Hamas-Geisel Itay Chen: Vater kämpft für Rückkehr

Interview

Keine Spur seit Hamas-Überfall:Vater einer Geisel: "Wir können nicht heilen"

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Ruby Chens Sohn ist seit über 600 Tagen wohl eine Geisel der Hamas. Itay soll einer von 50 Geiseln sein, die noch immer im Gazastreifen sind. Sein Vater kämpft für seine Rückkehr.

Eltern Ruby und Hagit Chen mit einem Schild ihres vermissten Sohnes Itai Chen.
Ruby und Hagit Chen kämpfen um ihren Sohn Itay. Sie demonstrieren gegen Netanjahus Vorgehen im Gazastreifen und setzen sich für die Geiseln ein.
Quelle: AP

Ruby Chens Sohn, Itay, war Teil einer israelischen Panzereinheit, die am 7. Oktober 2023 an der Grenze zum Gazastreifen stationiert war. Die Einheit wurde aus dem Hinterhalt angegriffen, einer von vier Soldaten getötet, doch von dreien fehlte jede Spur, darunter Itay. Die Familie geht davon aus, dass die Hamas Itay als Geisel genommen hat.
Seitdem kämpft Ruby Chen für die Rückkehr seines Sohnes, reist durch die Welt, um auch die Hilfe anderer Staaten zu erbitten. Itay hat neben der israelischen auch einen amerikanischen und einen deutschen Pass. Im Gespräch mit ZDFheute appelliert Ruby Chen an die deutsche Regierung, sich für seinen Sohn einzusetzen.
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ZDFheute: Welche Informationen haben Sie heute über den Verbleib Itays?
Chen: Als die Armee den Panzer erreichte, konnten sie danach keinerlei forensische Erkenntnisse über Itay gewinnen, also was mit ihm passiert sein könnte. Bis heute hat die Hamas, die psychologische Kriegsführung auf der untersten Stufe betreibt, weder bestätigt, dass er sich in ihrer Gewalt befindet, noch Informationen über seinen körperlichen Zustand herausgegeben. Auch die internationale Gemeinschaft hat uns am 7. Oktober im Stich gelassen, keinen Druck ausgeübt, sodass wir zumindest erfahren, was mit Itay geschehen ist.
Vor etwa einem Jahr wurden wir von der israelischen Armee auf Grundlage von Geheimdienstinformationen darüber informiert, dass Itay höchstwahrscheinlich nicht mehr am Leben ist. Es gibt aber keine physischen Beweise dafür.

Wir befinden uns also in einer Art Schwebezustand, in dem wir nicht weitermachen können, weil Itay nicht da ist.

Ruby Chen, Vater von Itay Chen

Er ist meiner Meinung nach auch heute noch, genau wie am 7. Oktober, eine Geisel und muss freigelassen werden.

Er ist US-amerikanischer und deutscher Staatsbürger. Meine Familie erwartet, dass diese Regierungen noch mehr tun, um diese Geiseln freizubekommen.

Ruby Chen

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ZDFheute: Sie reisen durch die Welt, häufig auch nach Deutschland und in die USA, um Regierungsvertreter um Unterstützung zu bitten. Was möchten Sie aus den letzten Unterhaltungen hervorheben?
Chen: Ich gehe davon aus, dass die Mehrheit der Deutschen nicht weiß, dass es überhaupt deutsche Geiseln gibt. Ich würde sogar noch weiter gehen und sagen, dass die meisten Deutschen nicht wissen, wie viele deutsche Staatsbürger am 7. Oktober von der Hamas getötet wurden. Nachdem ich diese Frage dem deutschen Außenminister gestellt habe, wurde uns bisher keine genaue Zahl genannt, wie viele deutsche Staatsbürger getötet worden sind.
Ich komme aus der Wirtschaft, war Risikokapitalgeber und habe mich mit Finanz-Start-ups beschäftigt. Ich stelle mir oft eine einfache Frage: Die Hamas kann heute noch monatlich ihre Unterstützer in Gaza, zehntausende Menschen, bezahlen. Woher kommt das Geld? Wir sehen zwar militärischen Druck, aber ich glaube:

Der finanzielle Druck, die Hamas wieder an den Verhandlungstisch zu bringen und dieser Terrororganisation den finanziellen Sauerstoff zu entziehen, ist nicht vorhanden.

Ruby Chen, Vater von Itay Chen

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Deutschland pflegt beispielsweise sehr gute wirtschaftliche und diplomatische Beziehungen zur Türkei. Wenn die Türkei die Hamas-Führer beherbergt, dann sollte Deutschland, wenn sieben der [Anm. d. Red.: noch verbliebenen] 50 Geiseln deutsche Staatsbürger sind, versuchen, sich aktiver an den Verhandlungen zu beteiligen und seine Möglichkeiten und seinen Einfluss nutzen, um die USA und Katar zu unterstützen und diese humanitäre Krise zu beenden.
Die humanitäre Krise betrifft nicht nur uns, die Familien der Geiseln. Es gibt Menschen in Gaza, die hungern.

Ich bin der Meinung, die internationale Gemeinschaft muss nach fast zwei Jahren eingreifen, um diesem Wahnsinn ein Ende zu setzen.

Ruby Chen, Vater von Itay Chen

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ZDFheute: Denken Sie, in Israel selbst kämpfen genug Menschen für die Freilassung der Geiseln?
Chen: Leider besteht eine Diskrepanz zwischen der Bevölkerung und dem Vorgehen der aktuellen israelischen Regierung.

Es sollte nicht im israelischen Interesse liegen, diese Situation zu verlängern. Sie ist weder wirtschaftlich noch diplomatisch gut für uns.

Ruby Chen, Vater von Itay Chen

Wir haben als Nation noch nicht beginnen können, vom Trauma des 7. Oktober zu heilen, weil es noch nicht vorbei ist. Meine Familie und ich, wir sind hier, aber wir sind auch nicht hier. Wir stecken fest, weil wir als Familie nicht wieder ganz werden können. Und so sieht sich die Nation auch selbst.
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ZDFheute: Was denken Sie über die Entscheidung der israelischen Regierung, den Krieg in Gaza auszuweiten und so die verbliebenen Geiseln befreien zu wollen?
Chen: 40 Geiseln wurden während des Krieges getötet. Wir wissen also, dass die verbliebenen Geiseln nur durch ein Abkommen freigelassen werden. Ich bin der Meinung, es ist nicht genug zu glauben, dass man durch die immer gleichen Aktionen zu einem anderen Ergebnis kommen würde.
ZDFheute: Was sollten Deutsche über Ihre Lage wissen?
Chen: Ich wünsche mir, dass jeder, der das liest, sich vorstellt, wie die eigene Familie am Sonntag bei einem Familienessen zusammensitzt, in die Kirche geht, was auch immer das sein mag, und sich daran erinnert, dass es Familien gibt, die das nicht mehr tun können.
Und ich möchte jeden deutschen Bürger, der das liest, bitten, seinen Abgeordneten anzuschreiben und ihn zu fragen, was er bislang für die Freilassung der Geiseln mit deutschem Pass getan hat.
Das Interview führte Alica Jung. Sie berichtet für das ZDF-Studio in Tel Aviv.