Indien und Pakistan - Kaschmir-Konflikt: Was dahinter steckt
FAQ
Indien und Pakistan :Was hinter dem Kaschmir-Konflikt steckt
von Jan Schneider
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Nach einem Anschlag in Kaschmir nehmen die Spannungen zwischen Indien und Pakistan deutlich zu. Was steckt hinter dem Konflikt der Atommächte und wie gefährlich ist die Lage?
Der Streit der Atommächte Indien und Pakistan spitzt sich zu. Indien hat mehrere Ziele in Pakistan angegriffen. Pakistan kündigt Vergeltung an. Auf beiden Seiten gibt es Tote.07.05.2025 | 5:37 min
Die Spannungen zwischen Indien und Pakistan sind weiter eskaliert. Nach eigenen Angaben hat Indien Luftangriffe gegen Einrichtungen in Pakistan durchgeführt. Pakistan antwortete mit Artilleriefeuer und gibt an, fünf indische Jets abgeschossen zu haben. Auf beiden Seiten gab es Tote und Verletzte.
Hintergrund der Eskalation ist ein mutmaßlich terroristischer Anschlag auf Touristen im indischen Teil der zwischen beiden Seiten umstrittenen Himalaya-Region Kaschmir Mitte April. Kurz danach hatte es schon einen Schusswechsel zwischen Grenzsoldaten beider Länder gegeben.
Demonstranten in Kalkutta verurteilen die Tötung von Touristen durch Bewaffnete im kaschmirischen Pahalgam.
Quelle: AFP
Wieso kommt es in der Region immer wieder zu Spannungen und wie hat der Konflikt angefangen? ZDFheute mit einem Überblick:
Woher stammt die Feindschaft zwischen Indien und Pakistan?
Die Feindschaft der beiden Länder geht weit zurück bis auf die Teilung Britisch-Indiens im Jahr 1947. Bei der Unabhängigkeit entstanden die beiden Staaten Indien (mehrheitlich hinduistisch) und Pakistan (mehrheitlich muslimisch). Schon direkt nach der Gründung kam es zum ersten Krieg, vor allem um die Region Kaschmir, da beide Länder Anspruch auf dieses überwiegend muslimische Gebiet erhoben.
Nach dem tödlichen Anschlag in der Kaschmir-Region wachsen die Spannungen zwischen den Atommächten. Beide Länder beanspruchen die Region vollständig für sich.24.04.2025 | 1:27 min
Seitdem haben Indien und Pakistan drei Kriege gegeneinander geführt, zwei davon um Kaschmir. Die traumatischen Erfahrungen der blutigen Teilung sowie der ungelöste Kaschmir-Streit haben über Jahrzehnte zu tiefem Misstrauen und immer neuen Konflikten zwischen den Nachbarn geführt. Beide Länder betrachten einander seither als Erzrivalen und rüsteten entsprechend militärisch auf. Der wichtige Faktor dabei: Beide Staaten verfügen über Atomwaffen.
Was ist der Kaschmir-Konflikt und warum ist die Region so umstritten?
Der Kaschmir-Konflikt bezeichnet den andauernden Streit um das ehemalige Fürstentum Jammu und Kaschmir im Himalaya. Kaschmir ist eine mehrheitlich muslimisch bewohnte Region, die seit der Unabhängigkeit von beiden Ländern vollständig beansprucht wird. Nach dem ersten Indien-Pakistan-Krieg 1947/48 wurde Kaschmir entlang einer Waffenstillstandslinie aufgeteilt - der sogenannten "Line of Control" (LoC), die auch als Asiens Berliner Mauer bekannt ist.
Nach einem tödlichen Angriff auf Touristen eskaliert die Situation in der Region Kaschmir weiter. Indische und pakistanische Soldaten haben sich einen Schusswechsel geliefert. 25.04.2025 | 0:19 min
Indien kontrolliert heute den südlichen und östlichen Teil (Jammu, Kaschmir-Tal und Ladakh), Pakistan den nordwestlichen Teil (Azad Kaschmir und Gilgit-Baltistan); China hält ebenfalls ein kleines Gebiet im Osten.
Der Status Kaschmirs blieb ungeklärt: Pakistan beruft sich darauf, dass Kaschmir als muslimisch geprägtes Gebiet zu Pakistan gehören solle, während Indien auf die damalige Beitrittserklärung Kaschmirs zu Indien verweist und es als integralen Bestandteil seines Staatsgebiets betrachtet.
Die Kaschmir-Region besitzt eine außerordentlich hohe geopolitische Bedeutung. Entlang der rund 740 km langen Kontrolllinie stehen sich heute zehntausende Soldaten gegenüber, und es kommt trotz formaler Waffenruhe immer wieder zu Schusswechseln. Grenznahe Täler wie das Leepa-Tal haben für beide Seiten militärische Bedeutung, da sie potenzielle Infiltrationsrouten für Kämpfer darstellen und ein Durchbruch an solchen Stellen tiefe Vorstöße ins jeweilige Gebiet ermöglichen könnte.
Was ist in den letzten Wochen passiert?
Mitte April griffen bewaffnete Kämpfer Touristen in der Region Kaschmir an. Sie eröffneten nahe dem Urlaubsort Pahalgam im von Indien kontrollierten Süden Kaschmirs das Feuer auf eine Gruppe von Urlaubern.
Mindestens 26 Menschen wurden dabei von den mutmaßlichen Extremisten getötet - unter den Opfern waren laut Polizeiangaben 24 indische Touristen, ein Urlauber aus Nepal sowie ein einheimischer Reiseleiter. Rund 17 weitere Personen erlitten Verletzungen. Der Überfall richtete sich offenbar gezielt gegen die Zivilisten
Der Konflikt zwischen Indien und Pakistan schaukelt sich erneut hoch.
Quelle: ZDF
Indiens Regierung stufte die Tat als terroristischen Anschlag ein. Premierminister Narendra Modi brach eine Auslandsreise ab, um in die Heimat zurückzukehren und berief umgehend Beratungen mit seinem Sicherheitskabinett ein.
Seitdem ist die Lage an der Grenze äußerst angespannt. Es kam zu Schusswechseln und jetzt zu den Luftschlägen und Artillierebeschuss entlang der Line of Control.
In Indien wurden bei einem Angriff bewaffneter Kämpfer auf Touristen mindestens 26 Menschen getötet. Sicherheitskräfte gehen von einem gezielten Überfall aus.23.04.2025 | 0:23 min
Wie hoch ist die Eskalationsgefahr?
Angesichts der wechselseitigen Drohgebärden und militärischen Zusammenstöße ist die Eskalationsgefahr sehr real. Experten warnen, dass die Lage jederzeit außer Kontrolle geraten könnte, sollten weitere Terroranschläge folgen oder Indien zu militärischen Vergeltungsschlägen innerhalb Pakistans schreiten.
"Die Welt sollte sehr besorgt über die derzeitige Indien-Pakistan-Krise sein", schrieb der Südasien-Experte Michael Kugelman auf der Plattform X.
Die brutale Gewalt des Angriffs vom Dienstag. Die beispiellosen Vergeltungsmaßnahmen. Der massive Druck auf beide Seiten, mehr zu unternehmen. Das Eskalationsrisiko ist enorm. Höher als 2019 und 2016. Und das alles nach einem vierjährigen Waffenstillstand.
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Michael Kugelman, Direktor des Südasien-Instituts am Wilson Center, Washington
Christian Wagner, Experte für Indien und Pakistan bei der Stiftung Wissenschaft und Politik, rechnete bei ZDFheute live schon nach den ersten Schusswechseln mit einer Eskalation der Lage:
Ich würde davon ausgehen, dass wir eine begrenzte militärische Operation sehen.
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Dr. Christian Wagner, Stiftung Wissenschaft und Politik
Für beide Seiten sei ein gesichtswahrender Rückzug nur dann gegeben, wenn man im eigenen Land von einem Sieg sprechen könne, so Wagner.
Pakistan habe in der Vergangenheit angedeutet, dass mit der Reduzierung der Wasserzufuhr, die mit der Aussetzung des Indus-Wasservertrags drohe, eine rote Linie für den Einsatz von nuklearen Waffen überschritten sein könne. Dass Pakistan das Shimla-Abkommen infrage stelle, sei eine gefährliche Zuspitzung der Lage.
Das Shimla-Abkommen ist ein Friedensvertrag zwischen Indien und Pakistan, der am 2. Juli 1972 in der nordindischen Stadt Shimla unterzeichnet wurde. Es wurde nach dem Dritten Indien-Pakistan-Krieg abgeschlossen, der Ende 1971 stattfand. Dieser Krieg führte zur Unabhängigkeit von Bangladesch (früher Ostpakistan) - für Pakistan damals eine schwere Niederlage.
In dem Abkommen verpflichteten sich beide Länder zur friedlichen Beilegung aller Streitigkeiten. Es solle keine einseitigen Änderungen der Line of Control in Kaschmir geben und die diplomatischen und wirtschaftlichen Beziehungen sollten gefördert werden.
Das Shimla-Abkommen ist bis heute die Grundlage für den Umgang beider Staaten miteinander.
Wie hoch ist die Gefahr eines Atomkrieges?
Mit seiner "No first use"-Doktrin verpflichtet sich Indien zwar, auf einen Ersteinsatz nuklearer Waffen zu verzichten. Nach dem Konzept der massiven Vergeltung will Neu-Delhi jedoch Erstschläge gegen das eigene Land mit einem vernichtenden nuklearen Gegenschlag beantworten.
Pakistan behält sich hingegen auch den Ersteinsatz von Atomwaffen vor - sofern die Existenz des Landes unmittelbar bedroht ist. Die "Full-Spectrum-Deterrence"-Doktrin dient vor allem als Abschreckung, die jede Form der Aggression gegen das Land verhindern soll.
Das Friedensforschungsinstitut Sipri schätzt in seinem Jahrbuch 2024, dass Indien über 172 Atomsprengköpfe verfügt, Pakistan über 170.
Merz und Macron blicken mit "allergrößter Sorge" nach Kaschmir
Angesichts der militärischen Eskalation hat Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) zur Vernunft gemahnt. "Vernunft ist gefragt, an einer weiteren Eskalation sollte auch in der Region niemand ein Interesse haben", sagte Merz am Mittwoch bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Frankreichs Präsident Emmanuel Macron in Paris. Frankreich und Deutschland blickten mit "allergrößter Sorge" nach Kaschmir.
Das Auswärtige Amt rät dazu, geplante Flugreisen nach Pakistan zu verschieben. Reisende sollten sich bei ihren Fluggesellschaften nach dem Status geplanter Flüge erkundigen, heißt es in den aktualisierten Reise- und Sicherheitshinweisen. Von Reisen in die Regionen Jammu, Gilgit-Baltistan und Kaschmir rät das Auswärtige Amt ab.
Quelle: dpa
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