhandlungsweg für die israelische Führung irgendeine Priorität hat.

Daniel Gerlach, Nahostexperte

Das Interview führte Dunja Hayali im ZDF heute journal. Zusammengefasst hat Laura Marie Mertes.

Quelle: ZDF

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